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Heike Taubert und Sigmar Gabriel

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Wahlen in Thüringen und Brandenburg: Von Rot bis Blau - die Parteien sortieren sich neu

Wie geht die SPD mit ihrer Wahlniederlage in Thüringen um? Gibt's in Erfurt bald einen linken Ministerpräsidenten - oder eine Afghanistan-Koalition? Was sagt die CDU zu den AfD-Erfolgen? Der Tag nach den Wahlen.

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Womöglich ist Sigmar Gabriel wieder einmal etwas zu forsch gewesen: Als der SPD-Chef am Wahlabend das desaströse Abschneiden seiner Partei in Thüringen (12,4 Prozent) beschrieb, sprach er von einer zerstrittenen Landespartei und hantierte er mit Schlüsselbegriffen wie „Neuanfang“ und „Zäsur“. Nicht nur im Willy-Brandt-Haus, sondern auch in Erfurt empfanden das viele als Rücktrittsempfehlung an die gescheiterte Spitzenkandidatin Heike Taubert und an Landeschef Christoph Matschie.
Matschie beklagt sich am Montagmorgen in der Präsidiumssitzung in Berlin denn auch über den Ton Gabriels, hört aber auch Widerspruch, etwa von Parteivize Manuela Schwesig, die als Stimme des Ostens im Präsidium gilt. Wenige Stunden später ist klar, dass die Landes-SPD ihre Spitze tatsächlich neu ordnen wird.
Weil der SPD bei der Regierungsbildung in Erfurt die Schlüsselstellung zukommt, stellt sich die Frage, ob die Bundes-SPD sich einen größeren strategischen Vorteil aus der Fortsetzung der großen Koalition in Thüringen oder aus dem Experiment einer rot-rot-grünen Regierung erhofft. „Es wird von uns überhaupt keine Einflussnahme geben“, versichert Gabriel - und viele Indizien deuten darauf hin, dass angesichts der verfahrenen Lage in Erfurt die Führung der Bundespartei tatsächlich eher Abstand halten als intervenieren will.
Beide mögliche Regierungen verfügen nur über eine Stimme Mehrheit im Landtag. Zwar versichert Taubert auf die Frage, ob Rot-Rot-Grün überhaupt eine Option sei, ihre SPD habe gelernt, „dass man an einem Strick ziehen muss“, sie sehe „in der Fraktion keine Probleme“. Tatsächlich aber gilt auch wegen des Widerstandes von früheren SED-Opfern in der SPD gegen die Wahl des ersten Linkspartei-Ministerpräsidenten diese Koalition als risikoreichere Variante im Vergleich zu einer Fortsetzung der großen Koalition. Eine gescheiterte Ministerpräsidenten-Wahl würde zuerst der SPD angelastet - das Stigma „regierungsunfähig“ könnte auch in Berlin Schaden anrichten.

Die Parteilinke hat 2017 im Blick

Ein Argument war Gabriel wichtig: Nicht die Tatsache, dass die SPD in einer großen Koalition regiert habe, sei ihr zum Verhängnis geworden, das sei „vielleicht nicht so bedeutsam“. Entscheidend seien die dauernden Angriffe auf die SPD aus der CDU gewesen, die den Sozialdemokraten den Eindruck vermittelten, sie könnten nicht auf Fairness hoffen. Die unausgesprochene Botschaft heißt: In Berlin läuft es mit Angela Merkel für die SPD anders.
Die Mahnung des Parteichefs vom Wahlabend zeigt in Thüringen offenbar doch Wirkung - zumindest sollen Parteichef Matschie und Fraktionschef Werner Pidde abgelöst werden. Matschie-Nachfolger Andreas Bausewein, der Oberbürgermeister von Erfurt, hatte vor der Wahl für eine Juniorpartnerschaft der SPD mit der Linkspartei geworben. Bauseweins Aufstieg sei aber dennoch keine Vorfestlegung auf eine bestimmte Koalition, heißt es dazu aus Thüringer SPD-Kreisen.
Zwar wird in der Präsidiumssitzung am Montag nach Angaben aus Parteikreisen nicht über mögliche Lehren aus dem Thüringen-Desaster für die Bundestagswahl 2017 gestritten. Zumindest die Parteilinke aber hat das Datum im Blick und stellt einen Zusammenhang her. Parteivize Ralf Stegner erklärt etwa, der Einbruch der SPD in Thüringen sei „nicht gerade ein ermutigendes Signal für fünf Jahre große Koalition“.
Auf die Situation der SPD im Bund wirft das Abschneiden in Thüringen ein grelles Licht. SPD-Präsidiumsmitglieder können viele Gründe aufzählen, warum es bei der Bundestagswahl in drei Jahren besser laufen soll als im Jahr 2009, als ebenfalls vier Jahre Juniorpartnerschaft mit Angela Merkel hinter der SPD lagen. Damals, so das Argument, sei die Erinnerung an Schröders Reformpolitik noch viel unmittelbarer gewesen, seien viele Sympathisanten wegen der Rente mit 67 verärgert gewesen und habe schließlich der schnelle Verschleiß von gleich mehreren Parteichefs in den Jahren zuvor die Wähler verunsichert und strategische Schlagkraft verhindert. Eine Antwort darauf, wie die SPD aus der großen Koalition heraus Boden gutmachen und auf Bundesebene ihr bescheidenes Ergebnis von 25 Prozent steigern kann, liefern solche Argumente aber nicht. Selbst die Durchsetzung originärer sozialdemokratischer Ziele durch SPD-Minister steigert nach der Beobachtung von Demoskopen die Beliebtheit von Merkels CDU.

