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Die britische Premierministerin Theresa May.

© Rick Findler/PA Wire/dpa

Wahlkampf in Großbritannien: Ein europäisches Komplott gegen Theresa May?

Eine Indiskretion bringt Schwung in den britischen Wahlkampf. Und die Premierministerin hat plötzlich ein neues Thema: Europa bedroht Großbritannien.

Es hat einige Tage gedauert, bis Theresa May in Schwung kam. „Europäische Politiker und Beamte haben Großbritannien gedroht“, sagt die Premierministerin nun. Die Verhandlungsposition der EU-Kommission habe sich verhärtet. Und: „Der britische Standpunkt für die Verhandlungen ist in der kontinentalen Presse verdreht worden.“ Es schwingt da etwas mit von großer Gefahr für die Nation. Aus Europa. Gemeint ist vor allem ein Artikel in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“, in dem – von einem Beteiligten brühwarm ausgeplaudert – Details aus dem gemeinsamen Abendessen mit EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker in der Downing Street am Mittwoch vor einer Woche ausgebreitet wurden. Das, so Mays Einschätzung, sei vorsätzlich inszeniert worden, um das Ergebnis der Unterhauswahl am 8. Juni zu beeinflussen. Um ihren Sieg zu gefährden – aber das ließ May ungesagt.

Den Inhalt des Artikels hatte sie zuerst noch als „Brüsseler Geschwätz" abgetan. Juncker soll sich demnach von May mit dem Satz verabschiedet haben, er sei jetzt zehnmal skeptischer als zuvor, ob die Brexit-Gespräche gelingen würden. Denn May gab in dem Gespräch zu erkennen, wie sie sich das Verfahren vorstellen könnte. Es kam schon einmal zur Anwendung, May war als Innenministerin mit von der Partie. Offenbar will sie etwas Ähnliches erreichen wie das Protokoll 36, eine Ergänzung des Lissaboner Vertrags von 2007, in der den Briten eine Reihe von Ausnahmeregelungen in der Innen- und Rechtspolitik zugestanden worden war. Bis 2014 sollte London entscheiden, ob diese Klausel zum Ausstieg aus 130 EU-Vereinbarungen genutzt wird – bevor sie unter die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs fallen.

Es war May, die als Innenministerin entschied, die Klausel anzuwenden. Großbritannien stieg aus, doch May begann umgehend Verhandlungen mit dem Ziel, 35 der Vereinbarungen wieder beizutreten - eben jenen, die der Regierung in London nützlich erschienen. Brüssel machte mit, die Sache wurde nicht an die große Glocke gehängt. May feierte ihren Erfolg damals: Alle hätten gewarnt, die EU werde das Verfahren blockieren, aber sie habe sich durchgesetzt.

Wiederholung eines Erfolgs?

Nun plant sie offenbar eine Wiederholung: Mit Brimborium aus der EU austreten, um dann teilweise doch drin zu bleiben - zumindest im Binnenmarkt, und zwar über eine ausgewählte Kette von Einzelvereinbarungen. Das ist zwar eine ähnliche Konstruktion wie die der EU mit der Schweiz. Doch die Regierung in Bern hat dafür mehr akzeptiert, als May hinnehmen will - allem voran die Freizügigkeit von Personen.

In Brüssel wird Mays Ansinnen daher als jene Rosinenpickerei gesehen, die man verhindern will. Juncker stufte den Ansatz in dem Gespräch mit May als illusionär ein. Und als die britische Regierungschefin dann noch feststellte, sie könnte sich bei den Geldforderungen der EU im Rahmen der Austrittsgespräche sperrig zeigen, war den Gästen (darunter auch EU-Chefverhandler Michel Barnier) endgültig klar, dass es ziemlich schwierig werden würde. Was May hernach auch bestätigte, als sie die Charakterisierung ihres Parteikollegen Kenneth Clarke zitierte, sie sei eine „verdammt schwierige Frau“ – was Juncker bald spüren werde.

Ausplauderer aus Deutschland

Als Ausplauderer wurde in London schnell ein Deutscher ausfindig gemacht: Martin Selmayr, Junckers einflussreicher Kabinettschef. Der ist CDU-Mitglied und gut verbunden mit Kanzleramtschef Peter Altmaier. Doch was, wenn's stimmt, hat ihn zu seiner Indiskretion bewogen? Ein kleiner Vorgang im Info-Medium Twitter könnte einen Hinweis geben. Dort schrieb der Chef des Londoner Thinktanks „Centre for European Reform“, Charles Grant:„May liegt falsch, wenn sie sagt, EU-Leute greifen in die Wahl ein. Tatsächlich wollen sie, dass sie hoch gewinnt, damit sie die Stärke besitzt, beim Brexit zu einer Übereinkunft zu kommen.“ Grant gilt als gut vernetzt in Brüssel und London. Selmayr hat die Einschätzung Grants umgehend über sein Twitter-Konto weiterverbreitet.

In der Tat würden die Brexit-Gespräche wohl einfacher, wenn May nach dem 8. Juni auf fünf Jahre hinaus eine große Mehrheit hat und damit ihren Hardliner-Flügel stärker auf Abstand halten kann als mit der knappen Mehrheit im gerade aufgelösten Unterhaus. Allerdings nur, wenn sie es auch vermeidet, im Wahlkampf Erwartungen zu wecken, die zu erfüllen in der EU niemand bereit ist, auf die sie daheim aber festgelegt werden kann. Ihr das öffentlich zu vermitteln, dazu diente die Indiskretion wohl auch. Sie hat in jedem Fall mehr Brisanz in den Wahlkampf gebracht. Im erzkonservativen „Daily Telegraph“ wurden schnell Stimmen aus der Tory-Partei zitiert, wonach es einen in Berlin koordinierten „Plot“ der Europäer gegen May gibt. Der angepeilten Mehrheit der Premierministerin schadet das mutmaßlich nicht.

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