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© dpa

Wahl in Russland: "Wie zu Sowjetzeiten"

Wer in Russland nicht wählen will, hat es nicht leicht. Nach dem Prinzip Zuckerbrot und Peitsche werden die Bürger an die Urnen getrieben. Vereinzelt wird Kritik laut - das Ergebnis steht dennoch so gut wie fest. Fast wie früher.

Für Moskaus Souvenirhändler am Roten Platz stand Dmitri Medwedew als Sieger der russischen Präsidentenwahl am Sonntag lange vor Schließung der Wahllokale fest. "Präsident Russlands" stand in kyrillischen Buchstaben auf den Holz-Steckpuppen mit dem Bild des bisherigen Vizeregierungschefs, die in dichtem Schneeregen für 200 Rubel (rund 5,50 Euro) zu haben waren. "Die Matrjoschkas haben wir schon vor Wochen fertigen lassen", sagt die Verkäuferin Jekaterina.

Allerorts wehten in der russischen Metropole Fahnen mit der Parole "Russland - Vorwärts!". Allein auf der 494 Meter langen Nowoarbatski- Brücke vor dem Weißen Haus, künftig möglicherweise der Amtssitz eines Regierungschefs Wladimir Putin, knatterten 168 der Flaggen im Wind. Landesweit wies an Wahllokalen russische Volksmusik Wählern den Weg, um trotz des absehbaren Ergebnisses eine hohe Beteiligung zu sichern. In Schulen führten Kinder zur Unterhaltung der Wähler Konzerte und Tänze auf. Und vielerorts lockten Wahlhelfer mit heißen Getränken und traditionellen Blini-Pfannkuchen ihre Landsleute an die Urnen.

Wahlzwang wie zu Sowjetzeiten

In ganz Russland beklagten sich allerdings viele Menschen über den starken Druck von ihren Arbeitgebern, Medwedew als "Garant für eine gute Zukunft" zu wählen. Das berichtete die Zeitung "Nowaja Gaseta". Krankenhäuser, Schulen und Universitäten, Behörden, die Streitkräfte und Gefängnisse - sie alle hätten eine hohe Wahlbeteiligung sichern sollen. "Bei uns mussten alle bis 13 Uhr gewählt und den Chefarzt angerufen haben", sagte die Ärztin Tatjana Tschipkowoi in einer St. Petersburger Kinderklinik. Wer nicht spurte, erhielt einen Anruf auf dem Mobiltelefon. Die Mitarbeiter mussten um ihre Prämien fürchten.

Ebenfalls in Medwedews Geburtsstadt St. Petersburg rief die Schuldirektorin Larissa Klewzowa alle Klassenlehrer auf, "Eltern zum Teetrinken am Wahltag" in die Schule einzuladen. Wer dabei eine 100- prozentige Wahlbeteiligung erreichte, erhielt 10.000 Rubel (rund 275 Euro) Prämie. "Die Regierung bezahlt Sie - Sie kennen Ihre Pflicht!", war Klewzowas Ansage. Wer in Moskau Rentner befragte, die sich durch den Schneematsch kämpften, bekam oft zu hören: "Wie zu Sowjetzeiten geht man wählen, weil man muss."

Auf der Straße: Kritik an Putin

Der in einem Moskauer Fitnessclub beschäftige Trainer Alexej ging hingegen nicht zur Abstimmung. "Mein Kandidat ist nicht dabei", begründet der 54-Jährige seine Entscheidung. "Unserem Land fehlt ein echter Liberaler, der auf die Einhaltung der Gesetze pocht, die es ja gibt", klagt Alexej. Die liberale Opposition war von den Behörden erst gar nicht zur Wahl zugelassen worden. Der Kraftsportler sieht im Gegensatz zu Putin noch vieles im Argen. "Es fängt doch an bei der Korruption und den ungerechten Urteilen vor Gericht und endet bei den Hundehaufen auf der Straße und bei Doping im Sport", sagt Alexej. Putin und Medwedew bräuchten zu lange für echte Änderungen.

Ähnlich sieht es der Moskauer Germanistikstudent Maxim. "Unsere Universität hat Druck gemacht, dass wir wählen gehen sollen. Mit rund 20 Kommilitonen haben wir aber beschlossen, 'Nicht mit uns' auf die Wahlzettel zu schreiben", sagt der 23-Jährige vor der Stimmabgabe. "Man behandelt uns Bürger wie Kinder, denen man nicht traut, dass sie richtig wählen", betont Maxim. Er persönlich finde Medwedew durchaus sympathisch und hätte vielleicht gar für ihn gestimmt. "Aber wenn diese kremlnahe Wahlleitung die Zahl der Kandidaten auf solch dubiose Weise beschränkt, fühle ich mich nicht respektiert und auch nicht zur Wahl aufgerufen", sagt der Moskowiter kopfschüttelnd.

Medwedew-Wodka bereits in Planung

Von einem Wahlsieg des Favoriten ging nicht nur Souvenirhändlerin Jekaterina am Roten Platz, sondern auch Russlands Wodka-Industrie aus. Mehrere Produzenten haben beim staatlichen Patentamt schon die Registrierung von Wodka-Marken wie "Zar-Medwed" und "Medwedewka" beantragt, berichtete die Wirtschaftszeitung "Wedomosti". 

Wolfgang Jung, Ulf Mauder[dpa]

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