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Sie machen es unter sich aus. Die Spitzenkandidaten (von links) Wulf Gallert (Linkspartei), Reiner Haseloff (CDU) und Jens Bullerjahn (SPD) bei einem TV-Auftritt vor wenigen Tagen beim MDR.

© dapd

Sachsen-Anhalt: Böhmers Erben

In Sachsen-Anhalt tritt der altgediente Landesvater Wolfgang Böhmer nicht mehr zur Wahl an. Seine Kronprinzen kommen aus CDU und SPD.

Von Matthias Schlegel

So ein Brüller gelingt Reiner Haseloff nicht alle Tage. Er sei doch berühmt für kurze, prägnante Sätze, hatte der Moderator den CDU-Spitzenkandidaten gefoppt und eines dieser gnadenlos verquasten Haseloff’schen Wortungetüme zitiert: „Wir müssen den Transformationsprozess aus der Metaebene herausprojizieren.“ Ungerührt kontert Haseloff: „Das habe ich so formuliert, damit wir Ossis intellektuell unter uns bleiben können.“ Der Saal tobt, ihr Mann hat dem Wessi-Journalisten Michael Jürgs eins drübergegeben. Gemeinsam mit der Ost-Journalistin Angela Elis moderiert Jürgs in Darlingerode am Nordharz kreuzweise den Talk mit Haseloff und Sachsen-Anhalts Ministerpräsident Wolfgang Böhmer.

Nun gut, es ist politischer Aschermittwoch. In der Sandtalhalle haben die Mädels von der einheimischen Cheerleadertruppe die Stimmung angeheizt. Und so kommt selbst der als ein wenig trocken und farblos geltende Wirtschaftsminister des Landes, der an diesem Sonntag das politische Erbe des 75-jährigen Böhmer antreten soll, gelegentlich in Fahrt. Am Ende wird er übermütig ins Publikum rufen: „Wählt uns, dann geht’s euch gut. Wenn ihr die anderen wählt, werdet ihr alle enteignet.“

Die rote Gefahr lauert. Für den 1976 in die Ost-CDU eingetretenen Christdemokraten Reiner Haseloff ist sie wieder realer geworden, seit die SPD in den Umfragen mit den Linken gleichgezogen hat. Sollte nämlich die SPD aus der Landtagswahl hinter der CDU als zweitstärkste Partei hervorgehen, würde die Versuchung der Sozialdemokraten weitaus größer, mit den Linken ins Regierungsboot zu steigen und selbst den Ministerpräsidenten zu stellen. Rechnerisch würde es wohl reichen für Rot-Rot. Erst recht, seit die Grünen signalisiert haben, dass sie für Rot-Rot-Grün bereitstünden. SPD-Spitzenkandidat Jens Bullerjahn hatte zuvor nur ausgeschlossen, dass seine Partei einen linken Regierungschef wählen würde. Zwar hat Bullerjahn als Finanzminister und Vizepremier an Böhmers Seite die Segnungen einer verlässlichen Koalitionspolitik oft genug gepriesen und die Verlässlichkeit der Linken gerade in haushälterischen Fragen ebenso oft infrage gestellt. Doch die Verlockung, selbst Regierungschef werden zu können, und der Druck in der eigenen Partei, sich aus der Umklammerung der CDU zu lösen, könnten am Ende den Ausschlag geben.

Es ist eine seltsame Menage a trois, die diese drei Männer verbindet. Böhmer, der knorrige, überaus beliebte Landesvater, der seinen Kronprinzen Haseloff einst mehr pflichtschuldig denn leidenschaftlich ins Rennen schickte, dachte gar nicht daran, mit dem 57-Jährigen von Wahlkampfbühne zu Wahlkampfbühne zu ziehen. Noch sechs Wochen vor der Wahl ließ sich der scheidende Regierungschef gern vom SPD-Konkurrenten Bullerjahn in dessen mansfeldische Heimatgemeinde zum Neujahrsempfang des dortigen SPD-Ortsvereins locken. Die Genossen feierten den CDU-Regierungschef – und die Chuzpe ihres Spitzenkandidaten. Die Christdemokraten schüttelten über Böhmer den Kopf. Haseloff wetterte über die Treulosigkeit seines Parteifreundes kräftig, freilich nur im kleinsten Kreis. Während Böhmer in diesen Tagen eine Ochsentour durch alle Landkreise macht, um sich aus der Politik zu verabschieden, tut Haseloff unauffällig das, was er am besten kann: Unternehmen besuchen, Grundsteine legen, Investitionen ankündigen.

