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Lauer (Piraten) und Heilmann (CDU): Das etwas andere Sondierungsgespräch

35 Minuten redeten Christopher Lauer und Thomas Heilmann miteinander im Tagesspiegel-Gebäude. Für die Druckausgabe musste das Gespräch gekürzt werden. Hier lesen Sie das ausführliche Interview - samt Video.

Wir wollen ein transparentes Interview führen: Wir fragen, Sie reden, wir schreiben das auf, machen es lesbar – und fertig. Keine Redaktion im Nachhinein, nur blockweises Kürzen für die gedruckte Ausgabe, sonst nichts – einverstanden?

Thorsten Heilmann (TH): Einverstanden.

Christopher Lauer (CL): Okay.

Herr Heilmann, was hat die Piraten so stark gemacht?

TH: Zwei Sachen: Die Unzufriedenheit mit den bestehenden Parteien und den Verhältnissen. Da haben wir sogar was gemeinsam. Wir haben gesagt: „Damit sich was ändert.“ Sie haben gesagt: „Klar machen zum Ändern.“ Da gibt es plötzlich Berührungspunkte, obwohl wir mit den Antworten sicher unterschiedlich sind. Und sicher auch das sehr etablierte Auftreten der Linksparteien. Die sind ja mit sehr schönen Fotos, sehr glatt aufgetreten, und denen fehlte so ein bisschen das Rebellische. Das Glattgezogene hat denen sicher auch im Auftreten geschadet.

Herr Lauer, würden Sie das bestätigen?

CL: Ich würde sagen, dass es vor allen Dingen so war, dass die Leute tatsächlich eine Alternative gesucht haben. Ich habe am Stand oft gehört: Na ja, die alten Parteien kann man irgendwie nicht wählen – durch die Bank weg. Es war auch eine Unzufriedenheit mit dem Wahlkampf von Frau Künast. Da hat man irgendwie gemerkt: Das kommt nicht so richtig an. Bei mir zum Stand sind Leute von den Grünen gekommen, die gesagt haben: Eure Plakate sind total toll.

TH: Die waren auch gut, wenn ich das mal zwischendurch sagen darf. Handwerklich waren die richtig gut.

CL: Vielen lieben Dank – haben wir ohne Werbeagentur gemacht. Alles selbst ausgedacht. Aber ich glaube, ein wichtiger Punkt an der Stelle ist noch, dass es auch für die Nichtwähler interessant geworden ist. Und den dritten Punkt habe ich jetzt gerade vergessen.

Es sind ja noch fünf Jahre Zeit. Herr Lauer, Ihr Politikverständnis ist notgedrungen unprofessionell.

CL: Ja.

Welchen Vorteil hat das?

CL: Das ist der Punkt, der mir entfallen ist und mir jetzt wieder kommt. Ich glaube, was im Moment bei Menschen ganz gut ankommt und was halt natürlich ist: Wir sagen nicht, dass die Angebote, die die Piratenpartei in ihrem Programm macht, hundertprozentig funktionieren. Es ist tatsächlich nur ein Angebot. Ich hab’ das schon mal gesagt: Es gab Leute am Stand, die haben gesagt: Was macht ihr denn zu dem und dem Thema? Dann habe ich die Parteiposition genannt. Dann haben sie gesagt: Ja, dann kann ich euch nicht wählen. Dann habe ich einfach gesagt, ja, dann wählen Sie uns auch nicht. Also, ich habe mich nicht angebiedert. Die Partei hat sich, glaube ich, auch im Wahlkampf nicht angebiedert.

Auf der nächsten Seite: Wie die Piraten Politik lernen wollen.

Herr Heilmann, aus der Sicht einer Volkspartei: Ist das okay, sich so aus der Affäre zu ziehen und zu sagen, wir biedern uns nicht an, indem wir nicht zu allem was sagen?

TH: Also, für den Wähler ist das ein neues Angebot. Wir können so nicht auftreten. Wenn wir neun Prozent kriegen, würden wir schlechte Presse kriegen, um es vorsichtig zu formulieren. Insofern sind das Ebenen, die man nicht miteinander vergleichen kann. Selbst uns haben Sie 4000 Stimmen abgenommen. Aber wir sind eben diejenigen, die am wenigsten gelitten haben – und das liegt, glaube ich, daran, dass unser Wahlkampf glaubwürdiger war als bei den anderen Parteien.

