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Es wird wohl auch nach der Wahl bei der Doppelspitze der Grünen-Fraktion im Bundestag bleiben.

© dpa

Die Grünen: Trotz Spitzenergebnis Hauptziel verfehlt

Die Grünen würden es gern als Erfolg feiern: Sie erreichten in Berlin ihr bisheriges Spitzenergebnis. Aber ihr Hauptziel haben sie deutlich verfehlt.

Von
  • Hans Monath
  • Sabine Beikler

Sie wollte in Berlin gewinnen. „Aufbruch“ war das Wort, das Renate Künast in ihrer Antrittsrede Anfang November gleich mehrfach in den Mund nahm. Aber je länger sie in Berlin kämpfte, umso weiter entfernte sie sich von ihrem Ziel, die erste grüne Regierende Bürgermeisterin in der Hauptstadt zu werden.

Ihre Kampfansage an Wowereit hatte Künast im November im schicken Postmuseum in Mitte verkündet, einem Ort, der mit seiner Mischung aus Geschichte und Moderne den Aufbruch ihrer Partei zu neuen Ufern symbolisieren sollte. Vielleicht ist es ebenso bedeutsam, dass die Grünen ihr Wahlergebnis am Sonntag wieder im Festsaal Kreuzberg feierten, der wie ein Museum des grün-alternativen Lebensstils wirkt. Der ganz große Aufbruch, er sollte nicht sein. Das Wahlergebnis, das „Schluss macht mit zehn Jahre rot-rotem Dornröschenschlaf“ (Künast), bedeutet jedenfalls, dass sich die Politikerin nach den Koalitionsverhandlungen wieder auf die Bundespolitik konzentrieren wird. Denn nur als Regierende Bürgermeisterin wollte sie in die Landespolitik wechseln.

Es war ein Abschied auf Raten. Die Umfragewerte der Grünen sanken seit vergangenem Herbst von 30 auf rund 20 Prozent. Ihr Wahlergebnis, das am Abend nach Hochrechnungen bei rund 18 Prozent lag, ist zwar besser als die 13,1 Prozent bei der Abgeordnetenhauswahl 2006. Es ist aber kein „Rekordergebnis“ in Künasts Sinne, kein zweiter Platz hinter Wowereit, sondern weit von der CDU entfernt. „Ich geb’ zu, wir wollten noch mehr“, gestand die Kandidatin am Abend. Es wäre „auch noch mehr zu holen gewesen“.

Die Hauptverantwortung für das Ergebnis trägt Renate Künast selbst. Präsentieren wollte sie sich in Berlin als „Landesmutter“, als landesweite Problemlöserin. „Eine für alle“ lautete am Anfang ihr Motto, von dem zum Schluss des Wahlkampfs niemand mehr sprach. In zentralen inhaltlichen Punkten blieb sie oft unkonkret. Eine Auflistung der Probleme ist noch keine Lösung der Probleme. Das Wahlkampfmotto „Da müssen wir ran“ reichte nicht aus, um grüne Botschaften zu transportieren. Viele Parteimitglieder forderten klare Inhalte, „mehr Mut“ zu Aussagen statt nur von „Diskussionsbedarf“ zu sprechen. Ecken und Kanten fehlten, die den Markenkern der Grünen ausmachten. Das Wahlprogramm, ein über 100 Seiten dickes Mammutwerk, zielte auf eine breite Wählerschaft ab, brachte aber kaum Essentials. Das klare Nein zum Weiterbau der Stadtautobahn A 100 kam durch den Fraktionschef Volker Ratzmann erst drei Tage vor der Wahl.

Lesen Sie auf Seite 2: Welche Konsequenzen die Bundespartei am Montag ziehen könnte.

