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Würde gerne Bildungsministerin in NRW werden: die grüne Spitzenkandidatin Sylvia Löhrmann.

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NRW-Wahlkampftagebuch, Teil 5: Schulkrieg an Rhein und Ruhr

Die Bildungspolitik ist im Landtagswahlkampf eines der umstrittensten Themen, SPD und Grüne fordern die Gemeinschaftsschule, aber die grüne Spitzenkandidatin geht im Geiste schon schwarz-grüne Koalitionsverhandlungen durch.

Mittwoch, 28. April, 10.45 Uhr

Wenn Sylvia Löhrmann über die Gemeinschaftsschule redet, dann gerät sie richtig ins Schwärmen. Von "Treibhäusern der Zukunft" spricht die Spitzenkandidatin der Grünen bei den nordrhein-westfälischen Landtagswahlen dann, von "neuen Lehrerrollen" und "individualisiertem Lernen". Zehn Jahre hat Löhrmann an einer Gesamtschule in Solingen gearbeitet, bevor die Oberstudienrätin für Deutsch und Englisch in die Politik wechselte. Sollten die Grünen der nächsten Landesregierung in Nordrhein-Westfahlen angehören, dann ist die 53-jährige heiße Kandidatin für den Posten der Bildungsministerin.

Die Einführung von Gemeinschaftsschulen könnte zu einem zentralen politischen Projekt einer rot-grünen Landesregierung werden, Löhrmann wäre dann zuständig.

Dass dies nicht einfach würde, weiß Löhrmann, deshalb wirbt sie auch am Dienstagabend an der grünen Basis in Köln dafür, "kluge Wege der Umsetzung zu gehen" und "ideologische Gräben" zu überwinden.

Für die Widerstände, mit denen die Grüne Bildungsministerin in Spe rechnen müsste, bietet der Landtagswahlkampf einen Vorgeschmack. Längst ist der Parteienstreit in Sachen Bildung in einen Schulkrieg ausgartet. Für CDU und FDP bietet dies die Möglichkeit, sich mit einer bürgerlichen Bildungspolitik zu profilieren und den Lagerwahlkampf anzuheizen. Von "sozialistischen Einheitsschulen" spricht die FDP, vor "Bildungskolchosen" warnt die CDU. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers will das dreigliedrige Schulsystem erhalten, verteidigt die umstrittene Hauptschule. Er will die Qualität des Unterrichts verbessern, statt in neue Schulversuche zu investieren. Seine Partei hat dazu vor manchen Schulen Plakate mit der Aufschrift "Diese Schule wird geschlossen, wenn Rot-Rot regiert" aufgehängt.

Der Schulkrieg in Nordrhein-Westfalen hat Tradition, die Wahlkampagne von FDP und CDU ist also auch ein Beitrag zur politischen Retrowelle. Schon vor 35 Jahren wollte die SPD damals zusammen mit den Liberalen an Rhein und Ruhr Gesamtschulen einführen, die "Koop-Schule" heißen sollten. Doch die Bürger des Landes gingen auf die Straße, skandierten "Stop Koop" wollten von der "sozialistischen Gleichmacherei" in der Bildungspolitik nichts wissen. Die CDU initiierte ein Volksbegehren, im Winter 1978 trugen sich 3,6 Millionen Wähler, das waren 29,8 Prozent aller Wahlberechtigten, in die in den Kommunen ausliegenden Listen ein. Die Koop-Schule scheiterte und der sozialdemokratische Ministerpräsident Heinz Kühn trat zurück.

Für die SPD war dies ein Schock, der sie über drei Jahrzehnte in der Bildungspolitik lähmte. Seit dem wollten die Sozialdemokraten von Reformen in der Schulpolitik in NRW nichts mehr wissen, weder der beliebte Ministerpräsident Johannes Rau noch seine beiden Nachfolger Wolfgang Clement oder Peer Steinbrück. Dass dies ein Fehler war, räumt SPD-Landesvorsitzende und Spitzenkandidatin Hannelore Kraft mittlerweile freimütig ein.

Inzwischen trauen sich die Sozialdemokraten in Sachen Bildungspolitik in NRW wieder etwas, auch wenn sie von den Grünen in den letzten Jahren zum Jagen getragen werden mussten. Die Gesamtschule heißt jetzt Gemeinschaftsschule. Aber die SPD-Spitzenkandidatin Hannelore Kraft betont unermüdlich, dass die Schultypen, also das Gymnasium, die Realschule und die Hauptschule, unter dem Dach der Gemeinschaftsschule erhalten bleiben sollen. Nicht mehr mit der Brechstange wie in den 1970er Jahren will die SPD die neue Schule also durchsetzen, sondern in einem, "breiten bildungspolitischen Konsens". Und jedes Mal wenn Hannelore Kraft für die Gemeinschaftsschule wirbt, von dem Dach redet, unter das die alten Schultypen schlüpfen sollen, dann formt sie aus ihren flachen Händen ein Dach. So will sie die Wähler auch visuell gewinnen.

Sylvia Löhrmann hat ein ganz anders Problem. Je nachdem, wie die Landtagswahl ausgeht, könnte sie sich auch in einer Koalition mit der CDU wiederfinden. Offen redet bei den Grünen niemand darüber, aber natürlich ist Schwarz-Grün für die Öko-Partei eine Option. Wenn die Landtagswahl am 9. Mai so ausgeht, dass Rot-Grün keine Mehrheit bekommt, aber Schwarz-Grün möglich wäre, dann ist auch Sylvia Löhrmann "gesprächsbereit".

Die Bildungspolitik könnte zum Knackpunkt einer Zusammenarbeit zwischen CDU und Grünen werden, zwischen den Konzepten beider Parteien liegen Welten. Löhrmann übt sich an der eigenen Basis schon mal in der ideologischen Abrüstung. Sie sitzt im vierten Stock eine Kölner Stadtteilzentrums und berichtet einer kleinen Schar grüner Freunde, es gäbe an der CDU-Basis auch Anhänger der Gemeinschaftsschule. Vor allem in kleinen Städten, wo das Gymnasium wegen Schülermangels vor dem Aus steht. Deshalb will Löhrmann anders als mancher Parteifreund nichts überstürzen. Sie will einen "Entwicklungsweg von unten und über die ländlichen Gemeinden" einschlagen und "das Gymnasium in diesen Entwicklungsweg hinein gewinnen." So verschwurbelt kann nur reden, wer im Kopf schon Koalitionsverhandlungen führt.

Dass die CDU sich auf die grüne Forderungen einlässt, scheint sehr fraglich. Schließlich machen die Christdemokraten im schwarz-grün regierten Hamburg gerade die Erfahrung, dass die grüne Bildungspolitik an der eigenen Basis äußerst unpopulär ist. Im Sommer wird an der Elbe über ein Volksbegehren abgestimmt, über das auch Hamburgs Erster Bürgermeister Ole von Beust stolpern könnte. Nordrhein-Westfalens Ministerpräsident Jürgen Rüttgers ist also gewarnt.

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