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Im Wahllokal: Ein altes Ehepaar bei der Abstimmung in einem Dorf unweit der Hauptstadt Kiew. Insgesamt 22 Parteien standen auf dem langen Stimmzettel. Foto: Viktor Drachev/AFP

© AFP

Wahlen Ukraine: Unter Beobachtung

Nach den Wahlen in der Ukraine liegt die Regierungspartei klar vorne, Präsident Viktor Janukowitsch bleibt im Amt. Er hatte eine faire Abstimmung versprochen, doch viele Wähler zweifelten bei ihrer Stimmabgabe daran. Ein Blick ins Wahllokal.

Marta hat Mühe mit dem fast einen Meter langen gelben Stimmzettel. „Wo muss ich mein Kreuz hinsetzen?“, fragt die 77-Jährige und zieht den hellblauen Vorhang ihrer Stimmkabine zur Seite. „Helfen Sie mir“, fleht die gebückte Rentnerin mit ihren zwei Gehstöcken die Wahlkommissionsleiterin an. Doch Asia Mamedowa bleibt hart: „Das darf ich nicht, Sie müssen selber entscheiden!“

Im Wahllokal in der Schule Nr. 19 an der Plechanowa-Straße gehen am Morgen vor allem die Rentner zur Urne. „Die Jüngeren sind auf die Datscha rausgefahren, am Abend werden wir mehr Stimmbürger hier haben“, sagt Mamedowa. Unweit des Dniepro-Ufers gelegen stimmt in ihrem Wahllokal vor allem die etwas besser gestellte Intelligenz ab. Ein blinder Professor erscheint mit einer Sozialarbeiterin, die ihm den Wahlzettel vorlesen darf, eine adrett gekleidete ältere Dame kennt die ganze Wahlkommission. 22 Parteien stehen zur Auswahl; ihre Listen haben kaum im Vorzimmer Platz. Präsident Viktor Janukowitschs regierende „Partei der Regionen“ hat in der Auslosung Nummer 20 bekommen. Das änderte aber nichts daran, dass die Regierungspartei laut Nachwahlbefragungen vom Sonntagabend trotz herber Verluste zur stärksten Einzelkraft wurde.

Die Regierung will die Wahlen trotz sinkender Popularität unbedingt gewinnen. Die Opposition ist in sich gespalten und durch die politisch motivierte Haft ihrer informellen Führerin Julia Timoschenko geschwächt. Internationale Organisationen haben über 4000 Wahlbeobachter in die Ukraine entsandt, nachdem die von Janukowisch vor zwei Jahren organisierten Lokalwahlen massiv gefälscht worden waren. Die EU hat freie und faire Wahlen zur Bedingung für eine weitere Annäherung gemacht. Für die Ukraine steht also viel auf dem Spiel.

„Im Vergleich zur Sowjetunion hat sich nur die Papierqualität und Parteilistenlänge geändert“, kommentiert die Lehrerin Tatjana Moissenko, die bereits zu Sowjetzeiten in der Wahlkommission saß. Immerhin sind jedoch fünf Wahlbeobachterinnen im Saal, auch hat die Presse freien Zutritt. Zudem gibt es erstmals eine Videoüberwachung. „Diese Wahlen werden fair und frei sein, denn alles wird von der Kamera beobachtet“, sagt Janukowitschs Premierminister Mykola Asarow.

„Allein die Tatsache, dass meine Mutter von dieser Wahl ausgeschlossen wurde, zeigt, dass es sich nicht um faire Wahlen handeln kann“, widerspricht im tristen Schulgebäude Nr. 19 Jewgenija Timoschenko. „Ich habe heute für die Freiheit gestimmt, für die Freilassung der politischen Gefangenen und dafür, dass wir morgen nicht im Gefängnis oder gar KZ aufwachen“, sagte die gestresst wirkende junge Frau, die ein T-Shirt mit dem Bild ihrer Mutter trägt.

Zusammen mit einem Anwalt ist sie die Einzige, die Kontakt zu der isolierten politischen Gefangenen unterhält. „Meiner Mutter geht es schlecht, denn sie wird psychisch enorm unter Druck gesetzt“, sagte Jewgenia Timoschenko dem Tagesspiegel. „Ich bin jedoch optimistisch, dass sie bald freikommen wird, denn nach den Wahlen eröffnen sich neue Möglichkeiten.“ Ihre Hoffnungen setzt sie vor allem auf den Europäischen Menschenrechtsgerichtshof.

Doch Europa droht Julia Timoschenko immer mehr zu vergessen. Bei den Wahlen hat der Boxweltmeister Vitali Klitschko bisher für weit mehr Schlagzeilen gesorgt. Seine schwer einschätzbare „Udar“(„Schlag“)-Partei landete Nachwahlbefragungen zufolge hinter Timoschenkos „Batkiwtschina“ („Vaterland“)-Block. Zwischen rostigen Gasleitungen im Schulhof verspricht Viktor Oschogin, der lokale Sprecher von „Udar“, dass der Boxweltmeister im Parlament die Ränge der gebeutelten demokratischen Opposition verstärken wird.

Klitschkos unklare Haltung in der letzten Wahldebatte in der Nacht auf Samstag am Privatfernsehen „Inter“ hatte zu Spekulationen Anlass gegeben. Im Timoschenko-Lager wurde die Befürchtung laut, Regierungskreise seien die wahren Geldgeber Klitschkos. „Udar ist sonnenklar eine Oppositionspartei“, sagte Oschogin dem Tagesspiegel. Dann jedoch fügt er hastig an: „Ich glaube fest daran.“

In Kiew hat das Stadtgericht vorsichtshalber alle Demonstrationen bis Mitte November verboten. Vor acht Jahren hatten Fälschungen bei den Präsidentenwahlen zur „Orangenen Revolution“ geführt.

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