zum Hauptinhalt
Was Israels Luftwaffe übrig ließ. Ein junger Palästinenser durchstreift die Ruine eines Verwaltungsgebäudes in Gaza.

© dpa

Waffenruhe im Nahen Osten: In der Nacht keine Angriffe mehr auf Israel und in Gaza

Die vereinbarte Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas scheint zu halten. Doch die Aussichten auf eine Lösung des Konflikts sind dadurch nicht größer geworden.

Die Waffenruhe zwischen Israel und der im Gazastreifen herrschenden Hamas hat zunächst gehalten. Eine Armeesprecherin in Tel Aviv sagte am Donnerstag, seit Mitternacht habe es keine Raketenangriffe mehr auf israelische Städte gegeben. Auch Israels Luftwaffe habe keine Ziele im Gazastreifen angegriffen.

Am Mittwochabend seien noch nach offiziellem Beginn der Waffenruhe fünf Raketen auf Israel abgefeuert worden. Die Schulen im Umkreis von bis zu 40 Kilometern Entfernung vom Gazastreifen blieben am Donnerstag noch geschlossen. Die Armee rief die Bevölkerung dazu auf, weiterhin wachsam zu sein.

Ägypten hatte die Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas vermittelt. Doch ohne die „Pendeldiplomatie“ der anderen Akteure wäre diese Einigung wohl nicht zustande gekommen. Denn die etwas heruntergekommene VIP-Lounge des Kairoer Flughafens war in den vergangenen Tagen Durchgangsstation für Spitzendiplomaten aus aller Welt. US-Außenministerin Hillary Clinton flog am Mittwoch zwischen Tel Aviv und Kairo hin und her, UN-Generalsekretär Ban Ki Moon war auf der gleichen Strecke unterwegs. Außenminister Guido Westerwelle musste sogar den halben Dienstagabend in der Lounge mit den abgewetzten Sesseln verbringen.

Alle riefen nach der Feuerpause, die den seit einer Woche andauernden Krieg zwischen Israel und den radikalen Palästinensergruppen im Gazastreifen nun beenden soll. Doch wem hat dieser Krieg genutzt? Und wie groß sind die Chancen darauf, dass diese Waffenruhe mehr ist als nur eine kurze Feuerpause?

Arabische Kommentatoren sehen derzeit vor allem zwei Sieger: Israels Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu und Chaled Meschaal, den Vorsitzenden des Politbüros der Hamas-Bewegung. Netanjahu hat die Infrastruktur der Hamas zerbombt und damit Pluspunkte für den bevorstehenden Wahlkampf gesammelt. Meschaal hat sich, indem er von Ägypten als Verhandlungspartner ausgewählt wurde, im internen Machtkampf der Hamas einen klaren Vorteil verschafft. „Jetzt heißt der Führer Meschaal“, stellt die Zeitung „Al-Sharq Al-Awsat“ fest.

Auf der Verliererseite steht nicht nur nach Ansicht der Kairoer Zeitung „Daily News Egypt“ Palästinenserpräsident Mahmud Abbas. Dessen Vorstoß für eine Anerkennung Palästinas als „Nichtmitgliedsstaat“ bei den Vereinten Nationen – geplant für Ende November – werde durch den Krieg geschwächt. Der Raum für politische Lösungen sei dadurch weiter begrenzt worden.

Ob der ungleiche Schlagabtausch – die Zahl der palästinensischen Opfer ist wegen der militärischen Überlegenheit von Israels Armee viel höher als die der Gegenseite – dem Iran und Ägypten eher nützt oder schadet, steht dagegen noch nicht fest. Der Iran hat sich jetzt zwar mit seiner Militärhilfe für die Hamas gebrüstet. Mittelfristig könnte er jedoch als Partner der Islamisten von Golfstaaten wie Katar und Saudi-Arabien ersetzt werden.

