zum Hauptinhalt

Hamburg-Wahl: Distanz schlägt Defensive

Bei der Hamburger Bürgerschaftswahl fehlen Reizthemen und Pathos. Es geht nur um die Karrieren von Erstem Bürgermeister Christoph Ahlhaus und Herausforderer Olaf Scholz.

Der Amtsinhaber stürmt voraus, er will endlich zu den Menschen, die er regiert. Aber morgens früh um neun ist noch nicht viel los hier auf dem Markt in Hamburg-Langenhorn. Christoph Ahlhaus, 41, ein Mann von Kohl’scher Figur und meistens bester Laune, kümmert’s nicht. Eilig greift er nach der Hand einer Marktverkäuferin und ruft: „Guten Morgen, wie gehen die Geschäfte?“

Gut, sagt die Frau, „und wer sind Sie?“

Es sind solche Momente, zwischen tragisch und komisch, die Hamburgs Erstem Bürgermeister in diesem Wahlkampf immer wieder passieren. Der CDU-Mann, Erbe von Ole von Beust, kämpft und kämpft – aber er kommt nicht an. Die Leute kennen ihn nicht. Und auf seinen Schultern lastet die Bürde einer gescheiterten Partei, abgestürzt auf unfassbare 23 Prozent. Am Sonntag wird der CDU kein guter Start ins Superwahljahr 2011 glücken.

Einige Kilometer südlich von Langenhorn, im zweiten Stock des schmucklosen Kurt-Schumacher-Hauses, herrscht ruhige Betriebsamkeit. Die Stimmung ist zurückhaltend, präsidial, siegesgewiss. Im hinteren Raum wartet der Mann, der in den Umfragen vor der absoluten Mehrheit steht, weil ihn jeder kennt. Lässig sitzt er in seinem fast leeren Büro und sieht, trotz einer Fußverletzung, mit der er nicht mehr joggen durfte, dünn aus. Der Mann, Olaf Scholz, 52, einst SPD-Generalsekretär unter Schröder und später Bundesarbeitsminister unter Merkel, kontrolliert diesen Wahlkampf wie ein Boxer aus sicherer Distanz. Er geht nicht auf Wochenmärkte, er lässt die Leute zu sich kommen.

Seine Auftritte heißen „Olaf Scholz im Gespräch“. Sie haben den Charakter von „Town Hall Meetings“, wie sie auch Barack Obama inszenierte. Zu Scholz strömen zwar nicht Zehntausende, aber 250 bis 400 sind es doch fast jeden Tag – in 17 Wahlkreisen. Scholz steht dann, wie etwa im kleinen Ballsaal im St.-Pauli-Stadion am Millerntor, vor den Gästen, redet 30 Minuten und diskutiert danach mit den Bürgern. Scholz sagt gerne: „Es kommt jeder dran, wir haben alle Zeit der Welt – genau genommen bis um 21 Uhr.“ Es soll witzig klingen, aber Scholz fiele es nicht im Traum ein, bis in die Puppen zu diskutieren. Seine Aufgeschlossenheit dem Volk gegenüber hat Grenzen. Und so koordiniert er selbst die Fragen. Passt ihm eine nicht ins Konzept, bedankt er sich und ignoriert den Fragesteller. Dann sagt er: „Jetzt wollen wir mal woanders Fragen zulassen.“ Es gibt nie Widerspruch, kein Murren, denn hier spricht der Bürgermeister!

"Wer bei mir Führung bestellt", sagt Scholz, "bekommt sie"

Scholz’ Stimme ist ein Instrument zum Einlullen, ein monotones Wiegenlied. Sie dient seinem Leitmotiv in diesem Wahlkampf: Seriosität statt Pathos. Diese Botschaft soll hineinrieseln in die Köpfe der Menschen. Keine Übertreibungen, es geht um Vertrauen. Scholz’ Lieblingssatz lautet: „Hamburg muss wieder ordentlich regiert werden.“ Manchmal, sehr selten, lacht Scholz befreit auf. Dann knautscht sich sein Gesicht unkontrolliert zusammen wie ein Weichgummiball, und er sieht sehr lustig aus.

