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WAHL Weise 27. SEPTEMBER: Gar nicht lustig

Rainer Woratschka erwartet von Ulla Schmidt mehr Selbstironie

Es hätte ein muntere Veranstaltung werden können, gewürzt mit dem, was wir alle in diesem Wahlkampf so schmerzlich vermissen: Pfeffer und ein paar ordentliche Spritzer Selbstironie. Ein kluger Psychiater, ein wüster Polemiker und eine sich gern als rheinische Frohnatur anpreisende Gesundheitsministerin parlieren über die Normalität der sogenannten Verrückten und den Irrsinn sogenannter Normalos. „Wir behandeln die Falschen“, lautet die These des Psycho-Doktors und Autors Manfred Lütz – eine Einladung zu witzig-spritzigen Wortgefechten über den Politikbetrieb, das Gesundheitssystem und all seine verbissenen Akteure, rechtzeitig vor dem Urnengang. Doch was kommt heraus? Eine brave Buchvorstellung mit einer Amtsträgerin, die ihre Pflicht erledigt, die Kür verpasst und offenbar einfach schon zu lang im Geschirr ist, um mal aus dem Politikersprech herauszufinden.

Dabei mühen sich die beiden anderen redlich – samt Moderator, der die Ministerin mit dem Schreckgespenst aus der Reserve zu locken versucht, dass auf die Krankenkassen nun womöglich noch die Behandlungskosten für die vielen, bislang als ganz normal verstandenen Selbstdarsteller, Egomanen und Wirtschaftskriminellen zukommen könnten. Ulla Schmidt lächelt, lacht auch mal, widmet sich dann aber stocksteif der Beschreibung ihres politischen Mühens um Demenzkranke, den Abbau von Stigmatisierung und dem, was sie, streng im Fachjargon, Teilhabe nennt.

Da hilft es nicht, dass sich Lütz über „Political Correctness“ lustig macht und über die, die lieber gar nichts sagen als irgendwas Unkorrektes. Es hilft auch nicht, dass der Publizist Henryk M. Broder die Existenz einer Patientenbeauftragten der Bundesregierung als „fortgeschrittenes Phänomen des alltäglichen Wahnsinns“ verspottet und am Ende die „Sozialdemokratisierung“ der Gesellschaft als Wurzel allen Übels darstellt. Die Sozialdemokratin Schmidt scheint das alles genauso zu sehen. Oder witzig zu finden. Oder sich in solcher Runde bloß nichts dagegen zu sagen zu trauen.

Also gut, keine Selbstironie. Aber warum dann nicht wenigstens ein bisschen Feuer? Als sich Broder zu der These versteigt, dass die Halbierung der Sozialarbeiterstellen garantiert den schönen Effekt von nur halb so vielen Sozialfällen nach sich zöge, überlässt die Ministerin den Erregungspart zwei älteren Damen im Publikum. Nicht auszudenken, wenn der Koalitionspartner solches geäußert hätte. Aber das traut sich ja nicht mal die FDP. Gut, dass der Irrsinn des nicht stattgefundenen Wahlkampfs bald vorbei ist – und dann wieder dem des Regierens Platz macht.

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