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Wahlen: Reden mit den Taliban – und dann?

Die radikalislamischen Taliban versuchen alles, um mit Selbstmordanschlägen die Unsicherheit zu erhöhen und die Afghanen von der Stimmabgabe abzuhalten. Militante Gruppen übernahmen vielerorts die Kontrolle und bedrohten die Regierungsinstitutionen. Wohl nicht zuletzt deshalb werde der Ruf nach Verhandlungen mit moderaten Aufständischen lauter.

Von Michael Schmidt

Kommende Woche wird in Afghanistan gewählt. Die radikalislamischen Taliban versuchen alles, um mit Selbstmordanschlägen und Raketenfeuer die Unsicherheit zu erhöhen und die Afghanen von der Stimmabgabe abzuhalten. Die internationale Gemeinschaft hält militärisch dagegen. Doch die Situation sei schwierig geworden, sagt Bente Aika Scheller von der Heinrich-Böll-Stiftung in Kabul. Militante Gruppen hätten vielerorts die Kontrolle übernommen und bedrohten die Regierungsinstitutionen. Wohl nicht zuletzt deshalb werde der Ruf nach Verhandlungen mit moderaten Aufständischen lauter.

Aber wer fällt unter diese Kategorie? Und gibt es das überhaupt: „gemäßigte Taliban“? Scheller ist da skeptisch. Doch, sagt Thomas Ruttig von der Berliner Stiftung Wissenschaft und Politik, es gebe durchaus moderatere, pragmatischere Leute unter ihnen. Sie seien nicht die Mehrheit, nicht die dominierende Strömung, träten nicht organisiert auf. Aber es gebe einzelne, die sich politischen Lösungen nicht verschlössen. Wie das – bisher einzige – Beispiel eines Waffenstillstands im Nordwesten des Landes zeige. In der Provinz Badghis hatten regionale Stammesälteste mit regionalen Taliban Ende Juli eine Übereinkunft erzielt, die den Abzug der Aufständischen vorsah und die anschließende Vorbereitung der Wahl in dem Bezirk. Für Ruttig zeigt das: Gespräche sind möglich – mit regionalen Taliban nämlich, die nicht oder nur bedingt der Kontrolle durch die Talibanführung unterliegen.

Lange waren es vor allem die USA, die sich gegen Gespräche gewehrt hatten. Man verhandle nicht mit Terroristen, hieß es unter der Bush-Administration. US-Präsident Barack Obama hat im März dieses Jahres einen Kurswechsel vollzogen und macht sich nun für Verhandlungen stark. Natürlich gehöre es, zumal in Vorwahlzeiten, zu den politischen Ritualen, Gesprächsbereitschaft zu signalisieren – und sie zugleich mit der Forderung nach einem Ablegen der Waffen praktisch unmöglich zu machen. Aber, sagt Ruttig, dabei handle es sich nicht um ein „leeres“ Ritual. Sondern um Schritte, „die durchaus zu echten Verhandlungen führen könnten“. Diese Einsicht komme der internationalen Gemeinschaft zwar „spät, aber nicht zu spät“. Solange das Blutvergießen andauere, sei „jeder Versuch sinnvoll, eine politische Lösung für den bewaffneten Konflikt“ zu suchen.

Voraussetzung sei allerdings, „dass sich alle an einen Tisch setzen und eine gemeinsame Strategie entwickeln“. Derzeit fehle es der internationalen Gemeinschaft an einem koordinierten Vorgehen. Ruttig sähe es am liebsten, „wenn man die UN als Nichtkriegspartei für Gespräche in eine Führungsrolle bringen könnte“.

In jedem Fall sei Vorsicht geboten. Die Einbeziehung der Taliban, die sich vor allem aus der paschtunischen Bevölkerungsmehrheit rekrutieren, dürfe nicht zu einer Islamisierung des Systems und Spannungen mit ethnischen Minderheiten führen. Ruttig fordert: „Die internationale Gemeinschaft muss klarmachen: Es gibt ein paar rote Linien, die nicht überschritten werden können. Frauen-, Menschen- und Bürgerrechte sind nicht verhandelbar.“ Michael Schmidt

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