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NRW-Wahlkampf: Würstchen mit Sahnetorte

Sie hatten einen Plan in der CDU: Schwarz-Gelb wird in Nordrhein-Westfalen am sichersten wiedergewählt, wenn es keiner merkt. Deshalb hielt man sich in Berlin lange raus. Leider kommt die Euro-Krise dazwischen, und Merkel muss sich bekennen – am Mittwoch mit einer Regierungserklärung.

Von Robert Birnbaum

Für die Sache mit den Griechen hat die Kanzlerin keine zwei Minuten reserviert. Das muss reichen in Paderborn. Es ist der Montag vor einer Woche, im Bürgerhaus in der Remise von Schloss Neuhaus sitzen 1300 CDU-Anhänger auf reservierten Stühlen, die meisten ein bisschen feierlich gekleidet wie zum Kirchgang. Der ist in der Domstadt in Ostwestfalen noch fast so selbstverständlich wie das Kreuzchen bei den Christdemokraten. Der Weihbischof wird als „Vertreter der hohen Geistlichkeit“ begrüßt. In der Stadt gibt es ein Spezialgeschäft für Messgewänder, in dessen Schaufenster eine Handynummer klebt für eilige Pfarrer vom Lande. Heimspiel für eine CDU-Vorsitzende. „Okay, um der Stabilität der Währung willen werden wir auch helfen“, sagt Angela Merkel. „Aber den wesentlichen Beitrag muss Griechenland leisten.“

Bei dem Satz fällt der Applaus auffallend lang aus, selbst für Paderborn. Doch Merkel ist schon weiter beim Thema des Abends, der Landtagswahl am 9. Mai. „Es geht darum, dass Nordrhein-Westfalen nicht Experiment der Tagespolitik wird“, sagt sie. „Es darf am Wahlsonntag keine Sahnetorte gegessen und kein Würstchen gegrillt werden in einer CDU-Familie, die noch nicht gewählt hat!“

Man hat selbst von Merkel schon eindringlichere Appelle gehört. Aber an diesem regnerischen Abend ist das, was am zweiten Maisonntag passieren wird, erkennbar noch nicht ihre Wahl.

Genau eine Woche später hängt das Schild „Die Kanzlerin kommt“ vor dem Borussia-Stadion in Mönchengladbach. Mal was anderes, hatten sie sich bei der CDU vorher gefreut, Merkel bei den Borussen in der Südkurve! Aber von Sahnetorten wird heute Abend hier keine Rede sein, von Würstchen auch nicht. Merkel hat abgesagt. Sie braucht größeres Publikum, Fernsehinterview im Doppelpack bei ARD und ZDF, immer gleich nach den Nachrichten. Wegen der Griechen. NRW muss warten. Doch gerade die Abwesenheit der Angela Merkel zeigt: Dies ist, ob sie will oder nicht, auf vertrackte Weise jetzt zu ihrer Wahl geworden.

Sie wollte eigentlich nicht. Selten ist ein schöner Plan so gründlich schiefgegangen. Den Plan gab es, führende Koalitionspolitiker bestätigen das unumwunden, eine klare Absprache: Die schwarz-gelbe Wunschkoalition legt einen schnellen Start mit einem Wohltatenpaket hin; sie verfällt dann bis zum 9. Mai in wohlgefällige Untätigkeit und trägt so dazu bei, dass die Wähler in Nordrhein-Westfalen gar nicht erst auf andere Ideen kommen, als den präsidialen Arbeiterführer Jürgen Rüttgers zu bestätigen.

Merkel hat das Spiel mitgespielt, nicht mal ungern. Abstimmungen über den Landtag im bevölkerungsreichsten Bundesland haben das Zeug zur Schicksalswahl. Mit dem hiesigen Frust über die Agenda-Reformen hat Gerhard Schröders Ende angefangen. NRW ist in den fünf Jahren trotzdem kein ganz anderes, kein bürgerliches Land geworden. Vielleicht, hat noch vor kurzem ein Spitzenkoalitionär in Berlin kalkuliert, wenn die Linke es nicht in den Landtag schafft, dann reicht’s noch einmal für Schwarz-Gelb. Sonst aber nicht. Der Plan gesteht das indirekt ein: Schwarz-Gelb in Düsseldorf wird am sichersten wiedergewählt, wenn es keiner merkt. Aber wenn es schiefgeht, dann soll es wenigstens keiner gewesen sein.