CL: Nee…

TH: Man kann anderer Meinung sein – aber wir standen relativ glaubwürdig da.

CL: Ich glaube, das liegt tatsächlich daran, dass die Positionen der CDU und der Piratenpartei, was auf Bundesebene die Innenpolitik angeht… da sind einfach die Fronten klar. Jemand, der die CDU wählt – der wählt nicht die Piraten. Die CDU mit ihrem sicherheits- und innenpolitischen Profil sagt: Vorratsdatenspeicherung, mehr Überwachung. Da sagen wir: Das ist so diametral, da gibt es wenig Schnittmengen.

TH: So denkt ein Wähler nicht. Ein Wähler denkt: Welches Angebot ist denn für mich in der Stadt das Beste? Immerhin 4000 ehemalige CDU-Wähler haben laut Wählerwanderung gesagt: Das Piratenprogramm ist besser. Aber das ist deutlich weniger als bei anderen – und wir haben nicht aus Glaubwürdigkeit Wähler verloren.

CL: Ich kann das nicht beurteilen.

Herr Lauer, wie lange werden Sie Politik lernen können, bevor Sie politisch entscheiden können?

CL: Ich glaube, das mit den Entscheidungen geht jetzt relativ schnell los. Das Abgeordnetenhaus konstituiert sich im nächsten Monat. Dann wird es Ausschusssitzungen geben, dann wird es Plenarsitzungen geben…

TH: Sie tragen aber noch keine wirkliche Verantwortung. Das ist ganz was anderes als Regierungshandeln. Wir sind ja leider auch geübt in Opposition. Ob Sie sich dafür oder dagegen entscheiden, hat keine Wirkung.

CL: Ja doch hat es eine Wirkung – und zwar bei den Leuten, die uns auf die Finger schauen. Abstimmen fällt uns bei „Wahlalter 16“, was auch in unserem Programm steht, nicht schwer. Es gibt aber auch andere kontroverse Positionen, zu denen wir noch nichts zu sagen haben, zu denen wir uns dann aber auch positionieren müssen.

TH: Klar. Aber Sie müssen keinen Haushalt lösen. Sie müssen nicht lösen, wenn’s  zu wenig Geld in der Kasse gibt und Sie eine Sache nicht machen können, obwohl Sie drei Sachen gut finden.

Sie werden trotzdem glaubhaft etwas zum Etat sagen müssen. Sind Sie dafür oder dagegen? Wo sind Sie dafür, wo sind Sie dagegen? Darauf zielte die Frage. Wie schnell lernt sich das? Wie viel Zeit geben Sie sich da?

CL: So viel Zeit, wie wir brauchen. Weil: Es bringt ja nichts, wenn wir uns hinstellen und einen eingeübten Text aufsagen, von dem wir selber nicht wissen, was er ist. Aber wir müssen das natürlich auch das so schnell wie möglich lernen – im Hinterkopf diese Verantwortung, die jetzt da auf uns lastet. Ich bin da aber zuversichtlich. Ich hab’ das schon mal gesagt: Diese Partei in dieser Form gibt es im Grunde genommen erst seit 2009. Anfang des Jahres 2009 50 Mitglieder. Ende des Jahres 800, 900 Mitglieder. Und wenn man sich anguckt, wie wir dieses Parteiwerden in den letzten zwei Jahren hinbekommen haben, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass wir auch eine gute Fraktion werden können. Und im Grunde ist  so eine Fraktion ja eine kleine Partei im Parlament. Die hat auch eine Satzung, Vorsitzenden, einen Geschäftsführer. Ich denke, dass wir das schon schnell hinkriegen werden.

Treffen der Generationen: Was die Jungpolitiker anders machen - und was sie dringend lernen müssen.

Aber Sie glauben auch, dass Sie im laufenden Betrieb mithalten können.

CL: Nee. Das ist gar keine Frage des Glaubens – wir müssen das. Das ist ein Fakt, den wir akzeptieren müssen.

TH: Würden Sie denn politische Absprachen machen? Politische Absprachen sind ja politische Geschäfte: Wir stimmen mit euch da, dann stimmt ihr mit uns da.

