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Am 1. Oktober sind Parlamentswahlen in der Kaukasusrepublik. Viele Georgier hoffen, dass sich der politische Wind im Land drehen wird.

© Jana Demnitz

Wahlen in Georgien: Ein Präsident baut sich die Welt, wie sie ihm gefällt

In einer Woche finden in der Kaukasusrepublik Parlamentswahlen statt. Kurz vor den Wahlen ist die Stimmung im Land extrem angespannt. Der Präsident hat sich derweil in einen Bau-Rausch gestürzt. Ein Reisebericht exklusiv für Tagesspiegel Online.

Der Mischa, wie viele Georgier Präsident Michail Saakaschwili nennen, kommt von oben – mit dem Hubschrauber. Die letzten Meter zur Bagrati Kathedrale in Kutaisi, einer der ältesten und größten Kathedralen Georgiens, fährt er in seiner gepanzerten Limousine. Es ist ein warmes, sonniges Septemberwochenende. Noch zwei Wochen bis zu den Wahlen. Der Präsident eröffnet in der zweitgrößten Stadt Georgiens im Beisein hunderte seiner Anhänger ein Bauprojekt, das ihm besonders am Herzen liegt. Auf seinen persönlichen Wunsch hin wurde die zerstörte Kirchen-Ruine, die 2001 zum UNESCO-Kulturerbe ernannt wurde, in den vergangenen Jahren aufwändig saniert. Jetzt schützt ein grün leuchtendes Kupfer-Dach die Kathedrale vor Wind und Regen, helle Steinplatten verstecken die historische Fassade und an die Seitenwand wurde ein mattglänzender Metallkasten geschraubt – ein Fahrstuhl. Für den Präsidenten ein Geschenk an die Stadt. Für Fachleute ein „irreversibler Eingriff, der die Authentizität und Integrität der Kulturerbestätte beeinträchtigt“, wie die UNESCO feststellte und die Kathedrale auf die Liste der gefährdeten Weltkulturerbe setzte. Auch viele Menschen in Kutaisi wollten diese Art der Sanierung nicht. Eine öffentliche Debatte fand wie so oft in diesen Zeiten in Georgien darüber aber kaum statt. „Mit dem Präsidenten und seinem Machtapparat legt man sich besser nicht an“, sagt der georgische Begleiter, der seinen Namen lieber nicht in den Medien lesen möchte. Wie er haben auch viele andere Menschen große Angst davor, als Beamter den Job oder als Unternehmer die Firma zu verlieren.

Der Mischa fliegt in diesen Wochen sehr viel mit seinem Helikopter durchs Land – von Westen nach Osten, von Norden nach Süden und zurück. Am 1. Oktober sind in dem 3,5-Millionen-Einwohner-Land Parlamentswahlen. Saakaschwili selbst steht nicht zur Wahl, auch bei den Präsidentenwahlen im kommenden Jahr kann er nicht wieder antreten. Durch eine Verfassungsänderung fällt dem Premierminister aber zukünftig mehr Macht zu. Das Putin-Prinzip in Georgien? Saakaschwili bestreitet das bisher und dirigiert dennoch einen Wahlkampf, der aus täglichen Wahlkampfauftritten, permanenter Medienpräsenz und Einschüchterung der Menschen besteht. Aus dem einstigen Hoffnungsträger der Rosenrevolution von 2004 ist für viele Georgier ein korrupter Machtpolitiker geworden, der zudem das Land 2008 in einen Krieg gegen Russland führte.

Ausgerechnet der reichste Mann Georgiens Bidsina Iwanischwili und seine Partei "Georgischer Traum" haben Saakaschwili und seiner Regierungspartei „Vereinte Nationale Bewegung nun den Kampf angesagt und versprechen "mehr Demokratie und Meinungsfreiheit". Bis vor wenigen Monaten agierte Iwanischwili vor allem im Hintergrund. Mit Millionen US-Dollar hatte er die staatliche Polizeireform mitfinanziert. Er gab weitere Millionen für Universitäten, Schulen und Museen aus. Öffentlich trat der uncharismatische Mann nie in Erscheinung. Im vergangenen Jahr fiel Iwanischwili allerdings in Ungnade, nachdem er Saakaschwili und seinem Machtapparat vorwarf die Gerichte, Medien und Wirtschaft im großen Stil zu beeinflussen und zu kontrollieren. So wurde das Parlament von Tiflis nach Kutaisi verlagert, was de facto einer Machtbeschneidung gleich kommt, große Teile des Rundfunks wurden unter staatliche Kontrolle gebracht und Unternehmen wie der Ölkonzern WISSOL wurden in  Familienhände gelegt.