Ein Präsidentinnenwahlkampf sollte es werden, zugeschnitten auf eine Person, auf Künast. Aber Künast ist keine Volkstribunin. Selbstbewusst auftreten kann sie, doch sie machte gleich am Anfang inhaltliche Fehler und verfing sich in landespolitischen Fallstricken. Der parteiinterne Ärger stieg an: Sie informiere sich nicht bei den Fachpolitikern, sondern umgebe sich nur mit dem engsten Beraterstab, der aus den beiden Fraktionschefs und ihrem Sprecher besteht. Der erweiterte Landesvorstand dagegen wurde dem Vernehmen nach kein einziges Mal zurate gezogen. Grüne Spitzenpolitiker hatten den Eindruck, Künast habe sich hinter ihrer Wagenburg verschanzt.

Kämpfen, Widerstände überwinden und am Ende den Sieg davontragen. Dieses Muster bestimmte das Leben von Künast bisher. So war es im Elternhaus, so ist es in der Politik. Das Wort Kampf dürfte das häufigste Wort sein, mit dem Künast den Wahlkampf intoniert hat. „Ich bin Fischer-Schule. Gekämpft wird bis zum letzten Tag.“ Und: „Ich bin ich. Ich habe mein Leben und meine Erfahrungen. Ich musste um alles kämpfen. Ich will gar nicht so werden wie andere“, sagte sie, als sie in der Bundespressekonferenz neben Winfried Kretschmann, dem grünen Ministerpräsidenten von Baden-Württemberg, saß. Lernen von ihm, dem Integrator, wollte sie ausdrücklich nicht.

Das Wahlergebnis reicht wohl knapp für Rot-Grün in Berlin. Der Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wieland betont zwar, dass „wir ein gutes Wahlergebnis erreicht haben und nicht Trauer tragen müssen“. Dennoch haben in der Bundespartei viele Grüne mit Kopfschütteln das Agieren Künasts und ihrer Berliner Parteifreunde im Wahlkampf verfolgt. Dass Künast im vergangenen Herbst angesichts von 30-Prozent-Umfragen kaum anders konnte, als Wowereit direkt herauszufordern, gestehen viele zu. Doch dann seien große Fehler gemacht worden. So sei eine Koalition mit der CDU erst viel zu spät ausgeschlossen worden.

Wenn die Gremien der Bundespartei am Montag über das Ergebnis beraten, wird es auch um die Lehren aus Berlin gehen, wo die Ökopartei erstmals in ihrer Geschichte das Ziel ausgab, stark genug zu werden, um die künftige Regierung zu führen. Zumindest die Parteilinke dürfte argumentieren, dass das Offenhalten der grün- schwarzen Option geschadet hat und deshalb künftig in den Giftschrank verbannt gehört. Immerhin können die Bundesgrünen darauf verweisen, dass sich in Berlin ihr Aufwärtstrend klar bestätigt hat. In allen sieben Landtagswahlen des Jahres 2011 hat die Partei kräftig zugelegt.

Offen ist, ob die Erfolgsargumentation in der Öffentlichkeit durchdringt, oder ob das Verfehlen des ursprünglichen Wahlziels die Interpretationen dominiert. Auch in der Grünen-Spitze herrscht die Überzeugung, dass ohne Fehler mehr Prozente in Berlin zu holen gewesen wären. Längst wird nach Künasts Zukunft in der Bundespolitik gefragt. Ihre Position als Ko-Vorsitzende der Bundestagsfraktion neben Jürgen Trittin dürfte nicht gefährdet sein. Trittin, der Führer der Parteilinken, hat kein Interesse an einem Machtkampf mit den Realpolitikern, für die Künast steht. Und bislang hat noch keine Realpolitikerin den Finger gehoben, um Künast herauszufordern. Ob Künast mit dem Scheitern am großen Ziel, das Rote Rathaus zu führen, den Anspruch verwirkt hat, bei der Bundestagswahl 2013 neben Trittin als Spitzenkandidatin anzutreten, gilt als offen. Einig sind sich alle Lager darin: Gestärkt geht sie jedenfalls nicht in diese wichtige Auseinandersetzung.

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