CL: So ein Kuhhandel, auf gut deutsch.

TH: Nein, das ist kein Kuhhandel. Das hat damit gar nichts zu tun. Wenn Sie etwas durchsetzen wollen, müssen Sie Bündnispartner suchen.

CL: Machen Sie mal ein Beispiel.

TH: Sie wollen etwas im Internet durchsetzen, irgendeine Transparenzgeschichte, um jetzt etwas zu sagen, und Sie sind dafür damit einverstanden, dass Sie bei bestimmten Haushaltspositionen mit jemanden mitstimmen. Wahrscheinlich werden Sie mit uns gar nicht so einen Deal machen müssen, weil sich die Mehrheitsverhältnisse gar nicht ergeben – aber das gibt es in Bezirksparlamenten laufend: dass man Kompromisse schließt und sagt: Wir kriegen das, ihr kriegt das. Das ist auch gar nicht heimlich…

CL: Was wir von Anfang an gesagt haben, ist, dass wir konstruktiv zusammenarbeiten wollen mit anderen Parteien. Fundamentalopposition ist mit Sicherheit einfacher, weil man immer schön poltern kann. Aber das funktioniert auch, glaube ich, nur eine beschränkte Zeit. Das ist aber eine interessante Frage in diesem Lernprozess: Sollen wir diese – ich sag es jetzt trotzdem – Kuhhandel machen? Ich glaube jetzt nicht, dass wir sagen würden: Ja, okay, in Friedrichshain-Kreuzberg werden jetzt alle Freiflächen auf Dächern, die der Stadt gehören, für Freifunkrooter benutzt, und dafür stimmen wir zu, dass an jede Ecke eine Kamera gestellt wird, damit die Autos nicht mehr brennen – verstehen Sie, so was würden wir sicher nicht machen.

Herr Heilmann, sind die Piraten ein Generationsphänomen?

TH: Ganz gewiss ist das ein Generationsphänomen. Die spannende Frage ist: Wie nachhaltig wird das sein? Ich glaube, das Internet ist sehr nachhaltig. Ob die Piratenpartei nachhaltig ist, hängt sehr davon ab, wie sie ihre ersten Schritte in den nächsten fünf Jahren erledigen wird. Das kann ich auch nicht vorhersagen.

Herr Lauer, beschreiben Sie uns das Politikverständnis Ihrer Generation.

CL: Ich kann nicht für meine Generation sprechen, aber ich versuche es mal zumindest für die Piraten. Ich glaube, das grundlegende Verständnis der Piraten ist: Wenn man Menschen wie erwachsene Menschen behandelt, wenn man ihnen Möglichkeiten gibt, wenn man die Möglichkeit gibt, sich weiterzubilden, Wissen zu nutzen, dann kommt da am Ende was Ordentliches raus. Wir Piraten benutzen die ganze Zeit Technologien, die im Grunde genommen total fragil sind. Wir benutzen zum Beispiel ein Wiki in der eigenen Partei. Da könnte die ganze Zeit randaliert werden. Da könnte die ganze Zeit irgendwie Quatsch gemacht werden bei den Dingen, die wir da schreiben – es passiert nicht. Wir benutzten andere Sachen, wo die ganze Zeit irgendetwas Schlimmes passieren könnte – und es passiert nicht. Wir haben einfach dieses Vertrauen. Und ein zweiter Punkt ist: Wir sind mit lauter Krisen aufgewachsen. Ich zum Beispiel bin `84 geboren. Dann kam die Wiedervereinigung, dann erstmal die Euphorie, dann die Ernüchterung…

Auf der nächsten Seite geben Lauer und Heilmann Nachhilfe in Geschichte und Demokratietheorie.

War das eine Krise?

