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Konsternierte Wahlkämpfer: Der Stargast ist vor seinem Auftritt weggetreten. Karl-Theodor zu Guttenberg kam nicht mehr in Bernburg an.

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Enttäuschte CDU-Wahlkämpfer: Guttenberg kam nicht bis Bernburg

Nach dem Abgang des Verteidigungsminister sind die Unions-Wahlkämpfer schockiert - vor allem in Bernburg. Dort sollte Karl-Theodor zu Guttenberg gestern auftreten. Ein Besuch an der enttäuschten Basis.

Für Bernburg sollte es eigentlich der schönste Tag im ganzen Wahlkampf werden. Was für eine Ehre, dass Deutschlands beliebtester Politiker zu Besuch vorbeischaut! Nur selten verirren sich solche Promis in das sachsen-anhaltinische Kleinstädtchen an der Saale. So hörte man es von der örtlichen CDU-Elite noch heute morgen, zwei Stunden vor dem Rücktritt.

Die Sorgen der Veranstalter galten daher auch weniger den Vorwürfen, mit denen sich ihr Top-Gast seit Tagen herumschlagen musste. Viel mehr beschäftigte sie, ob die Stühle im Kurhaus ausreichen würden. Nicht mal großartig plakatiert hatte man die Veranstaltung. Der Besuch aus Berlin galt schließlich als Publikumsmagnet. Bei ihm reiche ein bisschen Mund-zu-Mund-Propaganda – und schon würden die Zuschauer in Scharen herbeiströmen.

Später herrscht im Kurhaus große Niedergeschlagenheit. Traurige Gesichter, leise Gespräche. Mit dem aufgekratzten Geschnatter und Händeschütteln, das sonst die Minuten vor Wahlkampf-Partys dominiert, hat das ganze wenig zu tun. Der Rücktritt Guttenbergs liegt inzwischen etwas mehr als zwei Stunden zurück. Viele haben noch zu Hause davon erfahren – oder auf der Autofahrt hierher. Sie sind trotzdem gekommen.

Einer der Besucher ist Werner Richter. Der Rentner hat einen kleinen Zettel in der Hand. Darauf steht, was er Guttenberg heute Morgen noch gern persönlich sagen wollte: "Bitte treten Sie nicht zurück!" Nun sagt er: "Das ist ein trauriger Tag für Deutschland." Das Land habe einen "jungen, tüchtigen" Minister verloren. Der Rentner bezeichnet sich selbst als Guttenberg-Sympathisant, nicht als CDU-Mitglied. Er räumt zwar ein, dass Guttenberg "als Student Fehler" gemacht habe. Aber, sagt er mit strengem Blick, Vergangenheit und Gegenwart seien doch bitteschön "zwei Paar Schuhe".

Viele in Bernburg vertreten diese These. Auch Jürgen Weigelt, der örtliche Landtagsabgeordnete. In seiner Begrüßung sagt er, dass es "gut und richtig" sei, dass es in Deutschland "einen Doktor weniger" gebe. Aber dass es nun auch "einen beliebten Politiker und Verteidigungsminister" weniger gebe, sei "nicht gut". Der Applaus, den Weigelt für diese Sätze erhält, ist kräftig. Aber er ist nicht anhaltend und tosend, wie noch vor zwei Wochen in Kelkheim, als die hessische CDU Guttenberg bei seinem letzten Wahlkampfauftritt feierte. In Bernburg herrscht keine Wagenburgmentalität vor, kein kollektives, trotziges Zusammenscharen und Zurückschießen. Kaum jemand schimpft auf Medien und Opposition, die Guttenberg Unrecht täten. Die vorherrschende Emotion ist nicht Wut, sondern Ratlosigkeit und Bestürzung.

Konsequent, dass Reiner Haseloffs Ansprache ein wenig an eine Beerdigungsrede erinnert. Eigentlich wollte der sachsen-anhaltinische CDU-Spitzenkandidat hier Optimismus für den Wahlkampf verbreiten und von seiner positiven Bilanz als Wirtschaftsminister berichten. Aber auch er kommt heute nicht umhin, seine ersten Worte dem zurückgetretenen Minister zu widmen.

Allerdings ist Haseloff kein Anhänger der Zwei-Paar-Schuhe-These. Unverblümt erinnert er die Bernburger daran, dass der Doktorand und der Minister nun einmal ein und dieselbe Person ist. "Persönliche Dinge" ließen sich nicht von der Amtsführung trennen. Für Guttenbergs "Fehlverhalten" gebe es keine Entschuldigung. Der Rücktritt sei konsequent, da er "politisch nicht mehr handlungsfähig" gewesen sei.

Wie viele CDU-Spitzenfunktionäre wird auch Haseloff in den vergangenen Tagen gemerkt haben, dass Guttenberg nicht mehr zu halten ist. Nach einer ersten Solidarisierungswelle regte sich in vielen Partei-Gliederungen die Sorge, ob das Delikt nicht doch zu schwerwiegend, die Selbstverteidigung nicht doch zu ungeschickt gewesen sei. Insofern sind viele Wahlkämpfer wohl ganz froh, dass es an diesem Dienstag ein Ende mit Schrecken gab – und nicht wochenlang weitere negative Guttenberg-Schlagzeilen.

Eine der wenigen jungen Zuhörerinnen im Kurhaus ist Jenny Prast, die Kreisvorsitzende der Jungen Union. Sie trägt rote Haare und große Ohrringe und sitzt allein in der vorletzten Reihe. Auch sie berichtet von den Stimmen in ihrem Verband, die sich zuletzt immer kritischer mit dem Plagiatsskandal auseinandergesetzt hätten. Aber noch größer sei für die Junge Union der Verlust an diesem Tag, sagt die 20-Jährige. Guttenberg habe auf ihre Generation "locker und jung" gewirkt, ganz anders als die übrigen Politiker. Wenn er eine Veranstaltung betreten habe, hätten alle an seinen Lippen gehangen.

Ihre Partei habe heute einen "großen Politiker verloren". Ja, einen "deutschen Obama", seufzt die JU-Vorsitzende. Guttenberg hätten auch solche Mitschüler gekannt, die sich sonst nicht für Politik interessieren. Und ein wenig habe das auf ihre Partei abgefärbt, die ja nun "nicht als besonders cool" gilt.

Quelle: Zeit Online

Michael Schlieben

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