Zudem ähnelt das Land zwischen Schwarzem Meer und Kaukasus in diesen Wochen einer Groß-Baustelle. Tausende Hilfsarbeiter baggern, hämmern und bohren im Akkord für den Präsidenten. Im Nordwesten in der historischen Stadt Mestia, in der rund 3000 Menschen leben, wurde das komplette Zentrum neu aus dem Boden gestampft und hunderte Wohnungen neu gebaut, von denen keiner weiß, wer darin wohnen und die Häuser später erhalten soll. Am Rande der Stadt entstand ein Flughafen, der kaum genutzt wird und der ein Jahr nach der Eröffnung bereits vor sich hin bröckelt. In Telawi weiter östlich trieb die Bauwut sogar solche absurden Blüten, dass Straßen vor einem Wahlkampfauftritt von Saakaschwili erst geteert wurden, um wenig später wieder aufgerissen und gepflastert zu werden. Auf den Wahlplakaten der Regierungspartei heißt das dann: "Mehr Profit für das Volk". Und auch die Hauptstadt Tiflis wurde noch einmal auf Hochglanz poliert. Häuserzeilen und Straßen wurden im Schnellverfahren saniert. Direkt am Fuße des Präsidentenpalastes entsteht noch das neue überdimensionierte Justizministerium. Saakaschwili selbst sagt dazu: "Georgien erlebt eine Epoche der Wiederbelebung, wie es das Land seit 800 Jahren nicht gesehen hat." Was diese "Wiederbelebung" allerdings kostet, das sagt er nicht. Veröffentlicht hat die Regierung nur die Auslandsschulden und die belaufen sich aktuell auf 4,5 Milliarden US-Dollar. Eine gewaltige Summe für ein Land, das in etwa so groß ist wie Bayern. Allein im August stieg die Verschuldung um 200 Millionen US-Dollar.

Während in den Städten die Bagger rollen, bleiben vor allem die Menschen auf den Dörfern von der schicken neuen Glitzerwelt ausgeschlossen. Fast die Hälfte der Georgier wohnt immer noch unter einfachsten Verhältnissen auf dem Land. Oft ohne fließendes Wasser und regelmäßigen Strom. Nur wenige haben eine Gasversorgung. „Darum sollte sich Saakschwili mal kümmern“, schimpft ein Bauer in einem Weinberg in Kachetien. Auch viele staatliche Krankenhäuser sind 20 Jahre nach dem Ende der Sowjetunion in einem miserablen Zustand. Wie in der Urlaubsmetropole Batumi am Schwarzen Meer ist die Ausstattung der Klinken oft schlecht, die hygienischen Verhältnisse sind katastrophal und eine Computertomographie kostet 150,00 Georgische Lari, umgerechnet 75,00 Euro. Bei keiner staatlichen Krankenversicherung und einer Durchschnittsrente von 300,00 Lari für viele Menschen unbezahlbar. Um diese Probleme haben sich bisher weder Saakashwili noch Iwanischwili gekümmert. 

Dafür kennt sich  der Oligarch Iwanischwili, der sein Vermögen in den 90er Jahren mit Banken- und Versicherungsgeschäften und einem Apothekenhandel gemacht haben soll, auch im Kathedralen-Bau bestens aus. Auf einem Hügel hat er in Tiflis für mehrere Millionen Dollar die Sameba Kathedrale errichten lassen. Es gibt viele, sehr viele Kirchen und Klöster in Georgien und es kommen jährlich neue dazu. „Die Reichen spenden sehr viel für die Kirchen in unserem Land“, sagt ein georgischer Jungunternehmer. „Sie denken, sie können damit ihr schlechtes Gewissen rein waschen.“ Die orthodoxe Sameba Kathedrale in Tiflis ist die größte und prächtigste Kathedrale weit und breit. 

In der Bevölkerung ist eine Wechselstimmung zu spüren. Nur offen darüber sprechen, möchte keiner. "Saakashwili und seine Leute werden die Macht nicht freiwillig abgeben. Deshalb haben wir Angst vor dem Wahltag", sagt ein Mann besorgt in Tiflis. Mit dem aktuellen Folterskandal in zwei Gefängnissen hat der autoritär regierende Präsident wenige Tage vor der Abstimmung aber nun ein unerwartetes Problem, das er durch opulente Bauvorhaben und Einschüchterungen nicht wird lösen können.

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