CL: Nein, die Wiedervereinigung war keine Krise. Aber danach kam die Ernüchterung. Dann 2000 die Dot.com-Blase, dann der 11. September – und ich glaube, dieser 11. September war noch mal ein ziemlich krasser Einschnitt. Vorher hatte man noch zumindest ein leicht positives Gefühl gegenüber der Zukunft. Und ich hatte danach das Gefühl: Danach ging es nur noch bergab, was die Öffentlichkeit angeht – Angst, dass wir durch einen terroristischen Anschlag weggebombt werden. Und dann wieder Wirtschaftskrisen: 2005, 2009 – es passieren die ganze Zeit Dinge, die wirklich so hochkomplex sind, dass man sie gar nicht mehr nachvollziehen kann. Jetzt zur Finanzkrise: Da stehen in diesen Banken Computer, die machen diese Arbitrage-Geschäfte, kaufen und verkaufen in Sekundenschnelle. Kein Mensch weiß mehr, was da passiert, aber die produzieren irgendwie Geld. Das ist nur so ein Beispiel für eine komplexe Geschichte. Deswegen erheben wir gar nicht mehr den Anspruch, alles verstehen zu können und verstehen zu wollen und auf alles eine Antwort zu haben.

Die Frage war ja: Wie prägt das Ihr Politikverständnis?

CL: Pragmatisch.

Ist es so, dass Sie sagen: Das System schafft es nicht mehr, und deshalb muss man ganz neu denken?

CL: Nein. Nein. Wir müssen quasi eine Operation am offenen Herzen durchführen. Wir müssen es irgendwie schaffen, auf den Reset-Knopf zu drücken – aber wir können es nicht so radikal machen. Wenn man auf die Geschichte in Europa guckt, auf meinetwegen 500 Jahre, dann wurden doch ganz viele Entscheidungen durch Krieg und Zerstörung geprägt - oder Revolutionen.

TH: Aber es gibt auch viele Veränderungen durch kluge Entscheidungen. Wir haben Gerichte eingeführt, die königliche Entscheidungen überprüft haben. Das war ja ein enormer Akt von Transparenz und Gewaltenteilung. Dann wurden die Gerichtsverhandlungen auch noch alle öffentlich. Dann haben wir die Parlamente eingeführt und gesagt: Es gibt keine Steuer ohne Repräsentation…

CL: Aber das haben die Könige doch nicht gemacht, weil die gesagt haben: Das ist eine gute Idee! Dazu wurden sie doch von der Bevölkerung unter Druck gesetzt. Das war die Französische Revolution!

TH: Die gab es natürlich auch. Aber die Rentenversicherung hat Bismarck ganz freiwillig eingeführt. Die Gesundheitsversicherung für alle hat Bismarck freiwillig eingeführt…

CL: Ja Moment! Da hatten wir eine soziale Frage. Wir hatten eine industrielle Revolution. Und wir hatten Städte, die waren voll…

TH: Das Problem war drängend – aber er war jedenfalls noch in einer Lage, es nicht machen zu müssen. Ich will nur sagen: Es sind nicht alle Fortschritte durch Krieg gekommen.

CL: Das habe ich auch nicht gesagt – doch, ich habe es gesagt, aber ich habe es tatsächlich nicht so gemeint. Das, was Bismarck da durchgeführt hat, war ja im Grunde genommen auch eine Operation am offenen Herzen.

TH: Wenn Sie so wollen. Aber ich glaube, das Bild bringt nicht so richtig was. Wir brauchen eine Veränderung, wo die Bürger sich besser beteiligen können. Und da müssen wir einen Umlernprozess bei den Bürgern und bei den Politikern einleiten. Man kann ja nicht einfach sagen: Die twittern jetzt von morgens bis abends. Erstens haben sie etwas anderes zu tun. Zweitens können sie es gar nicht. Das heißt: Das wird ein Prozess werden.

CL: Ja.

TH: Wir in der CDU sind für den Gedanken: mehr Transparenz und vor allen Dingen erst Transparenz schaffen und dann die Bürger antworten lassen und dann die Politiker entscheiden lassen. Bisher ist Transparenz ganz oft: Wir entscheiden was, dann stellen wir das ins Internet…

CL: Aber ist das bei Ihnen mehrheitsfähig?

TH: Wir haben das so gemacht!

CL: Achso, in Ihrem Wahlprogramm. Ja, das hatte ich mir angeguckt.

TH: Das war ganz bewusst die Entscheidung: Wir fragen erst die Bürger, welche Dinge findet ihr wichtig? Welche findet ihr unwichtig? Und dann schreiben wir die Antworten zu den Problemen, die die Bürger wichtig finden.

CL: Darf ich Ihnen mal eine technische Frage stellen? Auf dem Parteitag lief das dann wieder über Leitanträge ab?

