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Wahl in Afghanistan: Alles zählt

Zum zweiten Mal waren die Afghanen aufgefordert, ihren Präsidenten zu wählen. Wie verlief der Tag?

Hamid Karsai war einer der Ersten. Kurz nach sieben Uhr morgens verließ der 51- Jährige den hoch gesicherten Präsidentenpalast, um in einer nahe gelegenen Jungenschule seine Stimme abzugeben. „Keine Gewalt, keine Gewalt“, rief er in die Kameras. Millionen Afghanen haben am Donnerstag mutig den radikalislamischen Taliban getrotzt, um einen neuen Präsidenten zu wählen. Sie taten dies unter Lebensgefahr. Viele blieben aus Angst aber auch zu Hause. Die Rebellen versuchten mit Anschlägen, Selbstmordattentätern und Raketen, die Menschen von den Wahlurnen fernzuhalten. Mehrere Afghanen wurden getötet.

Wie hoch war die Wahlbeteiligung?

Die Terrorkampagne der Taliban hatte Folgen. Die Wahlbeteiligung schien schwächer als bei der ersten direkten Präsidentenwahl in der Geschichte des Landes vor fünf Jahren. Wie schwach, blieb zunächst unklar. Der Direkter der afghanischen Wahlkommission, Azizullah Loudin, behauptete, die Beteiligung sei „hoch“. Tatsächlich dürfte es aber Tage dauern, bis belastbare Zahlen eintreffen. Drei Viertel der Afghanen leben in entlegenen Dörfern auf dem Lande. Hier entscheidet sich die Wahlbeteiligung.

Welche Rolle spielte die Sicherheitslage?

Während sich im relativ sicheren Norden Schlangen vor vielen Wahllokalen bildeten, trauten sich im kriegsgebeutelten Süden, der als Taliban-Land gilt, allem Anschein nach weit weniger Menschen an die Urnen. In Kandahar, der größten Stadt im Süden, war einem Regierungsbeamten zufolge die Beteiligung etwa 40 Prozent geringer als 2004. Im östlichen Jalalabad tauchten in einigen Distrikten angeblich überhaupt keine Wähler auf. Daran änderten auch rund 300 000 in- und ausländische Soldaten nichts, die die Abstimmung sichern sollten. Afghanistans Wahlkommission entschied am Nachmittag, die Wahllokale bis fünf Uhr und damit eine Stunde länger offen zu lassen, um mehr Menschen die Chance zur Stimmabgabe zu geben. Elf Prozent der insgesamt 7000 Wahllokale mussten aus Sicherheitsgründen gleich ganz dicht bleiben.

Wer profitiert davon – und wer nicht?

Eine schwache Beteiligung im Süden könnte vor allem Amtsinhaber Karsai Stimmen kosten. Der Präsident hat im paschtunischen Süden seine Hochburgen. Dagegen könnte sein gefährlichster Rivale, der frühere Außenminister Abdullah Abdullah, von diesem Wahlmuster profitieren. Seine wichtigste Wählerbasis sind die Tadschiken, die 27 Prozent der Afghanen ausmachen und vor allem im Norden beheimatet sind.

Wann ist mit einem Ergebnis zu rechnen?

Ein vorläufiges Wahlergebnis wird erst am 3. September erwartet. Von den mehr als 30 Bewerbern werden Karsai zwar die größten Chancen eingeräumt. Aber es ist fraglich, ob er schon im ersten Wahlgang die notwendige Mehrheit von über 50 Prozent einholt. In diesem Fall käme es zu einer Stichwahl im Oktober zwischen den beiden Erstplatzierten. Dies könnte auch die Karten im Machtpoker völlig neu mischen. Beide Kandidaten dürften bemüht sein, möglichst viele Unterstützer hinter sich zu scharen.

Welchen Einfluss hatten die Taliban?

Wenn sich viele Menschen nicht zur Stimmabgabe trauten, könnte dies die Legitimität der ganzen Wahl infrage stellen. „Eine geringe Wahlbeteiligung in einem Klima der Angst würde die Macht der Taliban demonstrieren und die Regierung schwächen“, warnte Haorun Mir, Direktor des afghanischen Center for Research and Policy Studies. Mit einer Welle von Anschlägen hatten die Taliban in den Wochen vor der Abstimmung versucht, die Wähler einzuschüchtern und den Westen vorzuführen.

Trotz massiven Truppenaufgebots gab es auch am Wahltag viele Anschläge und zahlreiche Tote. Nach Regierungsangaben starben neun Polizisten, acht Soldaten und neun Zivilisten. Vier Selbstmordattentäter hätten sich in die Luft gesprengt, erklärte Verteidigungsminister Abdul Rahim Wardak. In der nordafghanischen Provinz Baghlan wurden 21 Taliban-Kämpfer sowie ein Distrikt-Polizeichef bei Gefechten getötet. Insgesamt zählte das Verteidigungsministerium 135 Angriffe. Sicherheitskräfte hätten sechs Selbstmordattentäter noch vor der Tat stoppen können, sagte Wardak.

Was bedeutet der Ausgang der Wahl für die internationale Politik?

Die Wahl gilt als Test für die neue Afghanistan-Strategie von US-Präsident Barack Obama und den Einsatz am Hindukusch. Obama hatte die US-Truppen massiv aufgestockt, um den Aufstand der Rebellen unter Kontrolle zu bekommen. Inzwischen sind mehr als 100 000 ausländische Soldaten im Land, darunter auch 4200 Deutsche. Den USA und ihren Verbündeten ist daher daran gelegen, den Urnengang zum Erfolg zu machen – oder ihn zumindest so darzustellen. Umgekehrt wollen die Taliban die Legitimität der Wahl untergraben.

Richard Holbrooke, der US-Beauftragte für Afghanistan, demonstrierte Zuversicht: „Bislang hat sich jede Vorhersage eines Desasters bei der Wahl als falsch herausgestellt“, sagte er.

Wurden Manipulationen festgestellt?

Neben dem Terror überschatteten auch anhaltende Klagen wegen Wahlbetrugs in großem Stil den Urnengang. Insgesamt waren 17 Millionen Stimmberechtigte registriert worden – nach Ansicht von Experten weit mehr Wähler, als es gibt. 2004 waren es nur 12,5 Millionen gewesen. Auf dem Schwarzmarkt ließen sich angeblich Stimmkarten für einen bis zehn Dollar kaufen. Selbst eine Stimmkarte für das blonde US-Popidol Britney Spears soll in Kabul aufgetaucht sein. Die wahre Wahlbeteiligung wird man daher wohl nie erfahren. Bis heute ist noch nicht einmal genau bekannt, wie viele Menschen in Afghanistan leben – die Zahlen schwanken zwischen 28 und 34 Millionen.

Der Präsidentschaftskandidat Ramasan Baschardost bezeichnete die Wahl als Farce. Er habe die vermeintlich nicht entfernbare Farbe am Finger, der Beweis, dass bereits gewählt wurde, abwaschen können. „Das ist keine Wahl, das ist eine Komödie“, sagte Baschardost, dem Umfragen einen Stimmenanteil von zehn Prozent vorhersagten. Er forderte die Behörden auf, die Wahl sofort abzubrechen.

Christine Möllhoff

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