Das Muster zieht sich durch diesen ganzen Wahlkampf. Dabei war der Plan schon Makulatur, als Rüttgers’ Sponsoringaffäre hochkochte. Seither ist nur noch Teil zwei übrig: Keiner will es gewesen sein. Der FDP-Landeschef Andreas Pinkwart mag plötzlich vom Hotel-Steuerrabatt nichts mehr wissen. Guido Westerwelle flüchtet sich in die römische Dekadenz. Und Rüttgers? Sein Wahlkampf zerbröselt in eine Kette von Distanzierungen: von seinem Generalsekretär, von denen in Berlin, vom Koalitionspartner, neuerdings von dubiosen CDU-Finanzierungspraktiken im Wahlkampf 2005, einmal sogar quasi von sich selbst. Vor sechs Wochen beim Kleinen Parteitag der Bundes-CDU, den Fehlstart der Berliner Koalition im Nacken, hat er den Wählern geraten, sie sollten nicht ihm den Denkzettel verpassen, sondern im Gegenteil ihm ihre Stimme geben, damit er die Berliner zur Vernunft bringen könne. „Ich bin der Denkzettel!“, hat Rüttgers gerufen. Das war derart verzweifelt um die Ecke herum gedacht, dass Parteifreunde fast schon wieder Mitleid bekamen.

Die Misere in der Berliner Koalition ist fast vergessen. Dafür sind die Griechen da. „Griechenland ist das Thema Nummer eins im Wahlkampf“, sagt Rüttgers am Montag. Das stimmt. Es ist zugleich wieder ein Stück Distanzierung: Das ist ein Ding, das kann ich nicht alleine richten. Der Solitär hat wenig Freunde in der eigenen Partei und darauf auch nie Wert gelegt. Jetzt braucht er Hilfe. Er hat es bisher mit einer Angstkampagne versucht – ein CDU-Werbefilm zeigt die Linke Sarah Wagenknecht und die SPD-Frau Hannelore Kraft in einem nachgemachten Horrorstreifen als Gespenster, die dem Wähler im Albtraum erscheinen. Aber was ist die Angst vor fiktiven Untoten gegen reale Angst ums Geld? Und so hat Angela Merkel auf einmal viel mehr mit dieser Wahl zu tun, als ihr lieb ist.

Im Borussen-Stadion hat der örtliche Abgeordnete gerade Roland Koch als Ersatzmann für die Kanzlerin begrüßt, da erscheint Merkel für den Rest der Republik auf dem Fernsehschirm. „Was nun“ im ZDF, wenig später in der ARD „Farbe bekennen“. Die Farbe ist ein knalliges Rot. Das Kostüm soll schon Angriffslust signalisieren. Merkel rennt seit Tagen auf allen Medienkanälen gegen die Skepsis an, gegen die „Bild“-Zeitung und gegen die Zeit. Das Kabinett hat gerade die Griechenlandhilfe beschlossen, 22 Milliarden. „Tschüss Euros, euch sehen wir nie wieder“, texten sie bei „Bild“.

Es gibt in Deutschlands größtem Boulevardblatt durchaus Leute, die den Unterschied zwischen einem Kredit, einer Anleihe und einer Bürgschaft kennen. Aber im Krieg zählen Feinheiten nicht. Und „Bild“ führt Krieg. Auch eine neue Erfahrung für Merkel. Bisher war der Boulevard meist ihr Verbündeter. „Wenn ich meine Meinung jeden Tag von den Zeitungen abhängig machen würde, könnt’ ich vor Schreck ja gar nichts mehr tun“, sagt sie. Am nächsten Tag darf sie in den bekannten fetten Lettern auf der Seite Eins lesen, dass die Politik den EU-Vertrag breche. Der Krieg geht weiter.

