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Die Enttäuschung über ausbleibende Waffenlieferung ist groß bei den Aufständischen.

© dpa

Waffenembargo gegen Syrien: EU kann sich nicht auf eine Linie einigen

Die EU kann sich nicht auf eine Linie bei Waffenlieferungen an die syrische Opposition verständigen. Die SPD nennt das ein Fiasko für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union.

Die EU hebt das Waffenembargo gegen Syrien auf – so hat es manche Nachrichtenagentur in der Nacht zu Dienstag aus Brüssel vermeldet. Das hört sich fast draufgängerisch an. Zumindest die Wortwahl ist aber nicht ganz korrekt, da diese ein aktives Handeln voraussetzt. Faktisch hat die Uneinigkeit in der Frage einer Bewaffnung des syrischen Aufstands gegen Baschar al Assad dazu geführt, dass das Embargo nicht verlängert worden ist: Es läuft am Wochenende aus – im Streit.

Das verstärkt das Bild einer Gemeinschaft, die außenpolitisch nicht agiert, sondern getrieben wird, von Entwicklungen im Äußeren wie im Inneren. Sowohl der deutsche wie der österreichische Außenminister würden so kurz vor ihren Wahlen einen Teufel tun und von sich aus ein Eingreifen in den Konflikt fordern. Auch ist Europas Chefdiplomatin Catherine Ashton, die sich auf dem Balkan durchaus Anerkennung verdient hat, in der Frage von Krieg und Frieden in Syrien schlicht damit überfordert, den Laden zusammenzuhalten. Gerade als Britin tat sie sich schwer, als Vermittlerin und Antreiberin aufzutreten.

Großbritannien und Frankreich wiederum haben, indem sie sich auch einer kurzen Verlängerung des Waffenembargos verweigerten, erreicht, dass es ausläuft – was seit Monaten ihr Ziel war. Schon vorab hatte der britische Außenminister William Hague festgestellt, Einigkeit in der Gemeinschaft sei „wünschenswert“, aber eben nicht zwingend. Das sagt eigentlich alles aus über den Zustand der gemeinsamen EU-Außenpolitik .

Von Samstag an darf jedes EU-Land wieder allein entscheiden, ob es die gegen das Regime von Baschar al Assad kämpfenden Aufständischen in Syrien mit Waffen unterstützt. Nachdem sich die europäischen Außenminister in der Nacht zu Dienstag nicht auf eine Verlängerung des noch geltenden Waffenembargos verständigen konnten, läuft es am 31. Mai um Mitternacht aus. Die Regierungen in London und Paris können die bedrängte syrische Opposition nun mit Waffen beliefern, wie seit Monaten von ihnen gefordert.

Obwohl das Waffenembargo endet, bleibt es weiterhin ausgeschlossen, dass das syrische Regime mit Rüstungsgütern beliefert wird. Denn die Mitgliedstaaten müssen sich nun an die grundsätzlichen europäischen Regeln für solche Exporte halten, die zuletzt im Jahr 2008 erneuert worden sind. Darin werden beispielsweise Lieferungen an Abnehmer verboten, die mit diesen Waffen Menschen unterdrücken wollen. Zudem ist der Waffenexport nicht erlaubt, wenn damit „bewaffnete Konflikte provoziert oder verlängert werden“. Dies könnte auch im Zusammenhang mit den Aufständischen in Syrien gesehen werden.

Das Ende des Waffenembargos zog am Dienstag teils heftige Kritik nach sich. Der stellvertretende russische Außenminister Sergej Ryabkow kündigte an, dass sein Land weiter die Lieferung von Raketensystemen des Typs S-300 plane. Dies könne „dabei helfen, einige Hitzköpfe zu bändigen, die ein Szenario in Erwägung ziehen, diesem Konflikt eine internationale Dimension zu verleihen“, sagte er an die Europäische Union gerichtet. Israel reagierte auf die russische Ankündigung von Waffenlieferungen an Syrien mit einer Drohung. Die Regierung wisse, „was zu tun ist“, wenn Moskau Syriens Machthaber Assad mit den Raketen ausrüste, sagte Verteidigungsminister Mosche Jaalon.

