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SPD-Dilemma: Und ewig grüßt die Linkspartei

Wieder eine Landtagswahl und wieder diskutieren die Sozialdemokraten über ihr Verhältnis zur ungeliebten Konkurrenz. Erst wenn die Sozialdemokraten die Frage pragmatisch angehen, können sie der Ypsilanti-Falle entgehen. Nur Klaus Wowereit in Berlin hat schon ganz andere Probleme.

Es scheint wie im Film. Wann immer in Deutschland in den letzten Jahren eine Landtagswahl stattgefunden hat, stand den Sozialdemokraten anschließend auf dem Weg zur Macht die Linkspartei im Wege. Ewig grüßt das Murmeltier. Berlin, Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt, Hessen, Hamburg, Thüringen, Saarland, Brandenburg und jetzt Nordrhein-Westfalen. In all diesen Ländern könnte Rot-Rot oder Rot-Rot-Grün regieren, wenn die SPD ihr Verhältnis zur Linkspartei entkrampft hätte und die ungeliebte Konkurrenz in die realpolitische Verantwortung einbinden würde. Doch statt in neun gibt es nur in zwei Bundesländern eine Linksregierung, in Berlin und in Brandenburg. Der Rest sind quälende und sich ständig wiederholende Debatten.

Natürlich birgt die Annäherung an die Linke für die SPD Risiken, vor allem im Westen. Anders als im Osten ist die Partei dort vielfach noch ein bunter Haufen von radikalen und politisch unerfahrenen Neulingen, auch ein paar Spinner sind dabei. Doch einerseits wäre es nicht das erste Mal, dass sich eine Partei mit unrealistischem Programm in der Realpolitik wandelt, vor allem die Grünen sollten wissen, wovon die Rede ist. Ohne Risiko wird es für die Sozialdemokraten anderseits nicht gehen. Natürlich kann ein rot-rot-grünes Bündnis auch scheitern. Aber ohne Risiko bleibt die SPD in einem Fünf-Parteiensystem der ewige Juniorpartner der CDU.

Rot-Rot im Osten ist kein Schreckgespenst mehr

Krafts Parteifreund Klaus Wowereit hat das lange mitgemacht. Die Berliner SPD brauchte elf Jahre, um sich im Jahr 2001 aus der Umklammerung der CDU zu befreien. Bei der Bundestagswahl 2009 ist die SPD vor allem auch deshalb auf 23 Prozent abgestürzt, weil sie keine Machtperspektive jenseits der großen Koalition hatte. Vier Jahre lang hatten sich die Sozialdemokraten über die Linke die Köpfe heiß geredet, sich total zerstritten und mit Kurt Beck sogar einen Vorsitzenden demontiert. Am Ende jedoch hätte die Partei bei der Bundestagswahl 2009 ohne ihr Verdikt gegenüber der Linken kaum noch schlechter abschneiden können. Längst führt für die SPD an der Linkspartei kein Weg mehr vorbei. Die sozialdemokratische Hoffnung, die Wahlerfolge der Linken seien nur ein böser Traum und allein der großen Koalition und der Agenda 2010 geschuldet, diese Hoffnung hat sich am Sonntag endgültig als Trugschluss erwiesen.

Zumindest im Osten ist Rot-Rot kein Schreckgespenst mehr. In der Berliner Landespolitik hat sich die Linke schnell zu einem zuverlässigen und pflegeleichten Koalitionspartner gewandelt. In Brandenburg scheinen die Startschwierigkeiten überwunden. Aber auch Hessen hat gezeigt, wie schnell sich eine vermeintliche Chaostruppe mit den Spielregeln der Parlamentarischen Demokratie arrangieren konnte. Nicht an den Linken ist dort die Bildung einer tolerierten rot-grünen Minderheitsregierung gescheitert, sondern an der SPD und den taktischen Fehlern Andrea Ypsilantis.

In Hessen hat sich SPD selbst zerlegt

Auch in Nordrhein-Westfalen starren die Sozialdemokraten wieder auf das Murmeltier. Immerhin hat Hannelore Kraft im Wahlkampf jenen Fehler vermieden, der ihre hessische Parteifreundin vor zwei Jahren ins politische Aus katapultiert hat. Kraft hat die Linke im Wahlkampf zwar "regierungsunfähig" genannt, aber ein Bündnis mit der Partei nicht kategorisch ausgeschlossen. Im Wahlkampf war es quälend, dieser Frage immer wieder auszuweichen. Aber immerhin hat die SPD-Spitzenkandidatin jetzt jenen politischen Spielraum, den Andrea Ypsilanti nicht hatte. Sie kann in aller Ruhe ihre Möglichkeiten sondieren.

In Hessen brauchten CDU und FDP nur abzuwarten, bis sich die SPD unter dem Druck einer empörten Öffentlichkeit selbst zerlegt hat. In Nordrhein-Westfalen kann die SPD zumindest mit den Linken reden, sie kann ausloten, was ginge und was nicht. Anders als Ypsilanti lässt sich Hannelore Kraft zugleich vermutlich auch leichter in eine bundespolitische Strategie einbinden, sie ist stellvertretende Bundesvorsitzende und hat anders als ihre hessische Parteifreundin die Agenda 2010 verteidigt und die Politik der SPD in der großen Koalition immer loyal unterstützt.

