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Mainz bleibt Mainz. Aber was wird aus Rainer Brüderle?

© dpa

Landtagswahlen: Protokoll eines Falls

Einer stellte schon vorab klar, dass er nicht der Büßer sein würde: Guido Westerwelle. Also bleiben zwei Verlierer übrig. CDU-Mann Stefan Mappus in Stuttgart. Und, schlimmer noch, in Mainz der Liberale Rainer Brüderle.

Von Robert Birnbaum

Die schwarz-gelbe Niederlage hat zum Beispiel ein aschgraues Gesicht. Ein wenig verschwitzt ist es obendrein und um die Wangen herum ziemlich eingefallen. Man kennt Rainer Brüderle sonst als Frohnatur, stets ein Witzchen auf den Lippen. Es ist ihm gründlich vergangen. Im Fraktionssaal der FDP im Mainzer Landtag herrscht am Sonntagabend Totenstille. Die Liberalen werden dieses Zimmer räumen müssen. Sie sind im Landtag nicht mehr vertreten. Sie sind abgewählt, rausgewählt, klar unter fünf Prozent. Brüderle ist in Berlin Bundeswirtschaftsminister und hier in Rheinland-Pfalz Landeschef. Man wird in beiden Fällen vorsichtshalber hinzufügen müssen: Noch. Mit dünnen Worten versucht er sein Schicksal abzuwenden.

Nicht durchgedrungen sei man mit den Landesthemen, verantwortlich für die Wahlkatastrophe seien die Ereignisse in Japan und Libyen, sagt er mit belegter Stimme, „und anderes“.

Alle wissen, was er meint. Brüderle, das war der, der beim Industrieverband BDI rumerzählt hat, dass Angela Merkels Atom-Moratorium bloß ein Wahlkampftrick sei. Die Peinlichkeit kam obendrauf auf die anderen Zumutungen: Die Sturzwende in der Atompolitik, die Libyen-Enthaltung des Außenministers. Irgendwann in den letzten Tagen kippte die Stimmung. „Wie ein Fass, das plötzlich übergelaufen ist“, beschreibt es einer aus der rheinland-pfälzischen FDP-Landesspitze. Auf den Marktplätzen hatten sie zuletzt den Eindruck, dass sogar die Anhänger der CDU zu ihnen rüber kamen um zu schimpfen. Aller Frust über das bürgerliche Lager sei der FDP vor die Füße gekippt worden.

Das zweite Gesicht der Niederlage ist nicht ganz so grau wie das Brüderlesche, was auch daran liegt, dass Stefan Mappus seinen Humor noch nicht ganz verloren hat. Ob er persönlich Konsequenzen zu ziehen hat? „Des isch mein kleinstes Problem“, gibt Mappus zurück. Das ist es tatsächlich. 58 Jahre lang hat die CDU in Baden-Württemberg regiert, immer den Regierungschef gestellt. Wer auch nur den Gedanken ausgesprochen hat, sie könnte einmal in die Opposition müssen, hat sich noch vor kurzem besorgte Fragen nach Puls und Temperatur anhören müssen. Jetzt endet die Macht und die Erbfolge. Mappus war der letzte in der Ahnenreihe.

Im Grunde hat er das gewusst, seit vor zwei Wochen der Reaktor in Fukushima explodierte. Mappus war der schärfste aller Atomfreunde in der CDU. Er hat die Kehrtwende versucht, und vielleicht hat er zwischendurch wirklich gehofft, dass ihm das gleiche Manöver wie beim Streit um den Bahnhof Stuttgart 21 noch einmal gelingen könnte: Politische Dekontamination mit fremder Hilfe und im Weichspülgang. Aber diesmal war das Ereignis zu groß und die Zeit zu knapp. „Die Landtagswahl ist in Japan entschieden worden“, sagt Landes-Generalsekretär Thomas Strobl.