Aber in diesem Wahlkampf geht es nicht um Spaß, es geht wie einst bei Franz Müntefering um „klare Kante“. Deshalb beantwortet Scholz auch jede Frage zunächst mit den Worten: „Klare Antwort“. Klarheit steht auch auf einem Wahlplakat, und die Hamburger SPD hat er sich mit einem an Klarheit nicht zu überbietenden Satz gefügig gemacht: „Wer bei mir Führung bestellt, der bekommt sie auch.“

Seit dem Machtverlust 2001, nach über 40 Jahren in Regierungsverantwortung, als Beust mit der FDP und dem Rechtspopulisten Schill eine Koalition schmiedete, hat sich die stolze Hamburg-Partei, wie sich die SPD nennt, fast selbst zerstört. Scholz hat die Partei wieder handlungsfähig gemacht. Hinter den Parteikulissen, wo sonst viel gestritten wird, hört man derzeit kaum ein Wort der Kritik. Nur der ehemalige Erste Bürgermeister Henning Voscherau wagte es, Scholz eine sozial-liberale Koalition zu empfehlen. Der, überrascht von Voscheraus Einmischung, konterte: In Hamburg sei das Liberale sowieso bei der SPD zu Hause.

Ein hoch angesehener Sozialdemokrat der Stadt sagt: „Scholz ist nicht arrogant, er benutzt die Form des selbstbewussten Auftretens präventiv, um Gegner in die Schranken zu weisen.“ Seine gespielte Arroganz, sagt der SPD-Grande, sei ein Führungsinstrument. Scholz sei ein harter Organisierer, ein Konfliktstratege, der seinen Machtbereich dorthin ausdehnt, wo „andere zu harmoniesüchtig sind“.

Seinen Machtbereich in der CDU konnte Christoph Ahlhaus, der gebürtige Heidelberger, nie ausdehnen. Denn so harmonisch wie unter Schwarz-Grün ist es längst nicht mehr. Beust hatte alles zusammengehalten. Unter Beust war die CDU in der Stadt gelitten. Er war Hamburgs Liebling. Dann kam der abrupte Rücktritt am 18. Juli 2010, ausgerechnet an dem Tag, an dem auch die Schulreform am Bürgerwillen scheiterte. Von da an ging es bergab für die CDU, bis sich auch noch die Grünen im November vom Acker machten. Ahlhaus war Innensenator unter Beust, und er wurde Bürgermeister ohne Hausmacht, weil kein Besserer da war. Andere zogen die Strippen. Er dagegen ließ für eine Illustrierte bunte Fotos von sich und seiner Frau machen, um bekannter zu werden. Es kam nicht gut an. Ein Hamburger Spitzen-Grüner sagt, er habe nicht das, was Scholz auszeichnet: Mut zur Entscheidung.

Und so führt Christoph Ahlhaus Wahlkampf aus der Defensive heraus.

Eines Abends ist der Bundesfinanzminister zu Gast. 300 Senioren haben sich in die Aula eines Appartementhotels gequetscht und warten auf die Wahlkampfrede des angereisten Wolfgang Schäuble. Aber der Bundesminister, rechts neben Ahlhaus an einem kahlen Tisch platziert, ignoriert Hamburg weitgehend. Er spricht darüber, wie die Bundesregierung die Wirtschafts- und Finanzkrise gemeistert habe, und betont, wie wichtig es war, die Kurzarbeit auszuweiten. Einige Beobachter im Saal zucken zusammen: Es war doch Olaf Scholz als Bundesarbeitsminister, der maßgeblich daran beteiligt war. Am Ende der Rede lehnt sich Schäuble zu Ahlhaus hinüber und ruft: „Und wenn Sie gewinnen, dann müssen Sie auch sparen. Dafür bin ich ja gekommen, um dafür zu werben.“ Hamburg hat fast 26 Milliarden Euro Schulden. Ahlhaus lächelt tapfer.

Als er in der SPD abserviert wurde, hat er nicht aufgemuckt

Im persönlichen Gespräch taucht überraschend ein anderer Ahlhaus auf. Schon auf dem Markt kann er über das mit den Worten „Bürgermeister-Birne mit Fehler“ angepriesene Obst herzlich lachen. Selbst ein hoher Sozialdemokrat sagt über Ahlhaus: „Er ist nicht gespreizt, nicht eitel, sondern sympathisch.“ Die CDU-Leute an der Basis, die auf den Wochenmärkten stehen, sagen: „Er ackert doch.“ Andere, die mit ihm in der Regierung saßen, halten ihn für „kommunikativ“, „ein Kümmerer“ – nur sei er zum falschen Zeitpunkt am falschen Ort.

