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Arm aber sexy reicht wohl nicht: Kann Klaus Wowereit (hier bei einer Aktion der Berliner Tafel) vom Rückenwind aus Hamburg profitieren?

© dpa

Kommentar: Hamburg ist ein Anti-Berlin

"Rückenwind nicht nur für die Berliner SPD", Klaus Wowereit hängt das Ergebnis der Hamburg-Wahl hoch. Aber Hamburg ist ein Anti-Berlin - und Wowereit ein Anti-Scholz.

Irgendwie gönnt man es den Sozialdemokraten: Wer so wenig zu feiern hatte wie die SPD in den letzten bald zehn Jahren nach dem Agenda-Gau, der soll sich ruhig über kleine Dinge groß freuen und regionalen Ereignissen überregionale Bedeutung zumessen. Und es stimmt ja auch: Die Hamburger Kampagne war auf eine Art erfolgreich, die den Genossen Mutmacher und Ansporn sein kann. Die Botschaft ist klar: Es geht also auch ohne Linkspopulismus, Mitbewerberbashing und politische Kehrtwendungen.

Mit ein paar Pathosbegriffen, einem dezenten Auftritt, einem zurückhaltenden Spitzenkandidaten und einem Buhlen um die politische Mitte hat die SPD Hamburg gewonnen. Das ist umso beeindruckender, als hier ein Agenda-Politiker die Sozialdemokraten auferstehen lässt. Fast scheint es, als sei die Neue Mitte wieder möglich. Verständlich, wenn Klaus Wowereit von "Rückenwind nicht nur für die Berliner SPD" spricht.

Indes: Wenn irgendjemand von den Signalen, die von diesem Sieg ausgehen, am wenigsten profitieren kann, dann sind es Klaus Wowereit und seine Berliner Sozialdemokraten. Vornehme Zurückhaltung ist Wowereits Ding nie gewesen, statt Pathosformeln setzte er in der Vergangenheit auf Kodderschnauze, statt auf Bescheidenheit auf dezenten Größenwahn. "Arm, aber sexy", das ist in seiner dezidierten Paradoxie das schlichte Gegenteil der Scholzschen Schlüsselbegriffe "Vernunft" und "Klarheit".

Die Hamburger Kampagne ist für Berlin null adaptierbar, auch, weil hier ein Amtsinhaber die Politik der letzten zehn Jahre verantworten muss, und sich nicht medienwirksam von den Verantwortlichen der letzten zehn Jahre absetzen kann. Hamburg hat eine Signalwirkung für die SPD in Deutschland, für die Berliner sollte die Wahl aber eher Warnung sein: Der plötzliche Absturz der Hamburger CDU zeigt, wie schnell eine Partei gerade in einem Stadtstaat, wo die öffentliche Meinung ungleich überschaubarer ist als in einem Flächenland, in Misskredit geraten kann.

Dazu braucht es nicht einmal einen handfesten Skandal, dazu gehören nur ein paar unglückliche Auftritte zur Unzeit, ein wenig schlechte Presse und genügend Angriffsfläche in der Haushaltspolitik. Wowereit mag sich am heutigen Abend euphorisiert geben ob des Kantersiegs der SPD, er sollte aber vielmehr gewarnt sein ob der Vernichtung eines Bürgermeisters.

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