Der verteidigungspolitische Sprecher der SPD-Fraktion, Rainer Arnold, kritisierte den Streit über die Waffenlieferungen als „Fiasko für die gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik der Europäischen Union“. Er hätte es begrüßt, wenn die Idee Frankreichs und Großbritanniens, gemäßigten Aufständischen Waffen zu liefern, „als Möglichkeit“ ins Auge gefasst worden wäre, „ohne direkt und sofort Waffen zu liefern, sondern als Drohpotenzial und Druckkulisse“, sagte er am Dienstag dem Tagesspiegel.

Jean Asselborn setzt weiter auf eine diplomatische Lösung.

Ein solcher Beschluss hätte dem Assad-Regime signalisieren können: „Wir sind nicht bereit, nur untätig zuzuschauen.“ Und er hätte den syrischen Aufständischen gegenüber mit der Aufforderung verbunden sein können, „sich endlich zu einigen und einen Sprecher zu identifizieren, der sie auch international vertreten kann“, andernfalls werde man die Waffen nicht liefern. Diese Chance, beide Seiten unter Druck zu setzen und damit eine Veränderung der Situation herbeizuführen, sei vertan worden, sagte Arnold.

Luxemburgs Außenminister Jean Asselborn setzt indes weiter auf eine diplomatische Lösung zur Beendigung der Kämpfe. „Ich hoffe, dass weder Großbritannien noch Frankreich noch irgendein anderes europäisches Land Waffen zu liefern braucht“, sagte Asselborn dem Tagesspiegel. Die EU-Staaten sollten alles daran setzen, um der geplanten Syrien-Konferenz in Genf zum Erfolg zu verhelfen. Grundsätzlich sprach sich Asselborn für eine Teilnahme des Iran an der geplanten Konferenz aus. „Wenn es um Syrien geht, dann sollte ein großes Land wie der Iran auf den ersten Blick natürlich daran teilnehmen“, sagte der Außenminister. Er glaube allerdings nicht, dass der Iran bereit sei, einen Kompromiss zu schließen und Druck auf den syrischen Staatschef Baschar al Assad zur Beendigung der Kämpfe auszuüben.

Die ganz große Blamage hat die EU immerhin abwenden können, indem alle Akteure erklärten, dass Wirtschaftssanktionen und Waffenembargo für das Regime weiter gelten sollen. Ohne diese Übereinkunft wäre es theoretisch möglich gewesen, dass Assad oder einer seiner Unterhändler kurz vor der geplanten Friedenskonferenz in Genf unbehelligt in die Europäische Union einreist, Geld von bisher eingefrorenen Konten abhebt und gleich noch an Ort und Stelle Waffen kauft, die seine Herrschaft festigen.

Die liefern nun die Russen mit der Begründung, den europäischen Kriegstreibern Einhalt gebieten und das zarte Pflänzlein des Friedensprozesses schützen zu wollen. Das ist einerseits zynisch, da Moskau den mordenden Diktator schon lange tatkräftig unterstützt, während einzelne EU-Staaten jetzt lediglich damit drohen, die Opposition zu bewaffnen, wenn Assad in den Genfer Gesprächen nicht einlenkt. Es zeigt aber auch, dass die Warnungen vor einem Rüstungswettlauf in der Region nicht ganz von der Hand zu weisen sind.

Die Position, die die Europäer nach der gescheiterten Einigung eher unfreiwillig einnehmen, ist dennoch nicht unmoralisch – wie man sich angesichts der komplizierten Lage in Syrien überhaupt davor hüten sollte, die jeweilige Lösungsstrategie des anderen zu verdammen. Nach gut zwei Jahren mit rund 80000 Toten und einer Million Flüchtlinge damit zu drohen, die Gegenseite aktiv zu unterstützen, lässt sich schwerlich als Wildwestmethode geißeln.

Der Aufruf der EU zur Einheit wirkt fast wie Hohn.

Ob die europäische Drohung in Syrien ernst genommen wird, steht auf einem anderen Blatt – zumal die EU es auch nicht geschafft hat, einen politischen Fahrplan Richtung Frieden aufzuzeigen. Die Mitgliedstaaten sind zu sehr damit beschäftigt, nach außen den Schein der Einigkeit zu wahren. Der an Syriens Opposition gerichtete Aufruf der EU zur Einheit wirkt allerdings fast wie Hohn. Denn schwere interne Zerwürfnisse spalten zunehmend die ohnehin bröckelnde Front der Aufständischen.