Wie geht es nun in Thüringen weiter?

Bodo Ramelow
Im Fokus: Bodo Ramelow, linker Anwärter auf das Ministerpräsidentenamt in Thüringen

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Der Wahlverlierer SPD wird sowohl von der CDU als auch von der Linken umworben. Wie das funktioniert, macht der linke Spitzenkandidat Bodo Ramelow deutlich, als er am Montag in Berlin vor die Presse tritt. Zwei Zitate von Willy Brandt hat Ramelow parat. Zum einen: „Mehrheit ist Mehrheit“. Und: „Mehr Demokratie wagen.“ Soll heißen: An der knappen Mehrheit von nur einem Mandat soll die „r2g“-Konstellation nicht scheitern. Und darum, als Juniorpartner in einer linksgeführten Regierung unterzugehen, müssten sich SPD und Grüne auch nicht sorgen, verspricht Ramelow. Eine „neue Koalitionskultur“ kündigt er an, bei der im Dreierbündnis „auf gleicher Augenhöhe“ Politik entwickelt werde. Die SPD müsse sich „wieder stärken können“, meint der linke Spitzenmann.
Auch die CDU lässt nichts unversucht, um an der Macht zu bleiben – Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht verfolgt die Idee, die erste Afghanistan-Koalition auf Landesebene zu schmieden – ein Bündnis aus CDU, SPD und Grünen, das für sichere Mehrheiten der neuen Regierung sorgen soll. Und aus der Erfurter CDU wird gestreut, dass in der nächsten Zeiten alle Kabinettssitzungen unabhängig von Sondierungsgesprächen stattfinden sollen. Damit sich, wie es heißt, „die SPD das gemeinsame Regieren mit der Union gar nicht erst abgewöhnt“.
Für die Union geht es um den Machterhalt in Erfurt, für die Linke um mehr. Ein Scheitern rot-rot-grüner Gespräche in Thüringen wäre das Signal, dass sich die SPD auch im Bund nicht auf diese Option für 2017 vorbereite, sagt Parteichef Bernd Riexinger, „das wäre fatal“. Doch sicher mag an diesem Montag in der Linken-Führung keiner sein. „Es ist jetzt immer noch ein Krimi“, meint Ramelow. Und Matthias Höhn, Bundesgeschäftsführer der Linkspartei, spricht von einem „schönen und spannenden Ergebnis“. Er erklärt: „Ich glaube, dass es eine gute Chance gibt, weil die inhaltlichen Schnittmengen zu SPD und Grünen vorhanden sind.“

Von Afghanistan wollen die Grünen nicht viel wissen

Sollte die SPD in Thüringen zu einem Bündnis mit der Linkspartei durchringen, würden sich die Grünen wohl nicht verschließen. „Wir werden diese Option sehr genau in Augenschein nehmen“, sagt Spitzenkandidatin Anja Siegesmund nach Beratungen der Bundespartei in Berlin. In Parteikreisen heißt es, dass ein solches Bündnis trotz der knappen Mehrheitsverhältnisse im Landtag von den Thüringer Grünen unterstützt werde. Allzu große Berührungsängste gibt es auch bei der Thüringer Parteispitze nicht mehr. So tauchten die Landesvorsitzenden am späteren Sonntagabend in Erfurt bei der Wahlparty der Linken auf.
Den Grünen ist allerdings auch bewusst, dass es in erster Linie an den Sozialdemokraten hängt, ob Rot-Rot-Grün überhaupt eine Chance hat. Die Frage sei, ob die SPD einen Machtwechsel anstrebe oder dauerhaft unter den Mantel der CDU krieche, erklärt Parteichefin Simone Peter. Nach der gravierenden Niederlage werde sich bei der SPD einiges neu sortieren müssen, ergänzt Siegesmund.
Einem Bündnis mit CDU und SPD („Afghanistan-Koalition“) stehen die Grünen kritisch gegenüber. Zwar würden die Grünen sich auch einer Gesprächseinladung der CDU nicht verschließen, macht Spitzenkandidatin Siegesmund deutlich. „Ich bin sehr skeptisch, ob das in irgendeiner Form eine Zukunft auf Landesebene haben könnte“, fügt sie allerdings hinzu. Schwarz-Rot hätte auch ohne die Grünen eine Mehrheit, auch wenn diese mit nur einer Stimme äußerst knapp ist. „Wir sind nicht der Ersatzspieler, wenn einer auf dem Feld nicht mehr will.“
Ähnlich hatten die Grünen im Vorfeld der Wahl mit Blick auf Rot-Rot argumentiert. Hätte es dafür eine eigene Mehrheit gegeben, wollten sie ebenfalls nicht die „Ersatzrad-Rolle“ einnehmen.

