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Die Verantwortlichen für die Todesopfer sind immer noch nicht ermittelt oder bestraft.

© Reuters

Wahlkampf: Der Widerstand in Thailand steht jetzt zur Wahl

Ein Jahr nach der Protestbewegung der Rothemden in Thailand sind die Ursachen des Konflikts ungelöst. Das neue Parlament in Bangkok wird am 3. Juli bestimmt.

Der ältere Herr steht auf dem Gelände des Tempels Wat Pathum Wanaran im Zentrum von Bangkok. Kamhaeng Promsuttikul ist aus Khon Kaen im Nordosten Thailands nach Bangkok gekommen, um der Ereignisse zu gedenken, die sich hier vor genau einem Jahr abgespielt haben. Damals war Thailands Armee in das zentrale Einkaufsviertel der Stadt vorgerückt, das die Demonstranten der „Einheitsfront für Demokratie und gegen Diktatur“ (UDD) zuvor wochenlang besetzt hatten, und hat den Protest gewaltsam beendet. 92 Menschen waren binnen weniger Wochen getötet, mehr als 2000 verletzt worden.

Kamhaeng, ein 69-jähriger Kraftfahrzeugingenieur im Ruhestand, trägt auch heute wieder ein rotes T-Shirt, das Markenzeichen der Bewegung. Er wirkt ruhig. „Die Leute sind jetzt nicht mehr wütend auf das, was vor einem Jahr geschehen ist“, sagt er. „Wir denken jetzt an die Zukunft, und was wir für die Zukunft tun können.“ Bis zum Abend versammeln sich tausende weitere UDD-Anhänger aus dem ganzen Land auf der Ratchaprasong-Kreuzung, die nur wenige hundert Meter entfernt liegt. Hier stand während der erfolglosen Proteste vor einem Jahr die Hauptbühne der Demonstranten.

An diesem Tag läuft auch der Wahlkampf in Thailand mit voller Wucht an. Premierminister Abhisit Vejjajiva hat kürzlich Neuwahlen für den 3. Juli angesetzt. An diesem Freitag registrieren die politischen Parteien des Landes ihre Kandidaten. Wie Amtsinhaber Abhisit Vejjajiva seinen Posten zu verteidigen gedenkt, wurde bei der jüngsten Regierungssitzung Anfang Mai klar. Seine „Democrat Party“ hat in den vergangenen 20 Jahren keine Wahl gewonnen. Daher tagten die Minister bis spät in die Nacht und verabschiedeten 102 Finanzpakete, darunter etliche Subventionen und Steuergeschenke an ländliche Thais. Mehrere Milliarden Euro werden damit in den kommenden Monaten an das Volk verteilt.

Der Protagonist des Wahlkampfes ist jedoch ein Mann, dessen Namen Abhisit – so gut es geht – versucht, nicht auszusprechen: Thaksin Shinawatra. Thailands ehemaliger Premier wurde 2006 von der Armee aus dem Amt geputscht und lebt derzeit in Dubai, um einer zweijährigen Haftstrafe wegen Korruption zu entgehen. Von dort aus steuert der Milliardär und Populist die Geschicke der Puea- Thai-Partei (PT), der größten Oppositionspartei des Landes. Umfragen legen nahe, dass PT gute Chancen hat, als stärkste Partei aus der Wahl hervorzugehen. Viele Thais hatten gehofft, dass sich Puea Thai von Thaksin emanzipieren und als eigenständige politische Kraft auftreten werde. Das Gegenteil ist eingetreten. Als Kandidatin für den Posten des Premiers geht Thaksins 43-jährige Schwester Yingluck Shinawatra ins Rennen. Das zentrale Wahlversprechen der Partei: eine Amnestie für politische Aktivisten auf allen Seiten, auch für den gestürzten Premierminister.

Die politische Stimmung ist angespannt. Erst kürzlich haben die Behörden rund ein Dutzend „rote“ Radiosender in Bangkok stillgelegt. Bürgerrechtsgruppen gehen davon aus, das die Regierung mehr als 10 000 Internetseiten gesperrt hat. Die Organisation „Freedom House“ mit Sitz in Washington beurteilt die Pressefreiheit in Thailand seit Anfang des Monats nicht mehr als „teilweise frei“, sondern als „nicht frei“.

Der Anwalt Somchai Homlaor, Vorsitzender der „Wahrheits- und Aussöhnungskommission“, glaubt, dass drei Vorbedingungen erfüllt sein müssten, damit der politische Konflikt gelöst werden könne. „Zunächst einmal müssen wir die Wahrheit herausfinden. Beide Seiten stellen die Vorgänge vom vergangenen Jahr sehr gegensätzlich dar.“ Zweitens müssten die Verantwortlichen für die Todesopfer ermittelt und bestraft werden. Als dritte Bedingung für eine nachhaltige Aussöhnung sieht Somchai Reformen.

Die Armee versteht sich dabei als Machtfaktor. Innerhalb von wenigen Tagen hat Armeechef Prayuth Chan-ocha drei Mal Bereitschaftsübungen in Bangkok abhalten lassen, um zu zeigen, dass die Armee einsatzbereit sei, um „die Monarchie zu verteidigen“. Nach einer Rothemden-Demonstration im April ließ Prayuth fast die gesamte Führung der Protestbewegung wegen angeblicher „Majestätsbeleidigung“ anzeigen – in Thailand ein sehr schwerer Vorwurf.

Thanet Aphornsuvan, Professor für Geschichte an der Thammasat-Universität in Bangkok, sagt: „Es gab schon früher Proteste gegen Militärregierungen. Aber damals sind Studenten und Mitglieder von Bangkoks Mittelschicht auf die Straßen gegangen. Die Menschen, die jetzt protestieren, kommen jedoch aus dem ganzen Land und aus allen gesellschaftlichen Schichten.“ Der Konflikt werde andauern, so lange die Vertreter der alten Elite keine Regelungen mit den politischen Newcomern eingingen, sagt Thanet.

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