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Waffenlobbyist: Karlheinz Schreiber: Der ewige Amigo

Zehn Jahre lang war Karlheinz Schreiber flüchtig, ab heute steht der Waffenlobbyist vor Gericht. Doch der einstige Chefermittler bezweifelt, dass die volle Wahrheit ans Licht kommt

Nein, er will nicht mehr darüber reden. Damals hat er viel geredet, und am Ende ist nichts dabei herausgekommen, oder zumindest nicht das, was hätte herauskommen können. Also jetzt kein Wort mehr dazu. Und um mit der Presse zu sprechen, bräuchte er ohnehin eine Aussagegenehmigung, das gäbe wieder einen „Mordszinnober“.

Und dann fängt der frühere Augsburger Staatsanwalt Winfried Maier – der Mann, der bei seinen unnachgiebigen Ermittlungen gegen einen Steuerflüchtling aus dem 35 Kilometer südlich von Augsburg gelegenen Kaufering vor gut zehn Jahren quasi nebenbei das geheime Kontensystem der CDU und damit einen der größten politischen Skandale der Bundesrepublik aufdeckte – dann fängt dieser Winfried Maier doch noch an zu reden.

Wenn am heutigen Montag um 9 Uhr im Saal 101 des Augsburger Strafjustizgebäudes der Prozess gegen Karlheinz Schreiber eröffnet wird, ist das der krönende Abschluss der Arbeit des 50-jährigen Winfried Maier. Ohne ihn und zwei, drei andere hartnäckige und politisch unabhängige Staatsanwälte und Steuerfahnder wäre es wohl nie so weit gekommen: Im Laufe der vergangenen zehn Jahre wurden die ehemaligen Thyssen-Manager und Schreiber-Vertrauten Jürgen Maßmann und Winfried Haastert zu Haftstrafen wegen Untreue und Steuerhinterziehung verurteilt. Der frühere Staatssekretär Holger Pfahls, der von Schreiber umgerechnet fast zwei Millionen Euro für Hilfe bei einem Thyssen-Panzergeschäft mit Saudi-Arabien bekam, wurde zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt. Der ehemalige CDU-Bundesschatzmeister Walter Leisler Kiep, dem Schreiber 1991 umgerechnet eine halbe Million Euro in bar überreicht hatte, wurde wegen Steuerhinterziehung zu einer Geldstrafe verurteilt. Nur Max Strauß, Sohn des ehemaligen bayerischen Ministerpräsidenten und mit Schreiber privat und wirtschaftlich eng verbunden, wurde nach einer ersten Verurteilung zu drei Jahren und drei Monaten Haft vom Bundesgerichtshof freigesprochen. Es konnte nicht nachgewiesen werden, dass Strauß wirklich über ein von Schreiber eingerichtetes Geheimkonto verfügte.

Nun also ist der Auslöser jener Affäre dran, die damals Alt-Kanzler Helmut Kohl den Ehrenvorsitz der CDU kostete und Wolfgang Schäuble die Ämter des Partei- und Fraktionsvorsitzenden. Und doch ist dem einst für das Verfahren zuständigen Ermittler, der heute als Richter am Oberlandesgericht Familiensachen verhandelt, nicht nach Feiern zumute.

„Im Ergebnis ist die Sache totgemacht“, sagt Maier. In der entscheidenden Phase, vor gut zehn Jahren, als die Ermittlungen gegen den wegen Steuerhinterziehung in Verdacht geratenen Unternehmer Schreiber sich durch die Arbeit der Augsburger Ermittler zur CDU-Spendenaffäre ausweiteten, da hätte man, so meint er, mehr über Schreibers dubiose Verbindungen herausfinden können. Über seine illegal bei ausländischen Briefkastenfirmen geparkten und dann an Freunde aus Politik und Wirtschaft verteilten Millionen, über seine Verwicklungen mit mächtigen konservativen Politikern in Deutschland und in Kanada, wo Schreiber seit den 80er Jahren ebenfalls geschäftlich tätig war.