Wie reagiert die Union auf den AfD-Erfolg?

Angela Merkel, Christine Lieberknecht, Michael Schierack
CDU-Chefin Angela Merkel, Spitzenkandidaten Christine Lieberknecht und Michael Schierack am Montag in der Parteizentrale

© Reuters

Der CDU-Führung war nach dem starken Abschneiden der AfD in Sachsen klar, dass sich der Erfolg der „Alternative“ zwei Wochen später in Thüringen und Brandenburg wiederholen würde. Die Antworten auf die Herausforderung sind denn auch die gleichen geblieben. Die AfD, sagt CDU-Chefin Angela Merkel, hole ihre Wähler aus allen Parteien, und deshalb müssten alle sich damit beschäftigen; aber: „Die beste Antwort auf diese AfD ist die gute Arbeit, die wir leisten.“ Als jemand fragt, wieso sie in den letzten Wahlkampfauftritten so viel über Grenzkriminalität gesprochen habe, weist Merkel darauf hin, dass Innenminister Thomas de Maizière „seit Monaten“ an dem Thema arbeite. Es soll auf keinen Fall der Eindruck entstehen, die CDU laufe der neuen Konkurrenz nach.
Tatsächlich hat das All-Parteien-Argument an Plausibilität gewonnen, seit die Linkspartei in Brandenburg zum Hauptopfer der AfD wurde. Auch bei der Linken löst das Ratlosigkeit und Sorgen aus: Jetzt würden in der eigenen Partei die Populisten wieder Aufwind kriegen, fürchtet etwa ein Linken-Realo aus dem Bundestag. Aber in der CDU ist vielen bewusst, dass es nichts nutzt, mit dem Finger auf die anderen zu zeigen. Die nächsten wichtigen Wahlen finden kurz vor der Bundestagswahl 2017 im Westen statt – NRW, Rheinland-Pfalz, Baden- Württemberg. Dort gibt es keine Linke, bei der die AfD räubern könnte; dafür aber unzufriedene Christdemokraten, heimatlose Rechte und die Restbestände der FDP. Und es ist die CDU, die dann ohne bürgerlichen Koalitionspartner dastehen könnte. Mag der Zulauf zur AfD für alle ein Problem sein – taktisch ist sie am gefährlichsten für die CDU.
„Die Volksparteien sind unter Druck gekommen“, räumt denn auch CDU-Vize Thomas Strobl ein, der 2016 als Spitzenkandidat in Baden-Württemberg antreten will. Aber die CDU werde „druckresistent“ bleiben – „keine Koalitionen, keine Bündnisse, keine Duldung, keine Zusammenarbeit“. Die AfD nennt er eine „Illusionspartei“, die sich selber entzaubern werde. Davon, die Truppe zu ignorieren, hält Strobl allerdings auch nichts: „selbstverständlich“ würde er sich mit AfDlern in eine Talkshow setzen, auch wenn ihm das wenig Vergnügen bereite.

Keine Zusammenarbeit - die CDU bekräftigt ihren Beschluss

Dass man mit der AfD nicht die Zusammenarbeit suchen werde, dieser Beschluss ist im CDU-Vorstand bekräftigt worden – so wie das eben im CDU-Vorstand üblich ist: Es habe keiner widersprochen, sagt Merkel. Offener Widerspruch kam nur von außen. Der „Berliner Kreis“ von Konservativen meldete sich mit einem Brief an Merkel zu Wort, den das Trüppchen über die „Bild“-Zeitung lancierte. Es war der dritte in kurzer Zeit. Wieder beklagen die Kreisler, dass die CDU ihre konservative Anhängerschaft missachtet habe und die AfD die Quittung dafür sei.
Daran ist sogar etwas Wahres. Die „Pofalla-Doktrin“, seinerzeit von Merkels Generalsekretär entwickelt, gilt nicht mehr. Sie besagte, dass die Konservativen zwar unglücklich sind, aber mangels Alternativen trotzdem weiter CDU wählen. Ronald Pofalla und seine Chefin zogen daraus den Schluss, dass sie sich vor allem um Wählerkreise in der halblinken Mitte kümmern müssten. Das hat, was Merkel selbst angeht, ja auch sehr gut funktioniert. Doch in den Ländern steht die Kanzlerin höchstens indirekt zur Wahl.
Das Problem ist freilich, dass die Konservativen in der CDU auch nicht wissen was zu tun ist. Es liegt nicht nur an Merkel, dass sie in der Partei kaum mehr etwas zu melden haben. Es fehlt schlicht an Konservativen mit Gewicht und Profil. Die Berliner Kreisler aber gehen inzwischen auch Leuten auf die Nerven, die ihren Positionen eigentlich nahe stehen. „Ich halte nichts vom Briefeschreiben“, sagt einer von denen unverblümt. Einer aus der CDU-Spitze spottet gar, er habe die letzten Schreiben des Trüppchens auf die Briefwaage gelegt – „Was soll ich Ihnen sagen: Kein Ausschlag!“

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