Der ägyptische Präsident Mohammed Mursi, der die Leitlinien für seine Politik von der Muslimbruderschaft bezieht, konnte sich als Vermittler profilieren und dadurch auch das Wohlwollen Washingtons auf sich ziehen. Auf der anderen Seite muss er jedoch aus innenpolitischen Gründen stark darauf achten, nicht zu „israelfreundlich“ zu wirken. Vielleicht trat er deshalb nicht selbst vor die Fernsehkamera, um die Waffenruhe zu verkünden.

Die Ereignisse vor der Waffenruhe ließen wenig Hoffnung.

Dabei hatte es am Mittwoch zunächst so ausgesehen, als sei eine Waffenruhe in weite Ferne gerückt: Um 12.03 Uhr explodierte in einem Tel Aviver Linienbus eine kleinere Bombe: Es gab zwar keine Toten, aber viele Verletzte. Ein Attentäter konnte fliehen. Israel war im Schockzustand. Unbeschreiblicher Jubel dagegen in Gaza, vor allem in den Medien: Der Anschlag galt als geglückte Rache für die gezielte Tötung des Hamas-„Generalstabschefs“ Ahmed al Dschabari durch Israel vor einer Woche, den Auslöser der seither andauernden Kämpfe. Israels Luftwaffe reagierte prompt mit neuen Bombardements von Zielen in Gaza-Stadt.

Die Freudenfeste in den Straßen lösten sich schnell auf. Tausende Palästinenser flohen in die als sicher geltenden Schulen der UNWRA-Flüchtlingshilfe. Trotzdem beklagten die Palästinenser weitere zwölf Tote. Hamas, Islamischer Jihad und ihre elektronischen Medien brachen ihre Berichterstattung über die Waffenstillstandsverhandlungen in Kairo und deren Kommentierung abrupt ab. Kein Wort mehr dazu, aber stundenlange Lobeshymnen zum Tel Aviver Anschlag.

Drei Gründe sprachen am Mittwoch trotz des Anschlags aus israelischer Sicht für einen Abschluss der Waffenruheverhandlungen: Clintons Präsenz vor Ort, der Zwang für die Hamas, sich nach dem aus europäischen Hauptstädten und natürlich auch den USA scharf verurteilten Anschlag etwas flexibler zu geben, und schließlich die Tatsache, dass Mursi noch am Mittwochabend zu einem Staatsbesuch nach Pakistan abreisen sollte.

Das Spitzentrio der Regierung – Netanjahu, Verteidigungsminister Ehud Barak und Außenminister Avigdor Lieberman – gab sich zwar Richtung Gaza rhetorisch drohend, strebte aber in Wirklichkeit ein Ende der Kämpfe an. Die Besuche Clintons und von UN-Generalsekretär Ban, aber auch des deutschen Außenministers Westerwelle (der deutschen Diplomatie werden israelischerseits große Verdienste um die anstehende Waffenruhe zugeschrieben) machten der Regierung Netanjahu zwei Dinge klar: Erstens stehen Amerikaner und Europäer nach wie vor geschlossen für Israels Recht auf Selbstverteidigung ein; zweitens aber droht die fast bedingungslose Unterstützung abzubröckeln und würde im Falle einer Bodenoffensive ins Gegenteil umschlagen.

Die israelische Bevölkerung sprach sich in allen Umfragen klar gegen eine Bodenoffensive aus, allerdings wohl nicht die am meisten unter dem seit über sechs Jahren andauernden Raketenterror leidenden Einwohner des Südens und Südwestens. Eine Bodenoffensive hätte deutlich höhere Opferzahlen bedeutet und eine lang anhaltende Militärpräsenz im Gazastreifen mit verheerenden Folgen nach sich, gezogen warnten hohe Ex-Militärs. Die Wähler, die am 22. Januar vorzeitig die Knesset wählen werden, würden den Regierenden größere eigene Opferzahlen nicht verzeihen. (mit dpa)

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false