Doch die politischen Widerstände in Bayern, vor allem im CSU-dominierten Justizministerium, so hat es der Staatsanwalt damals erlebt, waren zu groß. „Wenn ich daran denke, könnte mich die Wut packen“, sagt Maier. Dabei klingt seine Stimme mit dem warmen oberbayrischen Tonfall eher traurig. Was er genau meint? Maier setzt kurz an, spricht von den Ermittlungsberichten, die auf Anweisung von oben umgeschrieben wurden, davon, dass er jeden Schritt mit höheren Stellen abstimmen musste und so Ermittlungen an zentralen Punkten verzögert wurden. So wie er es vor knapp zehn Jahren auch schon zwei Untersuchungsausschüssen berichtet hat, einem im bayerischen Landtag und einem im Bundestag. Dann unterbricht er sich, sagt leise: „Hinterher hieß es, ich sei ein Profilneurotiker. Ja mei, was soll ich da machen?“ Das Verfahren habe ihm viel Ärger eingebracht. „Aber jetzt habe ich mit der Sache abgeschlossen.“ Dann legt Maier auf.

Im Justizdrama um Karlheinz Schreiber, das heute in seinen wohl letzten Akt geht, scheinen die Fronten auf den ersten Blick klar verteilt. Auf der einen Seite der kürzlich nach zehnjährigem juristischen Tauziehen aus dem kanadischen Exil nach Deutschland ausgelieferte Multimillionär, ein charmanter Unterhalter und gewiefter Rüstungslobbyist, der Anfang der 90er Jahre Millionenprovisionen für gewagte Geschäfte kassierte, denen die Bundesregierung unter Helmut Kohl ihren Segen gab. Und auf der anderen Seite die bayerische Justiz, die 1995 durch einen Tipp eines ehemaligen Geschäftspartners auf Schreibers Spur kam.

Daneben gibt es noch eine andere Geschichte, die heute kaum zur Sprache kommen wird und wohl auch nicht an den anderen 26 Verhandlungstagen, die bislang angesetzt sind. Sie spielt Ende der 90er Jahre und könnte nicht nur in Maiers Augen der Grund sein, warum Schreibers tatsächliche politische Verwicklungen in diesem Prozess nicht so umfassend behandelt werden, wie es der Ermittler von damals erhofft hätte.

Bei der Aufklärungsarbeit in der Schreiber-Affäre – so erlebte es der ab März 1997 dafür verantwortliche Winfried Maier, und so hielt es 2002 auch die Opposition in Bayern im Abschlussbericht eines Untersuchungsausschusses fest – wurden die Ermittlungen der Staatsanwälte systematisch vom bayerischen Justizapparat erschwert. Das berüchtigte Amigo-System, die quer durch Politik, Verwaltung und Privatwirtschaft reichende Omnipräsenz der CSU seit den Tagen von Strauß senior, war auch Jahre nach dessen Tod in Augsburg noch deutlich zu spüren. Dass gerade Maier und seine Kollegen Probleme bekamen, verwundert kaum, denn was sie aufdeckten, reichte bis in höchste Kreise. Bei Schreiber handelte es sich um einen engen Freund und Geschäftspartner der Familie Strauß. Ein größeres Politikum ist in Bayern kaum vorstellbar, zumal Schreiber neben vielfältigen Verflechtungen mit der Familiendynastie auch deren Partei, die CSU, großzügig mit Millionenspenden versorgte. So sagte es zumindest später Schreiber, die CSU bestätigte das nicht.

Wegen dieser politischen Brisanz galten für die Ermittler besondere Spielregeln, das gab die CSU Maier nachträglich sogar schriftlich: „Gerade in einem bedeutsamen und aufwendigen Verfahren wie dem vorliegenden ist eine intensive Begleitung des Verfahrens durch Vorgesetzte und übergeordnete Behörden notwendig“, heißt es im von der CSU gegen die Stimmen von SPD und Grünen beschlossenen Abschlussbericht des bayerischen Untersuchungsausschusses von 2002. Und für den Fall, dass es bei den Ermittlungen zu unterschiedlichen Auffassungen über Rechts- oder Sachfragen kommt, waren die Regeln klar: „Der einzelne Staatsanwalt ist im Rahmen des rechtlich Zulässigen an die Entscheidung seiner Vorgesetzten gebunden und hat deren Vorgaben einzuhalten.“ Dass dabei Recht gebeugt oder unzulässig Druck ausgeübt wurde, weist die CSU als politisch motivierte Falschbehauptung zurück.