TH: Ja, klar.

CL: (lacht)

TH: Wir müssen da nach Satzung handeln. Aber vorher haben wir die Bürger befragt und das Ergebnis in ein Programm gefasst. Das Programm war dann selbstverständlich wieder öffentlich und konnte diskutiert werden. Und dann war es die Verantwortung der Programmkommission, die ich geleitet habe, aus diesen Ergebnissen dem Parteitag etwas zum formalen Beschluss vorzulegen. Und dann ist das so beschlossen worden. Das war dann der Notarakt, da gab’s noch sieben Wortmeldungen. Das ist genau das, was Sie wollen. Zumindest vom Denkansatz.

CL: Gut, vom Denkansatz. Ich finde das gerade interessant, in welche Richtung sich dieses Gespräch entwickelt und was man dann nachher über die Piratenpartei und die CDU sagen wird. Beziehungsweise: über mich und Sie.

TH: Wir haben sowieso keine Mehrheit zusammen. Von daher können Sie ganz entspannt sein.

CL: Ich traue es aber tatsächlich den Konservativen am ehesten zu, den Schuss auch zu hören, und zwar aus einem ganz pragmatischen Grund. Die glauben halt nicht, dass Sie da an irgendwen Wählerstimmen verlieren …

TH: Neenee, das liegt an unserem Menschenbild: Wir glauben auch, dass die Leute, wenn man sie positiv anfasst, privat und alleine in Selbstinitiative sehr weit kommen. Wir nennen das christliches Menschenbild, wir haben ein ganz anderes Vokabular als Sie, aber das ist unser Menschenbild: Wir finden den bevormundenden Sozialstaat nicht gut.

CL: Hmmhmmm.

TH: Wir wissen aber auch, dass es einen bestimmten kleinen Prozentsatz von Leuten gibt, die sehr träge sind, und die von alleine nicht ihren Weg finden. Das ist unser Problem. Aber die meisten – man kann auch humanistisches Menschenbild sagen – schaffen das. Das ist unsere Grundauffassung. Und deshalb sagen wir: Befähigt lieber die Leute, anstatt ihnen im öffentlichen Beschäftigungssektor mit einer Scheinbeschäftigung relativ viel Geld zu geben, ohne dass sie wirklich beschäftigt sind, ohne dass sie wirklich dem Arbeitsmarkt ausgesetzt sind. Das hilft den Leuten nicht wirklich.

CL: Das würde mich jetzt mal interessieren: wie der Berliner Landesverband der CDU im Links-Rechts-Spektrum ihrer Partei …

TH: Wenn Sie das so wollen: Der Verband ist traditionell eher linker Flügel, aber vieles kann man nicht in ein Links-Rechts-Schema pressen. Was ich zum Menschenbild gesagt habe, würde auch die bayrische CDU sofort unterschreiben. Ich finde diese Links-Rechts-Schemen nicht immer weiterführend.

CL: Sehr interessant. Aber Sie sind sicher, dass Sie bei der CDU sind?

TH: Ich bin ganz sicher, dass ich bei der CDU bin. Ich bin stellvertretender Landesvorsitzender. Mein Wahlprogramm, also das Wahlprogramm, dessen Kommission ich geleitet habe, ist einstimmig  verabschiedet worden. Also, machen Sie sich keine Gedanken!

CL: Aber warum hat man dann zumindest auf Bundesebene den Eindruck – Stichwort Netzsperren, Stichwort Vorratsdatenspeicherung -, dass die CDU da irgendwie Positionen vertritt, die nicht so wirklich an der technischen Realität orientiert sind?

TH: Wenn Sie das technische Verständnis des Durchschnitts-CDU-Abgeordneten nehmen, ist das wahrscheinlich übersichtlich. So wie Sie sagen, Sie wissen manches nicht, sage auch ich: Ich weiß manches nicht. Aber das Thema Kinderpornographie ist ein echtes Problem, das durch das Internet ernsthaft größer geworden ist …

CL: Seh’ ich genau so.