Was Merkel dem entgegenzusetzen hat, passt eigentlich immer noch in die Paderborner zwei Minuten: Es geht nicht um die betrügerischen Griechen, sondern um unsere Währung und unsere Sicherheit. „Ich habe hart gearbeitet“, sagt Merkel, „alles Menschenmögliche getan“, von „Bewährungsprobe“ spricht sie und sogar vom Amtseid, in dem sie geschworen hat, Schaden vom deutschen Volk abzuwenden. „Jetzt haben wir Grund in der Sache!“

So weit man in Treibsand halt Grund findet. Aber ihr bleibt nichts übrig, als jetzt wirklich die Eiserne zu geben. Als die Griechen vor den Spekulanten kapitulierten und um Hilfe riefen, erschien abends im Fernsehen eine Kanzlerin mit verräterisch dünner Stimme. Die Stimme ist inzwischen wieder fest. Eindruck entscheidet. In der Sache ist der ganze Vorgang zu kompliziert, um den Kampf um die öffentliche Meinung gewinnen zu können. Die Vorwürfe sind leichter nachzuvollziehen. Sie sind auch prominent besetzt. Sogar Theo Waigel, Vater des Euro, wirft ihr schädliches „Hin und Her“ vor. Merkel kämpft aus der Defensive. Und hat sie nicht wirklich versucht, den ganzen Griechen-Schlamassel auch auf die Zeit nach dem 9. Mai zu vertagen?

Nein, sagt Merkel, sie habe sich sperren müssen, weil die Griechen sonst nie einen harten Sanierungskurs eingeschlagen hätten. Aber liegen die Kritiker alle falsch, auch Peer Steinbrück, bis vor kurzem ihr Finanzminister? „In der Opposition angekommen“, gibt Merkel zurück. „Wir haben jetzt ein globales Ereignis.“ Als ob da „lokale Ereignisse“ wie eine Wahl in der deutschen Provinz eine Rolle spielten!

Ob die Leute irgendwann bedächtig nicken, wenn sie das oft genug hören, im Fernsehen, im Zeitungsinterview, am Mittwoch in der Regierungserklärung – schwer zu sagen. Vielleicht reicht die Zeit knapp aus für die Wiedergeburt der Krisenkanzlerin. Vielleicht kann sich Angela Merkel bis zum Sonntag vor dem Volkszorn an den Wahlurnen in Sicherheit bringen und Jürgen Rüttgers gleich mit. Guido Westerwelle ist ja auch schon hinter ihr in Deckung gegangen, vizekanzlert jetzt staatsmännisch, statt über alte Römer zu sinnieren. Die Opposition soll möglichst mit ins Boot – gemeinsamer Entschließungsantrag zur Finanzmarktreform als Preis für ein Ja zum Griechen-Hilfspaket? Aber gerne doch!

Das politische Gegengeschäft könnte sich noch als richtungweisend herausstellen. An jenem Montag vor einer Woche in Paderborn hat der Saal aufgestöhnt, als die örtliche Abgeordnete sich in einer gut gemeinten Aufmunterung versucht. „47 Prozent der Menschen wollen Jürgen Rüttgers“, ruft die Frau, „nur 43 Prozent wollen Hannelore Kraft!“ Die SPD-Oppositionsführerin war vor einem halben Jahr so gut wie unbekannt. Letzte Umfragen zeigen sie mit dem Ministerpräsidenten gleichauf.

Als die Griechenlandkrise noch ein Fall für Wirtschaftsseiten und Finanzexperten war, hat einer der Wichtigen in der Bundesregierung einmal vorgerechnet, dass mit Nordrhein-Westfalen alles ganz einfach sei: Der Rüttgers, der bleibe in jedem Fall Ministerpräsident. Und wenn es ihm mit der FDP nicht reiche, dann mache der eben eine große Koalition. Weil, der wolle sowieso Bundespräsident werden, dafür brauche er das Wohlwollen der Sozen. Für Schwarz- Gelb in Berlin aber sei dies ganz egal, weil man sich die Mehrheiten im Bundesrat im Zweifel sowieso kaufen müsse. „Kein Grund zur Panik“, hat der Mann gesagt. Das klang damals schon recht nassforsch. Aber das war ja auch zu der Zeit, als das noch nicht Angela Merkels Wahl war.

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