Olaf Scholz, das kann man sagen, hat definitiv das richtige Timing. Inhaltlich gibt es sowieso kein Reizthema, Scholz verspricht vor allem eine wirtschaftsfreundliche Politik, einen strengen Sparplan und die Rücknahme der von Schwarz-Grün erhöhten Kitagebühren. Ansonsten kann er ganz auf die Wechselstimmung setzen. Und so geht es längst nicht mehr nur um Hamburg. Es geht auch um die bundespolitische Zukunft von Olaf Scholz. Gewinnt er die Wahl mit absoluter Mehrheit oder regiert er erfolgreich, wird er automatisch für alle wichtigen Bundesämter gehandelt werden.

Bundeskanzlerkandidat vielleicht? In Berlin wollen die SPD-Spitzen nicht darüber reden. Aber niemand zweifelt daran, dass Scholz für alle Führungsämter bereit wäre, so nahe, wie er schon mal dran war. Sehr flexibel, heißt es, sei er immer schon gewesen. Ganz früher gehörte er zum äußersten linken Flügel in einer traditionell bürgerlichen Hamburger SPD und opponierte gegen den späteren Bürgermeister Voscherau. Heute punktet Scholz damit, dass er den Handelskammerpräsidenten als Wirtschaftssenator gewinnen konnte.

Als Generalsekretär mutierte er zum Scholzomaten, gerade weil er ein loyaler Verteidiger der Agenda-Politik Schröders war. Es hinderte ihn später nicht daran, als einer der Ersten von ihr abzurücken. Ein führender Sozialdemokrat aus Berlin sagt: „Scholz verfolgt immer nur eine Agenda. Seine.“

„Der Olaf“ – verheiratet mit der parlamentarischen Geschäftsführerin der SPD-Bürgerschaftsfraktion, Britta Ernst, keine Kinder – gilt als hoch intelligent, ja als Intellektueller, der mit seinem Wissen und seinem Anspruch andere traktieren kann. Er ist ein enorm fleißiger Arbeiter und Leser. Von Berlin hat er meist nicht den Dienstwagen, sondern den Zug zurück nach Hamburg genommen, um besser schmökern zu können. Philosophische Werke gehören zu seiner Zugliteratur. Seine Wohnung in Hamburg-Altona, erzählt einer, der ihn gut kennt, sei „zugepflastert mit Büchern“.

Der wahre Scholz hatte immer auch etwas Unkonventionelles. Sein Rechtsexamen hat er im verkürzten Hamburger Reformstudiengang gemacht – damals ein Protest gegen die herkömmliche Lehre. Als Anwalt für Arbeitsrecht hat er Hunderte Arbeitnehmer in Kündigungsschutzklagen vertreten. Aber nie, sagt ein Wegbegleiter, habe er seine politischen Ambitionen versteckt.

Scholz hält ziemlich viel von sich. Und manchmal zu wenig von anderen. Wie er den Wahlkampf seines Kontrahenten findet? In seinem Büro in der SPD-Zentrale müsste Scholz sich jetzt zurückhalten. Doch er redet sich in Rage, ungewöhnlich für ihn, und bittet dann, darüber nicht zu schreiben. Warum fällt es ihm schwer, Emotionen zu zeigen? Keine Antwort. Fragen nach Persönlichem oder nach Fehlern sind ihm ein Gräuel. Seine Körpertemperatur scheint dann abzusinken.

Auf seiner Gesprächsreihe wird Scholz zur Vergangenheit im Jahr 2001 befragt, als er Innensenator war und die SPD ihre Macht bald verlieren sollte. Scholz verfügte den Brechmitteleinsatz gegen Dealer. Die SPD war wegen des offenen Drogenmilieus am Hauptbahnhof extrem unter Druck. Später stirbt ein Mensch, und der Europäische Gerichtshof verbietet die Brechmittelpraxis. Frage aus dem Publikum: „Bereuen Sie den Einsatz von damals?“ Scholz sagt, die Entscheidung war richtig und notwendig. „Es ist ein Mensch gestorben.“ Aber nicht in meiner Amtszeit, sondern später, sagt er. Dass ein Gericht den Einsatz verurteilt habe? Es sei kein deutsches Gericht gewesen.

Auf dem Wochenmarkt in Winterhude muss Christoph Ahlhaus am Juso-Stand vorbei. Die SPD-Jugend drückt ihm einen Flyer in die Hand. Ahlhaus sagt: „Na ja, ihr macht das schon ganz gut.“ Dann grinst er. „Nur euer Spitzenkandidat könnte ein bisschen lustiger sein.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false