Böhmer selbst hatte 2002, als er die Wahl gewann, den damaligen Arbeitsamtsdirektor Haseloff als Staatssekretär ins Wirtschaftsministerium geholt. 2006 beförderte er den promovierten Physiker zum Minister. Beide wohnen in der Lutherstadt Wittenberg. Böhmer ist, wie es sich für einen Wittenberger gehört, evangelisch. Haseloff lebt als Katholik dort in der Diaspora, doch bekennt er seinen Glauben, anders als Böhmer, gern öffentlich. Noch immer sagen beide Sie zueinander.

Haseloff ist ein Fleißarbeiter, der nicht den öffentlichen Ruhm sucht. Einst hat er das Modell der Bürgerarbeit erfunden – Arbeitslose mit geringen Vermittlungschancen werden für gemeinnützige Tätigkeiten eingesetzt. Arbeit zu bezahlen ist allemal besser als Arbeitslosigkeit zu finanzieren, sagt er. Das hat auch die Bundesarbeitsministerin überzeugt. Sie machte sich das Modell zu eigen. Jetzt wird es auch im Westen praktiziert. Andere würden mit solch einem Erfolg politisch hausieren gehen. Das ist nicht Haseloffs Art. Er durfte mit dabeisitzen, als Ursula von der Leyen das Modell in Berlin vorstellte. Das war ihm Anerkennung genug.

Da ist SPD-Mann Bullerjahn aus anderem Holz geschnitzt. Der gelernte Elektroingenieur machte schon vor Jahren bundesweit Schlagzeilen, als er für Sachsen-Anhalt ein Zukunftskonzept bis 2020 entwarf. Ein vielversprechender Ausflug in die Bundespolitik allerdings endete schon nach zwei Jahren jäh: 2005 hatte man ihn zum SPD-Vize gemacht, ohne es vorher mit ihm abzusprechen. 2007 konnte er nicht mehr für diesen Posten kandidieren, weil Parteichef Kurt Beck die Führung verkleinern wollte – auch das hatte Bullerjahn niemand zuvor gesagt. Die Vize-Ämter wurden dann nur mit Westdeutschen besetzt, Bullerjahn verübelte seiner Partei die Ost-Ignoranz. Bundespolitische Ambitionen hat der 48-Jährige seitdem nicht mehr. Aber im Land möchte er schon noch manches stemmen. Er hat eine Schuldenbremse eingeführt und stabile Konsolidierungspflöcke eingeschlagen. Darauf will er weiter aufbauen.

Bullerjahn und Haseloff trauen sich nicht recht über den Weg – keine gute Basis für eine schwarz-rote Koalition. Bullerjahn, der im Land deutlich höhere Sympathiewerte genießt als der CDU-Mann, wird sich schwer tun als Vize unter Haseloff. Und Haseloff wird dem SPD-Mann, der als parlamentarischer Geschäftsführer in den 90er Jahren mit der PDS das Magdeburger Modell der Tolerierung einer SPD-geführten Minderheitsregierung am Leben hielt, insgeheim stets unterstellen, nur auf eine günstige Gelegenheit zu warten, um doch noch die rot-rote Karte zu ziehen. Wulf Gallert, der damalige Verhandlungspartner Bullerjahns von der PDS, ist heute Spitzenkandidat der Linken. Seit jenen Hinterzimmerkungeleien sind sie Freunde. Während Bullerjahn nun die Genugtuung hat, dass keine Regierung ohne die SPD gebildet werden kann, ist das für die Partei Gallerts, den früheren Lehrer, der 1984 in die SED eingetreten war, gänzlich ungewiss. Er könnte am Ende genauso eine tragische Figur werden wie im Herbst 2009 sein Parteifreund Bodo Ramelow in Thüringen – erfolgreich, aber von der SPD auf die Oppositionsbank verwiesen.

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