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Stimmabgabe in Prenzlauer Berg.

© imago/Seeliger

Wahlanalyse der Forschungsgruppe Wahlen: Viele Alternativen, viel Bewegung

Eine erste Analyse des Wahlergebnisses und der Wähler-Motivationen durch die Forschungsgruppe Wahlen.

Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus in Berlin hat die SPD Verluste, die CDU fällt auf ihr schlechtestes Berlin-Ergebnis. Nach Baden-Württemberg und Sachsen-Anhalt sind beide Parteien gemeinsam nun auch im Land Berlin nicht mehr mehrheitsfähig. Die Grünen verlieren leicht, die Linke legt zu und neben der AfD schafft es die FDP souverän ins Abgeordnetenhaus.

Die Berliner Wähler hatten besonders viele Alternativen

Die Forschungsgruppe Wahlen sieht das Ergebnis vor allem als Ausdruck der „inzwischen typischen Berliner Verhältnisse“, wo bei einem traditionell schwach bewerteten Senat in einer heterogenen Parteienlandschaft viele Alternativen existieren. Profitieren können deshalb vor allem außerparlamentarische Parteien – und die SPD holt zwar die meisten Stimmen, aber auch das schwächste Ergebnis einer stärksten Partei bei Landtagswahlen. SPD-Spitzenkandidat Michael Müller schafft nach knapp zwei Jahren im Amt mit 1,3 auf der +5/-5-Skala zwar nicht ganz die Beliebtheitswerte von Vorgänger Klaus Wowereit (2011: 1,6), erzielt aber die klar höchste Reputation aller Kandidaten. CDU-Herausforderer Frank Henkel bleibt mit -0,1 (2011: 0,3) wie alle CDU-Spitzenkandidaten seit Eberhard Diepgen extrem schwach. Als Regierenden Bürgermeister wollen 55 Prozent der Befragten Müller und lediglich 21 Prozent Henkel.

Das Ansehen der SPD ist noch relativ gut

Wichtige weitere Faktoren für den SPD-Vorsprung sind ihr lokales Parteiansehen,  Kompetenzen in sozialen Bereichen - und eine indisponierte Berlin-CDU, die neben großen personellen und qualitativen Defiziten auch ein Imageproblem hat: Beim Ansehen (+5/-5-Skala: 0,0) liegt sie nicht nur klar bis deutlich hinter Grünen (0,6) und SPD (1,3), sondern wird jetzt auch von der Linken (0,1) eingeholt, die ähnlich wie die Grünen von Koalitionswünschen profitiert – auch wenn beide die Wähler in den einzelnen Politikfeldern nur bedingt überzeugen. So fänden 44 Prozent einen rot-grün-roten Senat gut, aber nur 34 Prozent eine rot-schwarze Neuauflage (schlecht: 41 bzw. 47 Prozent) – die rechnerisch jetzt auch gar nicht mehr möglich ist.

Für das schlechte Image der Regierungskoalition ist vor allem die CDU verantwortlich

Die Regierungsarbeit der CDU wird nur mit -0,2 bewertet, wogegen die SPD 0,6 erreicht. Sachpolitisch gilt die SPD bei Jobs, Wirtschaft und Bildung als führend. Für 85 Prozent werden „die Unterschiede zwischen Arm und Reich immer größer“ und für ebenfalls 85 Prozent gibt es „kaum noch bezahlbare Wohnungen“ – dazu vertrauen die meisten Bürger bei sozialer Gerechtigkeit und Wohnungsmarkt auf klassische SPD-Politik, aber auch von der Linken wird in diesem Bereich viel erwartet.

Die Flüchtlingspolitik sehen die meisten Wähler – bis auf die der AfD – entspannt

Das Thema Flüchtlingspolitik trifft in Berlin insgesamt auf eine optimistische Grundstimmung: 60 Prozent aller Befragten denken, dass die Stadt die Flüchtlinge gut verkraften wird. Zur Flüchtlingspolitik fühlen sich laut Forschungsgruppe Wahlen jeweils 19 Prozent bei SPD bzw. CDU am besten aufgehoben, 13 Prozent bei den Grünen, 12 Prozent bei den Linken und  12 Prozent bei der AfD. Flankiert von ökonomischen Abstiegsängsten und dem Gefühl persönlicher Benachteiligung hat das Flüchtlingsthema für AfD-Wähler höchste Bedeutung und nur fünf Prozent von ihnen meinen, die Stadt könne die Zahl der ankommenden Flüchtlinge verkraften.

AfD-Wähler sehen ihre Stimmen als bundespolitischen Denkzettel

Außerhalb der AfD-Wähler war die Wahl sehr klar lokalpolitisch geprägt. Die AfD wird in Berlin dagegen nur von 44 Prozent wegen ihrer „politischen Forderungen“ gewählt, aber von 53 Prozent als „Denkzettel“ für die von CDU und SPD getragene Bundesregierung: AfD-Wähler bewerten sie (-2,1) und die Bundeskanzlerin (-3,1) extrem negativ. Alle Befragten bewerten die Bundesregierung mit 0,4 und Angela Merkel sogar mit 1,0 dagegen sogar leicht positiv.

Die CDU bricht bei den Älteren ein

93 Prozent der AfD-Wähler sehen in der Partei die „einzige Partei, die die Probleme beim Namen nennt“; von allen Befragten sehen das nur 24 Prozent so – allerdings deutlich mehr als sie Wähler gefunden hat. Besonders stark ist die AfD mit 18 Prozent bei den 45- bis 59-jährigen Männern. Bei allen ab 60-Jährigen erreicht sie in Berlin 14 Prozent. Das war bei bisherigen Landtagswahlen anders: Dort war sie in dieser Altersgruppe relativ schwach. – SPD und CDU liegen mit 28  bzw. 22 Prozent in der Generation 60plus weiter über ihrem Schnitt, speziell die CDU bricht hier aber mit minus elf Prozentpunkten regelrecht ein: Bei allen unter 60-Jährigen liegt sie hinter den Grünen und nur knapp vor der Linken.

Die Linke kann vor allem bei unter 30-Jährigen auf 17 Prozent (plus zehn) zulegen, die Grünen kommen hier auf 21 Prozent und bei den 30- bis 44-Jährigen auf 23 Prozent.

Grüne und CDU verlieren bei Beamten

Größere Verluste haben die Grünen (18 Prozent; minus vier) genau wie die CDU (27 Prozent; minus elf) unter Beamten - hier kann die SPD gegen den Gesamttrend etwas zulegen (23 Prozent; plus zwei); die FDP ist bei Selbstständigen stark (10 Prozent; plus acht).

Die Zahlen basieren auf einer telefonischen Befragung der Forschungsgruppe Wahlen unter 1.656 zufällig ausgewählten Wahlberechtigten im Land Berlin in der Woche vor der Wahl und auf der Befragung von 20.377 Wählern am Wahltag. (Tsp)

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