Manche Erlebnisse von Maier und seinen Kollegen vermitteln ein anderes Bild.

Zum Beispiel die Hausdurchsuchung bei Max Strauß. Vom Gericht wurde sie erst abgelehnt und erst Wochen später nach vielem Hin und Her doch genehmigt. Mit dem Ergebnis, dass die Fahnder bei Strauß im Januar 1996 nur noch einen Computer vorfanden, dessen Daten kurz zuvor komplett gelöscht worden waren. Außerdem fehlten exakt jene Akten, die Material aus den die Ermittlungen betreffenden Jahren enthielten. Das konstatiert auch die CSU-Mehrheit im Untersuchungsausschuss. Allerdings gebe es keine Hinweise auf eine Indiskretion seitens der Behörden, hieß es lakonisch.

Oder die Vernehmung von Helmut Kohl, der als Vorsitzender des Bundessicherheitsrats 1991 der für Schreiber so lukrativen Panzerlieferung nach Saudi-Arabien zustimmte und dessen zentrale Rolle im illegalen Schwarzgeldsystem der CDU kurz darauf durch sein öffentliches Eingeständnis bekannt wurde. Als Maier den Altkanzler Anfang November 1999 vernehmen wollte, lehnte das bayerische Justizministerium kategorisch ab. „Die Augsburger bringen uns noch das ganze Land durcheinander“, soll es im Ministerium geheißen haben. Die CSU-Mehrheit im Untersuchungsausschuss wollte hier jedoch „keine unsachliche oder politische Einflussnahme“ sehen.

Aus Maiers Sicht bemerkenswert war ferner, dass die Anwälte von Schreiber, Pfahls und Kiep interne Informationen aus Polizeicomputern und Akten der Staatsanwaltschaft kannten, bevor sie auf offiziellem Wege davon hätten wissen können. Auch der Streit um kritische Einschätzungen zu Schreibers politischen Verbindungen, die Maiers Vorgesetzte später aus der Hauptakte der Ermittler entfernten, passt dazu, wenngleich die CSU-Mehrheit im Untersuchungsausschuss auch hier keinen Grund zur Beanstandung sah. Und als im Sommer 1999 der Generalstaatsanwalt dem seit zwei Jahren an dem Fall arbeitenden Maier nahelegte, die Verfahren gegen Kiep, Pfahls und Co. an andere Abteilungen abzugeben und sich nur noch um die Thyssen-Manager zu kümmern, da sei das nur als Vorschlag zur Arbeitsentlastung gemeint gewesen. Eine von Maier erinnerte „zwingende Anregung“, sich nur noch um die politisch wenig brisanten Fälle zu kümmern, habe es nicht gegeben, stellte der Untersuchungsausschuss fest.

Dass die Verhaftung von Holger Pfahls, Ex-Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium und politischer Ziehsohn von Franz Josef Strauß, verzögert wurde, komplettierte für Maier das Bild. Im April 1999 wollte er den bereits von einem Richter erlassenen Haftbefehl vollziehen. Der Generalstaatsanwalt stoppte dies jedoch, um den Haftbefehl mehrere Tage lang juristisch zu prüfen. Aus Maiers Sicht ein unrechtmäßiger Eingriff, aus Sicht des Untersuchungsausschusses ein zulässiger. Auf jeden Fall einer mit Folgen: Der damals in Singapur arbeitende Pfahls tauchte ab und wurde erst Jahre später geschnappt.