Aber verloren worden ist sie immer noch hierzulande. Von Schwarz-Gelb, von denen, die in Berlin die Republik regieren. Das kann nicht ohne Folgen bleiben. Bei den Liberalen sind sie einfach, weil konkret. In Stuttgart sind die Liberalen noch knapp in den Landtag gerutscht. Birgit Homburger, FDP-Landeschefin und Fraktionsvorsitzende in Berlin, kommt also vielleicht noch mal davon. Um Brüderle steht es viel schlechter, was er schon quasi amtlich weiß, bevor die Wahllokale schließen. Denn da tauchte plötzlich eine Indiskretion aus der FDP-Spitze auf: Der Parteivorsitzende Guido Westerwelle werde „auf keinen Fall von seinen Ämtern zurücktreten“. Das Signal galt allen, die sich vielleicht überlegt haben könnten, wie man dem Parteivorsitzenden einen Strick aus dem Desaster drehen könnte. Und es konnte zugleich nur eins bedeuten: Wenn, dann soll jemand anders die Zeche zahlen.

Eine Stunde später steht Westerwelle in seiner Parteizentrale. Auch der FDP- Chef sieht den Atomunfall als Hauptursache des Wahldebakels. Das werde für die Atompolitik der FDP nicht folgenlos bleiben: „Wir haben verstanden.“ Auch Westerwelle sieht ein bisschen blass aus, aber zugleich entschlossen. Wenn sich die FDP wieder einmal grunderneuert, dann wird wieder einmal er das Manöver kommandieren. Und es sieht ganz danach aus, dass dann keiner mehr mahnend vom „Markenkern“ reden wird, wie es Brüderle nach den Schwenks seines Parteichefs lästigerweise zu tun pflegte.

Bei der CDU sind die Markenkern-Verteidiger ja auch erst mal wieder in Deckung. Vor dem Wahltag haben sich einige aus der zweiten Reihe hervorgewagt und Angela Merkels Atom-Moratorium offen zum Fehler erklärt. Am Wahltag stellt sich ausgerechnet Mappus vor die CDU-Chefin: „Der Kurs war und ist richtig.“ Man habe den gemeinsam entwickelt, der Atomunfall, nicht der Atomschwenk sei Schuld am Desaster, und: „Die Verantwortung für dieses Ergebnis trage ich.“ Er wird sie, hat man den Eindruck, am Montagabend im Landesvorstand auch auf sich nehmen.

Er hat es dann hinter sich. Für Merkel fängt es erst an. CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe wirkt am Abend wie ein Pastor bei der Trauerfeier und spricht auch ähnlich – „überaus schmerzhaft“ sei die Niederlage, „sehr schmerzhafte Verluste“. Gröhe hat allerdings zum schwarzen Anzug einen roten Schlips umgebunden. Wenn seine Chefin rot trägt, ist das der Kampfanzug. Bei Gröhe scheint die Farbenlehre ähnlich zu funktionieren. „Die kommenden Wochen werden zeigen, dass es uns sehr ernst gewesen ist mit dem Moratorium“, sagt Merkels General. Das werde Kontroversen geben, „aber die scheuen wir nicht“.

Man kann das, wenn man will, auch als den CDU-Kommentar zwecks Zurechtweisung des Rainer Brüderle werten. Aber das wäre ein paar Nummern zu klein. Erstens, weil Gröhes Andeutungen ja nur bedeuten können, dass es Merkel in der Sache ernst meint mit der Atomwende. Und zweitens, weil das, was der CDU in Baden-Württemberg passiert ist, in seinen langfristigen Auswirkungen gar nicht überschätzt werden kann.

Die CDU ohne ihr Stammland, hat einer von Merkels treuesten Wegbegleitern vor kurzem schon ahnungsvoll analysiert, das wäre wie die CSU ohne absolute Mehrheit. Der Südwesten ist immer das Rückgrat der Schwarzen gewesen. Niemand weiß das besser als Angela Merkel. Sie hat es schließlich selbst erlebt, wie dieser eine Landesverband ihr im November 2001 im Rennen mit Edmund Stoiber die Kanzlerkandidatur verlegte.