Macht Kraft den Ringstorff?

Natürlich steht auch Hannelore Kraft unter Druck, aber einer Lügen-Kampagne fehlt der CDU die Grundlage. Gleichzeitig müsste Hannelore Kraft allerdings sehr überzeugend erklären, warum sie nun mit einer Partei regieren will, die eben noch koalitionsunfähig war. Aber die Frage, wie es in Nordrhein-Westfalen weitergeht, hängt auch davon ab, wie sich CDU und FDP in den kommenden Wochen verhalten werden. Der Druck auf die FDP, sich auf eine Ampel-Regierung einzulassen, wird zunehmen. Selbst wenn sich die SPD am Ende der Sondierungen entschlösse, mit der CDU über die Bildung einer großen Koalition zu verhandeln, hätte sie immer auch eine zweite Option.

Allein mit der Drohung, notfalls mit Grünen und Linken zu koalieren, lässt sich der Preis, den die Union wird zahlen müssen, hochtreiben. Viel spricht dafür, dass die nordrhein-westfälische SPD diesen Weg gehen wird.

Hannelore Kraft steht also dort, wo ihr Parteifreund Harald Ringstorff in Mecklenburg-Vorpommern 1994 stand. Damals ließ er sich zwar noch einmal auf eine große Koalition ein, fügte sich in die Rolle des Juniorpartners. Aber es war klar, dass der Sozialdemokrat die nächste Gelegenheit nutzen würde, um eine Koalition mit der PDS, die inzwischen in der Linken aufgegangen ist, zu wagen. Vier Jahre später war es soweit.

Entscheidender machtstrategischer Vorteil

Auch Hannelore Kraft könnte also einem christdemokratischen Ministerpräsidenten noch einmal den Vortritt lassen und gleichzeitig in Ruhe abwarten, wie sich die Linkspartei im Landtag aufführt. Zu gegebener Zeit nennt sie die Linke dann demokratisch geläutert und politikfähig. Die CDU weiß, warum sie die Zusammenarbeit mit der Linken zu tabuisieren versucht, das sichert ihr gegenüber der SPD einen entscheidenden machtstrategischen Vorteil.

Harald Ringstorff formulierte 1998 im Übrigen nur zwei Bedingungen, um die PDS in die Realpolitik zu zwingen, ein Bekenntnis zur Schuld der Vorgängerpartei SED und die Akzeptanz einer seriösen Finanzpolitik mit klaren Sparvorgaben. Die PDS schluckte die Vorgaben, wenn auch murrend und war anschließend acht Jahre ein zuverlässiger Koalitionspartner.

Der Osten ist dem Westen weit voraus

Viel Zeit bleibt der SPD allerdings nicht, ihr Verhältnis zur Linken auch im Westen zu klären und rot-rote Bündnisse dort zu enttabuisieren. Bei der Bundestagswahl 2013 wird sie schließlich nicht noch einmal mit einer kategorischen Absage an Rot-Rot in einen Bundestagswahlkampf ziehen wollen und ziehen können. Viele Möglichkeiten mit einem Referenzmodell in einem westdeutschen Bundesland eine Linksregierung im Bund vorzubereiten, hat die SPD auch nicht mehr. Nur noch in zwei West-Ländern wird vor 2013 ein neuer Landtag gewählt und weder in Baden-Württemberg noch in Rheinlandpfalz sieht es derzeit so aus, als könnte sich dort die Frage nach Rot-Rot-Grün stellen.

Zumindest bezogen auf die Linke ist der Osten dem Westen weit voraus. Wie ungleichzeitig sich das Verhältnis zwischen den beiden Parteien entwickelt hat, zeigt Berlin. Dort regiert schon seit acht Jahren ein rot-rotes Bündnis. Die Berliner haben sich längst daran gewöhnt. Die Linken an der Macht sind dort kein Aufregerthema mehr. Wenn im kommenden Jahr ein neues Abgeordnetenhaus gewählt wird, dann hat der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit ein ganz anders Problem. Im Wahlkampf wird es 2011 eher um die Frage gehen, ob die Berliner von Rot-Rot nicht genug haben. Und dies nicht etwa deshalb, weil sich der Senat zu viele Skandale geleistet hätte oder zu viel Regierungschaos.

Vielmehr geht es der Landesregierung mit Klaus Wowereit an der Spitze, wie vielen Landesregierungen, irgendwann haben sie ihr Pulver verschossen, ihre wesentlichen Reformprojekte umgesetzt. Irgendwann wirkt jede Regierung ideenlos und ausgelaugt. Zwei Legislaturperioden sind in der Demokratie ein völlig normaler Zyklus. Dann rückt der Zeitpunkt näher, wo sich viele Wähler einfach eine neue Regierung wünschen. Rot-Rot abgewählt, auch diese Schlagzeile würde der SPD mit Blick auf die Bundestagswahl 2013 überhaupt nicht gefallen.

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