Maier versuchte, trotz allem weiter zu ermitteln. Doch spätestens seit Ende 1999 – als die Affäre Schreiber sich zur CDU-Spendenaffäre ausweitete – nahmen die Blockaden aus seiner Sicht noch einmal zu. Am Ende suchte er Zuflucht in blankem Sarkasmus. Im Februar 2000 war er als Zeuge vor dem Untersuchungsausschuss des Bundestages zur Spendenaffäre geladen – sein letzter Auftritt als Staatsanwalt. Als ihn der Vorsitzende fragte, ob er, Maier, für das Schreiber-Verfahren zuständig bleibe oder abgelöst werde, antwortete er: „Kann denn ein Staatsanwalt, der das Recht des unbescholtenen Bürgers auf Nichtentdeckung seiner Straftaten permanent verletzt, hoffen, dass er Karriere macht?“

Musste Maier also gehen, weil er als unbestechlicher Ermittler nicht tragbar war? „Nicht belegbar“ erwiderte die CSU im bayerischen Untersuchungsausschuss. Das Gremium urteilte, dass es jenseits der „gebotenen Dienstaufsichtspflicht“ keinen politisch motivierten Einfluss gab. Es sei dem eifrigen Ermittler nur hin und wieder von Vorgesetzten klargemacht worden, dass er als Staatsanwalt weisungsgebunden sei.

Maier sah das anders. Er fühlte sich zunehmend gemobbt und abgekanzelt, so hat er es immer wieder durchblicken lassen, vor allem von den übergeordneten Behörden in München, aber auch von seinem Augsburger Behördenchef Reinhard Nemetz, der erst nach Beginn der Schreiber-Ermittlungen, im Herbst 1999, in diese Position aufstieg. Kurz zuvor war Maiers früherer Chef, der als ebenso unnachgiebig und unabhängig galt, in der Hochphase der Ermittlungen im April 1999 bei einem Autounfall tödlich verletzt worden. Die Umstände wurden nie ganz aufgeklärt, ein Fremdeinwirken auf das von der Fahrbahn abgekommene Unfallauto schlossen die Gutachter aber aus.

Anfang 2000 reichte es Maier. Er wechselte in den Richterstand. Für ihn selbst und die Oppositionsparteien hing dieser Abgang klar mit den Behinderungen bei den Schreiber-Ermittlungen zusammen. Die Behördenleitung und die CSU-Mehrheit im Untersuchungsausschuss dagegen sehen den Wechsel von der Staatsanwaltschaft ins Richteramt einfach als berufliche Verbesserung.

Wenn heute in Augsburg die mehr als 150-seitige Anklageschrift verlesen wird, dürften sich große Teile von Maiers Arbeit darin wiederfinden – aber eben nicht alles, was er und seine Kollegen vielleicht noch an Belastendem hätten finden können. Unpolitisch muss der Prozess trotzdem nicht werden. Wie weit Schreibers Verstrickung mit damaligen politischen Akteuren in Bayern und Bonn im Prozess offengelegt wird, ist eine der spannenden Fragen, auf die sich eine Antwort wohl erst im Verlauf des Prozesses abzeichnen wird.

Als Maier den Fall vor zehn Jahren für sich abschloss, lautete die von ihm verfasste Anklage auf Steuerhinterziehung, Bestechung sowie Beihilfe zu Untreue und Betrug. Doch nachdem Schreiber im vergangenen Sommer seine kanadische Luxuswohnung gegen eine Neun-Quadratmeter-Zelle tauschen musste, wurde der Haftbefehl abgeschwächt. Das Landgericht ließ den Bestechungsvorwurf fallen, da der Haftgrund verjährt sein könnte. Die Staatsanwaltschaft ist allerdings überzeugt, Schreiber auch so juristisch belangen zu können, da sich die Anklage zum großen Teil auf den Vorwurf der Steuerhinterziehung bezieht. Insgesamt soll Schreiber aus den Prämien für von ihm eingefädelte Flugzeug- und Panzerverkäufe in den Jahren 1988 bis 1993 umgerechnet rund elf Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Das Urteil könnte für den 75-Jährigen lebenslänglich bedeuten: Bis zu 15 Jahre Gefängnis drohen ihm laut Staatsanwaltschaft.

Selbst wenn die Anklage heute abgeschwächt werden sollte, dürfte sie genug politischen Sprengstoff bergen. Versucht Schreiber, den Verbleib seiner Zuwendungen zu erklären, könnten auch ein paar politische Empfänger genannt werden. Doch wer Schreiber kennt, weiß: Er hat ein taktisches Verhältnis zur Wahrheit. Ob und wie viel er auspackt, wird einzig vom möglichen Nutzen abhängen, den er sich im Prozess davon verspricht.

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