zum Hauptinhalt
Löcher in Straßen und Etats der Kommunen – der Winter tat ein Übriges.

© dpa

Wahlkampf: NRW-Politiker entdecken Verantwortung für klamme Kommunen

Der Wahlkampf in NRW fördert ein generelles Problem zutage: Die Finanzverteilung gehört auf den Prüfstand.

Berlin - Es ist schon eine bemerkenswerte Konstellation: Am 9. Mai finden in Nordrhein-Westfalen Landtagswahlen statt, wobei im Wahlkampf nicht zuletzt die geplante Steuerreform samt Steuersenkung auf Bundesebene thematisiert wird, wofür deren Gegner wiederum die klammen Kommunen als Argument nutzen. Ministerpräsident Jürgen Rüttgers (CDU) will zum Beispiel einer Steuerreform nur zustimmen, wenn danach kein kommunales Schwimmbad schließen muss. Auch SPD, Grüne und Linke bekunden derzeit besondere Zuneigung zur kommunalen Ebene. Und FDP-Chef Guido Westerwelle meldet sich mit dem Vorschlag zu Wort, die Einnahmebasis der Kommunen zu verbessern, indem sie an der Umsatzsteuer mit einem eigenen Hebesatzrecht beteiligt werden sollen.

Dass sie unverhofft im Mittelpunkt des Interesses stehen, ist den Städten und Gemeinden freilich nur recht, denn so finden ihre steten Klagen über Geldnot mehr Gehör als sonst. In NRW klagen sie besonders laut. Das ist kein Wunder: Die Kommunen im größten Bundesland waren Ende 2008 insgesamt deutlich höher verschuldet als in fast allen anderen Ländern (die drei Stadtstaaten ausgenommen). Auf jedem NRW-Bürger lasten gut 2160 Euro Kommunalschulden (längerfristige Kreditmarktschulden und kurzfristige Kassenkredite zusammengezählt), der Bundesschnitt liegt bei etwa 1380 Euro. Nur im Saarland sieht es schlechter aus als in NRW. Zum Vergleich: In Baden-Württemberg entfallen 625 Euro auf jeden Einwohner, in Schleswig-Holstein etwa 1080 Euro, in Sachsen-Anhalt (Spitzenreiter im Osten) 1630 Euro.

Die wirtschaftliche Lage Nordrhein-Westfalens kann das schlechte Abschneiden nicht allein erklären. Zwar hat vor allem das Ruhrgebiet unter dem Niedergang der Kohle- und Stahlindustrie noch immer zu leiden, was sich in den Etats niederschlägt. Städte wie Oberhausen, Remscheid, Hagen oder Duisburg sind nicht zuletzt aus diesem Grund extrem hoch verschuldet. Aber insgesamt ist NRW kein marodes Land, es war bis vor kurzem sogar Zahler im Finanzausgleich. Die Landeshauptstadt Düsseldorf hat sogar einen fast schuldenfreien Kernhaushalt. Eine Kommunalinitiative, die sich pünktlich zur Wahl gebildet hat, sieht den Grund für die hohen Schulden nicht zuletzt darin, dass in keinem anderen Bundesland den Kommunen so viele Aufgaben zufallen wie in NRW. Ein weiterer Grund könnte sein, dass die Kommunalaufsicht in NRW sowohl bei der Kontrolle als auch der Unterstützung hoch verschuldeter Kommunen weniger konsequent ist als in anderen Ländern. Dazu kommt die Sozialpolitik des Bundes, der gern Wohltaten auf Kosten der Kommunaletats beschließt. Und dann sind da noch jene Ursachen, die bei zu hohen Schulden häufig entdeckt werden: überdimensionierte und unnütze Projekte, Fehlinvestitionen, zu viel Personal, Misswirtschaft. Manche Kommune hat schlicht über die eigenen Verhältnisse gelebt, gemäß der rheinischen Devise: Mer muss och jönne könne. Sich selber zuerst.

Die vergleichsweise prekäre Situation in NRW zeigt sich auch bei den Kassenkrediten. Die waren ursprünglich nur ein Instrument, um kurzfristige Engpässe zu überbrücken. Mittlerweile sind sie jedoch zum Dauerfinanzierungsmittel geworden. Vor allem an Rhein und Ruhr: Das Volumen dieser Kassenkredite hat einen Umfang erreicht, der etwa zwei Drittel der längerfristigen Kreditmarktschulden ausmacht. Der Bundesschnitt liegt dagegen bei 39 Prozent, in Baden-Württemberg sind es gar nur sechs Prozent. Fast die Hälfte aller Kassenkredite der deutschen Kommunen in Höhe von knapp 30 Milliarden Euro entfällt auf Städte und Gemeinden in NRW. Die Zinsen für diese sehr kurzfristigen Kredite sind allerdings weniger kalkulierbar, und wenn das Zinsniveau wieder steigt (womit wohl ab 2011 zu rechnen ist), kann es für einige Kommunen kritisch werden.

Und wegen der Einbrüche bei den Steuern wird die Lage in den nächsten Jahren ohnehin düsterer. „Die Lage der Kommunen in Deutschland ist dramatisch“, meint der Leipziger Finanzwissenschaftler und Kommunalexperte Thomas Lenk, betont aber auch, dass der gegenwärtige Einbruch auf die sehr guten Steuerjahre 2007 und 2008 folgt, als selbst in NRW viele Städte ausgeglichene Haushalte und bisweilen sogar Überschüsse verzeichneten. Aber das ist vorbei. In den nächsten Jahren müssten beispielsweise die sächsischen Kommunen mit 20 Prozent weniger Einnahmen kalkulieren, sagt Lenk voraus. „Das ist eine immense Herausforderung für die kommunalen Haushalte.“ Denn diese sind, wie die Etats der Länder, weniger flexibel als der Bundeshaushalt, bei den Einnahmen wie den Ausgaben. „Der Spielraum für freiwillige Aufgaben liegt bei einer Kommune bei rund sieben Prozent des Etats, der Rest ist durch gesetzliche Vorgaben und durch die tariflich bestimmten Personalausgaben gebunden“, erklärt Lenk. Aus diesem Spielraum finanzierten die Kommunen die meisten Projekte für Sport, Kultur und Jugendarbeit oder der Wirtschaftsförderung. Diese trifft somit der Rückgang der Einnahmen zuerst. Und mittelfristig werde dann bei den öffentlichen Investitionen gestrichen, von denen zwei Drittel auf der kommunalen Ebene anfielen.

Für Lenk ist klar: „Die Kommunen sind strukturell unterfinanziert.“ Das gegenwärtige Finanzsystem sei vor 40 Jahren festgelegt worden und passe nicht mehr zur heutigen Verteilung der Aufgaben und Ausgaben. „Nötig wäre daher einmal eine gründliche Bestandsaufnahme, ob die Finanzverteilung noch angemessen ist. Und eine fundamentale Aufgabenkritik, also eine Antwort auf die Frage, was der Staat auf welcher Ebene unbedingt leisten muss und was nicht“, fordert Lenk. Eine schwierige Aufgabe freilich, die nicht in einem Jahr oder bis zum Ende der Legislaturperiode zu leisten sei.

Zur Startseite