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Recep Tayyip Erdogan, Präsident der Türkei.

© Reuters

Wahl in der Türkei am Sonntag: Recep Tayyip Erdogan strebt islamisch-konservative Dominanz an

Recep Tayyip Erdogan denkt keineswegs nur an sich und seine Macht, wenn am Sonntag gewählt wird. Er will ein System einführen, das die islamisch-konservative Dominanz in der Türkei auf Dauer festschreibt und säkulare und fortschrittliche Kräfte an den Rand drängt. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Susanne Güsten

Die 54 Millionen Wähler in der Türkei entscheiden an diesem Sonntag nicht nur über die Zusammensetzung ihres Parlaments für die kommenden vier Jahre. Die Wahl ist eine Vorentscheidung für einen radikalen Wandel, der von Präsident Recep Tayyip Erdogan gefordert wird. Die politische Ordnung im wichtigen Nato-Staat an der Grenze zur Unruheregion Nahost könnte auf Jahrzehnte hinaus verändert werden.

Erdogan verlangt eine Umstellung von einer parlamentarischen Demokratie auf ein Präsidialsystem und will diesen Wechsel einleiten, wenn seine Regierungspartei AKP bei der Wahl am Sonntag eine ausreichende Mehrheit für die Verfassungsänderungen erhält. Kritiker werfen Erdogan vor, alle Macht auf sich selbst konzentrieren und demokratische Kontrollmechanismen außer Kraft setzen zu wollen. Erdogan und die AKP weisen das zurück und sprechen von einer längst überfälligen Modernisierung des Staates, um die Türkei auch auf internationaler Bühne weiter nach vorn zu bringen.

Der Knackpunkt liegt jedoch nicht in der System-Diskussion und auch nicht in Erdogans persönlichem Machtstreben. Bei der Präsidenten-Herrschaft denkt Erdogan nicht nur an sich selbst und an die eigene Karriere. Er will die Vormachtstellung der islamisch-konservativen Türken auf Dauer festschreiben.

Er hat die Mehrheitsverhältnisse genau im Blick

Dabei hat er die Mehrheitsverhältnisse in der Wählerschaft fest im Blick. Laut Meinungsforschern bezeichnen sich zwei von drei Türken als fromme Muslime. Erdogan hat die AKP, die in ihrer Anfangszeit auch Liberalen und Bürgerlich-Konservativen eine politische Heimat bot, in den vergangenen Jahren konsequent zu einer Partei umgebaut, die islamische Werte, das osmanische Erbe und die angeblich aggressive Haltung des christlichen Westens gegenüber der islamischen Welt betont. Im Parlamentswahlkampf trat Erdogan mehrmals mit dem Koran in der Hand auf. Von seinen Anhängern lässt er sich als Nachkomme der mächtigen osmanischen Sultane feiern.

Erdogans Neuausrichtung der AKP gelang, weil seine Regierung den türkischen Normalbürgern mit einem Wirtschaftsaufschwung einen noch nie da gewesenen Wohlstand bescherte. Gleichzeitig wandelte sich die AKP seit ihrem Regierungsantritt 2002 zur Staatspartei: Gute Verbindungen zur AKP oder ein Parteibuch sind heute Voraussetzungen für so manche Karriere in staatlichen Einrichtungen und in der Bürokratie.

Mit seinen 61 Jahren ist Erdogan längst noch nicht am Ende seiner Laufbahn, doch mit dem Präsidialsystem blickt er weit über seine eigene aktive Zeit hinaus. Seit einer Verfassungsänderung im Jahr 2007 wird der Präsident direkt vom Volk gewählt – was den islamisch-konservativen Wählern angesichts ihrer strukturellen Mehrheit eine dominante Position verschafft. Nun will Erdogan das eher zeremonielle Präsidentenamt zum Zentrum der Macht ausbauen. Dann dürften die Geschicke des Landes auch nach Erdogans Abgang von einem islamisch-konservativen Politiker bestimmt werden.

Das ist eine Verschiebung, die weit über einen Wechsel von einem demokratischen Regierungssystem zum anderen hinausgeht. So wie die Türkei jahrzehntelang von einem Machtmonopol säkularistischer Eliten beherrscht wurde, könnte diese Wahl nun die Fundamente für eine Ära islamisch-konservativer Macht legen. Das ist die Richtungsentscheidung, vor der die türkischen Wähler stehen.

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