TH: … und die Netzsperren waren der verzweifelte Versuch, wie man diese Seuche irgendwie eingrenzen kann. Das, was da immer behauptet wurde – das sei das trojanische Pferd, um Zensur einzuführen – das war so nicht. Sondern es ging ausschließlich um dieses Thema. Und wir haben – anders als Sie – Vertrauen zum Gesetzgeber: Wenn der entscheidet „Das gilt dafür, und das gilt für etwas anderes nicht“, dann gibt es a) Kontrolle in der Öffentlichkeit und b) auch gerichtliche Kontrolle, um das sicherzustellen.

CL: Um da noch mal die Piratenposition zu erklären, damit nicht der Eindruck entsteht, wir finden toll, was da passiert: Ich glaube, wir sind einer Meinung, dass das eine schlimme Sache ist, die bekämpft werden muss. Aber dann halt irgendwie effektiv. Und ganz kurz: Diese DNS-Sperren, die da vorgesehen waren: Das war so, als würde ich jetzt hier diesen Keks nehmen und eine Tasse drüberlegen und sagen: Dieser Keks ist nicht mehr da. Und dann gucke ich drunter und hole ihn wieder raus. Und das ist das, was Sie gemacht haben. Und zweitens sind sie technisch total mangelhaft: In dem Moment, wo ich die IP-Adresse kannte, wo ich also wusste, wie der Keks hieß, konnte ich das umgehen.

TH: Aber es gibt doch den Lerneffekt bei uns – auch auf der Bundesebene. Das schlagende Argument ist einfach: Es funktioniert nicht. Und etwas, was nicht funktioniert, braucht man auch nicht zu machen.

CL: Aber da könnte die CDU doch auch ein bisschen was von der Piratenpartei lernen: wenn sich dann Frau von der Leyen hinstellen würde und sagen würde: „Es tut mir leid, wir haben uns geirrt.“ Aber das passiert ja nicht. Sie haben eben von diesem anderen Politikstil gesprochen, den Sie haben möchten, aber genau da, im Stil, passiert nichts.

TH: Ich kann nur über die Berliner CDU reden, aber da tut sich eindeutig was im Stil. Und auch im Bund: Da haben Frau Merkel und Frau von der Leyen die Entscheidung mitgetragen, letztlich einen anderen Weg zu suchen.

Mehr Information, mehr Kontrolle: Wie das Internet die Politik verändert hat. Weiter auf der nächsten Seite.

Noch einmal zu Ihrem Politikverständnis, Herr Lauer: Wenn Sie sagen, es wäre doch schön, wenn Frau von der Leyen ihren Irrtum eingestünde: Haben Sie das Gefühl, dass dieses politische System, in dem wir alle nicht schlecht leben, zu geschlossen ist? Oder zu losgelöst? Was wollen Sie da reingeben, dass auch Ihre Generation sagt: „Das ist jetzt unsers.“?

CL: Das Gute ist ja: Ich habe im Internet diesen stetigen Rückkanal. Die neue Generation ist es gewohnt, Feedback zu bekommen, sich aus ganz vielen verschiedenen Quellen zu informieren. In dem Moment, in dem ich erfahre, dass Frau von der Leyen irgendwas sagt … Ach, ich hacke jetzt nicht auf Frau von der Leyen rum. Also: Politiker XY sagt etwas, und ich habe sofort die Möglichkeit, mich über die Hintergründe zu informieren. Und ich finde drei, vier glaubwürdige Quellen, die sagen: Da passt etwas nicht in dem, was er sagt. Der Sachverhalt ist eigentlich anders, als er ihn darstellt. Das Internet zertrümmert Hoheitswissen. Sowohl bei Politikern, als auch bei Wissenschaftlern und Professoren. Diese ganzen Gatekeeperfunktionen werden eingerissen, auch in der Politik. Wenn ich heute zum Arzt fahre, gucke ich vorher schon in der Wikipedia nach, was ich hab’. Und dann sage ich zum Arzt: „Hier, wie sieht’s aus? Was kann ich dagegen machen?“ Und genau so ist es in der Politik auch! Die Leute merken: Da wird auch nur mit Wasser gekocht, die Politiker wissen auch manchmal nicht Bescheid. Von früher her glaubt man noch, immer die Lösungskompetenz repräsentieren zu müssen, aber das Bild höhlt sich aus, durch die Informationen, die ich mir im Internet besorgen kann.