Ist jetzt also, fragen sich seit Tagen viele in der Koalition, das Ende der alten Bastionen der Anfang vom Ende in Berlin? Merkel hat die Gefahr jedenfalls gesehen. Sie hat diese Wahl zu ihrer gemacht – hat sich mit Vehemenz für Stuttgart 21 eingesetzt, hat alle atomaren Gewissheiten über Bord geworfen, hat sogar lieber ihren Ruf aufs Spiel gesetzt als dem Publikumsliebling Karl-Theodor zu Guttenberg die Solidarität aufzukündigen. Der falsche Doktor dürfte übrigens gerade sehr mit seinem Schicksal hadern – was böten sich einem intakten Guttenberg jetzt für Chancen!

Aber daraus wird nichts. Merkel, sagen sie alle in der eigenen Partei, wird auch das Ende der CDU-Bastion Stuttgart überleben. Niemand ist in Sicht, der sie herausfordern könnte; vielleicht wird sich die Partei sogar noch enger um sie scharen. Trotzdem wird auch für die CDU dieser Wahlabend nicht ohne Folgen bleiben. „Tiefer Schock – große Wut – langsam wieder berappeln“, hat einer aus der CDU-Spitze den Dreischritt prophezeit, den er für seine Partei vorausahnt. Was Schock und Wut betrifft, dürfte das in jedem Fall stimmen. Die Schlacht um die Deutung des Wahlausgangs, Gröhes roter Schlips zeigt es, wird schon noch ausbrechen. Gut möglich, dass auch die Atomwirtschaft alle Rücksicht fallen lässt, die sie auf die Wahl genommen hat.

Aber das ist nur die Schlacht an der Oberfläche. Auch Schock und Wut sind heftige, doch kurze Gefühle. Wichtiger ist, was folgt. Der Vergleich mit der CSU lässt da einiges erahnen. Die hat zwei Jahre gebraucht und einen Hoffnungsträgertaumel, bis sie wieder halbwegs beisammen war. Die SPD hat sich bis heute nicht vom Ende ihrer Vorherrschaft in Nordrhein-Westfalen erholt. Die CDU hat ein gut Teil ihres Selbstbewusstseins immer aus dem Gefühl bezogen, dass es in der Republik ganze Regionen gibt, die ihr gehören, komme was wolle. Für die FDP gilt das gleiche. Der Südwesten war immer ihre Bastion. Der Stuttgarter CDU-Landesgeneral Strobl hat vor kurzem noch vorgerechnet, dass sein Landesverband mit seinen 71 000 Mitgliedern um eine Kleinstadt größer ist als die ganzen Grünen mit 50 000 Parteibuchträgern bundesweit.

Und das ist jetzt verloren. Ein Opfer der Weltgeschichte, was sicher ein Trost ist, nur: Weg ist weg. Alle werden sich „neu aufstellen“, wie das in den Landeshauptstädten jetzt heißts, ohne Mappus vermutlich, ohne Brüderle vielleicht. Aber wenn die gegangen sind, wird trotzdem ein flaues Gefühl im Magen bleiben. Es gibt keinen schwarzen Süden mehr und kein gelbes Rheinland, keine Bastion mehr, keinen Halt. Die CDU ist nicht mehr die, die sie war, die FDP auch nicht.

Und das soll keine Folgen haben für das, was von Schwarz-Gelb übrig geblieben ist in Berlin? In den letzten Tagen, hat einer von den Mainzer Wahlkämpfern berichtet, hätten die eigenen Leute nicht mehr nach dem Warum von einzelnen Entscheidungen gefragt: „Die stellen nur noch die Sinnfrage.“ Wozu, hat die Basis verzweifelt wissen wollen, wozu wird die FDP denn überhaupt noch gebraucht? Auch das ist eine gute Frage.

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