Ein ursprünglich auf drei Tage angesetztes Treffen der Regimegegner in Istanbul wurde wegen eines Streits um die Dominanz der islamistischen Muslimbrüder und die Aufnahme säkularer Gegenkräfte in den Oppositions-Dachverband SNC auf eine Woche verlängert. Die Kontroverse kurz vor der für Juni geplanten internationalen Syrien-Konferenz ist nicht nur blamabel für die Gegner von Machthaber Assad, sondern auch für deren westliche Unterstützer. Zudem verursacht das bevorstehende Ende des EU-Waffenembargos gegen die Assad-Gegner große Unzufriedenheit, weil keine sofortigen Lieferungen von Militärgütern zu erwarten sind.

„Schämen sollten sie sich“, sagt Louay al Moktad über die Politiker im Oppositionsbündnis Syrische Nationalkoalition (SNC). Moktad, Sprecher des bewaffneten Arms der Aufständischen, der „Freien Syrischen Armee“ (FSA), beklagt vor allem die Ineffizienz und Zerstrittenheit der Opposition. Anders als die Zivilisten in der Koalition seien die Kämpfer in der FSA allerdings gut und straff organisiert, betonte Moktad am Dienstag im Gespräch mit dem Tagesspiegel. Der US-Senator John McCain, der in den vergangenen Tagen heimlich das von den Rebellen beherrschte Gebiet in Nordsyrien besucht hatte, habe sich davon persönlich überzeugen können.

Seit der vergangenen Woche beraten rund 60 SNC-Vertreter in Istanbul über die Aufnahme neuer Mitglieder, die das Oppositionsbündnis vom Ruf befreien sollen, ein Vehikel der Muslimbrüder zu sein. Die Islamisten sind eine der stärksten Gruppen unter den Gegnern von Präsident Assad und dominieren derzeit die Koalition. In Istanbul wollte ursprünglich ein säkulares Bündnis unter dem liberalen Autor Michel Kilo mit 25 zusätzlichen Sitzen in die SNC eintreten – das hätte die Machtverhältnisse zugunsten der nicht islamistischen Vertreter verändert. Doch Kilos Gruppe erhielt nur sechs Sitze.

Selbst in der für interne Streitigkeiten, Machtspielchen und Postengerangel bekannten syrischen Opposition markierte diese Abfuhr einen Tiefpunkt. Und sie bedeutet gleichzeitig eine Niederlage für westliche Staaten und Saudi-Arabien. Denn diese hatten Kilos Gruppe unterstützt. Vor allem die Saudis sind besorgt über die Machtstellung der Muslim-Brüder, die auf Hilfe des Golf-Scheichtums Katar zählen können. SNC-Sprecherin Sarah Karkour teilte daraufhin am Dienstag mit, die Konferenz in Istanbul sei um weitere zwei Tage verlängert worden. Die Oppositionellen mussten sich sogar ein neues Tagungshotel suchen.

Vor lauter Gezänk um die interne Machtverteilung ist die Opposition bei ihrem Treffen bisher nicht dazu gekommen, über eine Teilnahme an der geplanten internationalen Syrien-Friedenskonferenz in Genf zu entscheiden. Die Lähmung der Regierungsgegner ist ein weiterer Teilerfolg für Staatschef Assad, der mit Unterstützung der libanesischen Hisbollah in jüngster Vergangenheit militärische Fortschritte erzielen konnte und die Teilnahme seiner Regierung an der Genfer Konferenz grundsätzlich zugesagt hat. Die Rebellen dagegen müssen immer neue militärische und politische Rückschläge verkraften. Den EU-Beschluss, das Waffenembargo nicht zu verlängern, halten die Aufständischen daher für unzureichend, weil bis August keine Waffen aus EU-Staaten geliefert werden sollen. „Bis dahin könnte es weitere bis zu 40 000 Tote geben“, sagte der Sprecher der Rebellenarmee FSA.

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