TH: Die größeren Schwierigkeiten als die Politiker haben da übrigens Hersteller und Anbieter: Die Gaststätte, über die es eine Beurteilung im Netz gibt, hat unter Umständen ein Problem. Verbraucher – und Verbraucher sind ja dieselben Menschen wie Wähler – sind selbstbewusster geworden.

CL: Ich verstehe jetzt nicht den Schwenk zu den Gaststätten.

TH: Na, jeder Anbieter, der Tagesspiegel inklusive, ist transparenter geworden. Der Wechsel ist leichter.

CL: Ja.

TH: Qualität ist besser nachvollziehbar.

CL: Genau.

TH: Autoritäten müssen sich rechtfertigen. Das ist gut. Der Wettbewerb wird stärker.

Herr Lauer hat es jetzt geschafft, sein Politikverständnis ohne das Wort Transparenz zu erklären, was großartig ist. Trotzdem die Frage an Sie, Herr Heilmann: Braucht Politik immer wieder den Ausschluss der Öffentlichkeit? Geheimnisse?

TH: Ja, immer dann, wenn es um personenbezogene Daten geht, wenn es um schützenswerte Sphären von Beteiligten geht. Aber wir können in der Politik mehr transparent machen, als wir es heute tun. Und da gibt es ja seit Jahrzehnten einen Prozess hin. Aber man darf Beteiligte an einem Prozess ja nicht überfordern. Das muss man nach und nach machen.

Keine Denkverbote - nicht nur bei der FDP eine beliebte Forderung. Lesen Sie weiter auf Seite 6.

Gibt es in einem Parlament trotzdem Räume, die zwar nicht privat, aber nicht auf diese total transparente Art öffentlich sein müssen?

TH: Sie müssen Räume schaffen, in denen Sie frei nachdenken können. Nehmen Sie das Beispiel Euro. Wenn ich jetzt heute sage: Griechenland muss insolvent gehen, wenn ich diesen Gedanken, den ich im Interview nur als hypothetisches Beispiel nenne, erwäge, dann bewege ich damit ja Märkte. Wenn ich immer weiß, dass ich damit direkt etwas tue, ich will aber gar nichts entscheiden, ich will nur nachdenken, und zwar nachdenken in Interaktion, dann muss das auch möglich sein, ohne dass ich damit gleich etwas tue. Sonst findet dieses Nachdenken nicht mehr statt.

Herr Lauer?

CL: Ja? Das bin ich. Nein, was war noch mal die Frage?

Braucht es tatsächlich diese Räume für Nachdenken in Interaktionen, das aber nicht sofort streng-öffentlich ist?

CL: Was im Moment bei den Piraten passiert, ist sehr großartig, weil wir ja gerade die Konfrontation mit unseren eigenen Forderungen in der Öffentlichkeit sehen. Die Sache an der Stelle ist einfach. Ich glaube, es gibt in der Tat solche Situationen: Wenn man in der Fraktion Personalentscheidungen trifft, wenn es auch mal heiß hergeht – natürlich kann man das live im Internet streamen. Man kann auch die Damen und Herren von der Presse einladen. Aber dann wird’s Boulevard. Und noch nicht einmal, weil ich denen eine böse Absicht unterstelle, sondern einfach, weil man darüber schreibt. Weil man sagt: Achja, das ist ja jetzt der Blick in den Maschinenraum einer Partei. Andere Parteien zeigen gerade, wie sie mit diesem Boulevard nicht gerade in der Wählergunst zulegen, und ich glaube an der Stelle tatsächlich: Ja, da würde es gut tun, wenn man die Möglichkeit hätte, Entscheidungen zu treffen, ohne dass das sofort live ist. Ich finde es sehr gut, die Sachen zu protokollieren oder auch zu sagen: Ok, wir nehmen es auf, und wenn es nicht so schlimm war, können wir es nachher auch veröffentlichen.

Wie fanden Sie beide denn den auf Gesprächen im allerkleinsten Kreis beruhenden Coup des regierenden Bürgermeisters mit der Modemesse Bread&Butter?

TH: Dass die Verträge nicht öffentlich sind, geht nicht.

Warum?

TH: Weil mit öffentlichen Gütern gehandelt wird. Dass es vertrauliche Gespräche gibt, finde ich kein Problem. Sonst verhandeln die Bread&Butter-Leute mit ihnen gar nicht mehr. Aber dass man am Schluss nicht sagt, was man ausgehandelt hat, geht nicht.

Sehen Sie das auch so Herr Lauer? Oder ist es Ihnen egal?

CL: Nein, mir ist es nicht egal. Ich überlege nur gerade, was hier in diesem Gespräch passiert und finde es sehr interessant. Ich glaube, die Piratenpartei hat sich zu Geheimverträgen eindeutig geäußert. In dem Moment, in dem mit Steuergeld hantiert wird, muss man sehen, zu welchen Konditionen das passiert. Aber das wird sehr interessant, wie die Piratenpartei im Parlament damit umgehen wird, dass sie den ganzen Tag mit solchen Geheimverträgen konfrontiert wird, auch mit den technischen Möglichkeiten, die sie hat. Ich finde aber noch auf einer ganz anderen Ebene bedenklich, wenn die Opposition, die ja auch den Finger auf die Verwaltung haben soll, nicht die Möglichkeit hat, ein solches Vertragswerk zu lesen.

TH: Das haben wir uns ja gerichtlich erstritten. Wir haben es uns ja angeguckt, wir dürfen nur nicht darüber reden.

Würden die Piraten sich an so etwas halten?

CL: Natürlich würde ich mich dran halten. Aber Sie wissen ja: Das Internet – es tauchen Dinge auf, es verschwinden wieder Dinge …

TH: Das ist aber eine sehr sibyllinische Antwort.

CL: Ich werde in dieser Abgeordnetentätigkeit natürlich nichts tun …

TH: Sie halten sich an Recht und Gesetz …

CL: Ja, natürlich, Law and Order, damit kann der CDU-Mensch auch was anfangen. 

TH: Nein, nicht Law and Order. Recht und Gesetz. Aber wir haben als Parlament ja die Möglichkeit, Recht und Gesetz zu ändern. Aber dafür muss man Mehrheiten haben.

Herr Lauer, was haben Sie eigentlich eben damit gemeint: Es ist interessant, wohin dieses Gespräch läuft?

CL: Ich bin mir gar nicht sicher. Sie sind – jetzt mache ich Ihnen ein Kompliment, Herr Heilmann – sehr gut. Aber irgendwie habe ich das Gefühl …

… wir wollen hier eine Koalition zusammenbringen, die es gar nicht gibt?

CL: Jaja, genau. Weil: Ich finde seine Antworten total schräg.

TH: Sie sind nicht schräg, sie sind vernünftig.

CL: Haben Sie die Fragen vorher gesehen?

TH: Nein. Aber lesen Sie doch unser Wahlprogramm.

CL: Ich hab’ es tatsächlich nicht gelesen. Aber ich habe in der taz – darf ich das hier sagen? – eine gute Kritik gelesen. Ich les’ mir das mal durch, ok?

TH: Tun Sie das. Wir sind viel weiter, als Sie denken.

Nochmal eine grundsätzliche Frage: Finden Sie die CDU glaubwürdig in diesem Punkt der Bürgerinteraktion, mit der dieses Wahlprogramm entstanden ist? Ist das Transparenz oder ein Wahlkampfcoup?

CL: Nehmen Sie es nicht persönlich, weil Sie sich sehr stark dafür machen: Aber ich finde es nicht glaubwürdig. Die Mehrheiten in der CDU liegen anders. Diese ganzen Internetportale sind Wahlkampfstunts. Aber ich traue tatsächlich – und jetzt kommt wieder das Lob – einer Partei wie der CDU aus irgendeinem bizarren Grund zu, sich auf solche Veränderungen einzustellen. Aber glaubwürdig finde ich es trotzdem nicht, vor allem mit der Geschichte der CDU in dieser Stadt.

TH: Das hat damit gar nichts zu tun. Die CDU hat in dieser Stadt Fehler gemacht, gemeinsam mit der SPD übrigens. Jetzt haben wir neues Personal, das Internet gab es damals auch noch nicht in dieser Form. Und wir arbeiten gerne mit den Bürgern. Wir haben Mehrheitsbeschlüsse für all das, und daran halten wir uns, übrigens ziemlich satte Mehrheiten. Und da wir laufend wiedergewählt werden müssen, können wir gar nicht dahinter zurück.

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