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Wahlkampf in NRW: Wie Röttgen sich selbst in die Bredouille bringt

Im Wahlkampf erkennt man Verlierer daran, dass sie über Inhalte reden wollen. Das erlebt Norbert Röttgen, der Kopfmensch, gerade in Nordrhein-Westfalen, wo er sich selbst zum Problem wird.

Von Robert Birnbaum

Es klebt ihm an den Füßen, zäh wie schwarze Wagenschmiere, und jedes Mal, wenn er es abzuschütteln versucht, schmiert es sich nur noch breiter. Am Sonntagabend bei Günther Jauch ist es wieder mal so weit. Der Zeitpunkt wäre eigentlich günstig für ihn, Schleswig-Holstein hat gewählt, er ist nächste Woche dran, die Talkshow im Ersten eine letzte Profilierungschance für Wahlkämpfer. Norbert Röttgen kommt gar nicht erst so weit. Er muss sich schon wieder einen Film-Zusammenschnitt angucken, der ihn, den CDU-Spitzenkandidaten, beim Rumeiern zeigt über seine politische Zukunft in- oder außerhalb Nordrhein-Westfalens für den Fall der Niederlage.

Und, fragt der Moderator anschließend, was ist nun, als Oppositionsführer nach Düsseldorf gehen oder als Umweltminister in Berlin bleiben? „Wir machen es, wie wir gesagt haben“, sagt Röttgen. Nämlich wie? Dass sie nachher in der CDU miteinander ... „Er bleibt in Berlin, aber er sagt es nicht“, resümiert Jauch.

Röttgen protestiert noch – „Das ist unfair!“ –, aber das nützt auch nichts mehr. Erstens, weil Jauch recht hat – wozu denn sonst das Rumgeeiere? Und zweitens, weil Markenzeichen in Wahlkämpfen früh vergeben werden. An Röttgen baumelt das Etikett des Mannes, der selbst nicht glaubt, dass er Ministerpräsident wird. „Wer vom Start nicht wegkommt“, kommentiert das ein nordrhein-westfälischer Parteifreund, „der geht nicht mehr als Erster durchs Ziel.“

Es ist ein Rätsel, wieso sich einer in eine derartige Bredouille bringt, den sie in Berlin in einer Art widerwilligem Respekt „Muttis Klügsten“ nennen. Sicher, die Neuwahl kam überraschend; die rot-grüne Minderheitsregierung stürzte im März über eine juristische Spitzfindigkeit, ein gar nicht ernst gemeintes Nein der FDP wurde plötzlich zum Aus für den Haushaltsentwurf. Aber dass die Frage nach seinen Prioritäten auf ihn zukommen würde, hat Röttgen wissen müssen, seit die NRW-CDU ihn, den Bundespolitiker, per Mitgliederentscheid dem Landes-Konkurrenten Armin Laschet vorzog. Er hatte genug Zeit, über eine Antwort nachzudenken. Vielleicht war es zu viel Zeit? Man kann auch zu intelligent sein für die praktische Politik.

Röttgen gegen die rot-grünen Geldausgeber

Ein mobiler Bierausschank hat sich auf dem Marktplatz in Hamm installiert, daneben ein Infostand der CDU und ein Wagen, in dem sie Currywurst verkaufen mit Brötchen oder „Pommes Schranke“. Das ist dann mit Ketchup und Majonnaise, rot und weiß eben, wie die Bahnschranke. Hamm liegt auf einer der unsichtbaren mental-politischen Grenzlinien Nordrhein-Westfalens. Amtlich ist das hier Westfalen (katholisch, gutbürgerlich, CDU), sozial gehört die frühere Bergbaustadt ins Ruhrgebiet (lakonisch, gutproletarisch, SPD). Laurenz Meyer war mal kurz davor, hier Oberbürgermeister zu werden, aber der SPD-Mann lag doch vorn. Jetzt steht der Ex-CDU-Generalsekretär mit der Kanzlerin und dem Spitzenkandidaten auf der Tribüne, aus alter Verbundenheit. Vor der Tribüne muss seine Frau den jüngsten Meyer festhalten, der zum Papa raufwackeln will.

Der Steppke passt zu Röttgens Konzept. „Politik aus den Augen unserer Kinder“ stand auf seinem ersten Wahlplakat: ein anderer Steppke mit roter Schirmmütze strahlte den Kandidaten dabei an, wie der durch seine runde Brille mit Kindergartenonkelmiene den Betrachter anstrahlte. Schluss mit der Verschuldung zulasten der nächsten Generation, die CDU als „Partei der Zukunftsverantwortung“ im Gegensatz zum rot-grünen Geldausgeber-Bündnis: „Für die Kinder das meiste und die wenigsten Schulden – so stell’ ich mir Nordrhein-Westfalen vor!“

Das ist ein Konzept nach Röttgens Geschmack. Er gilt in Berlin ja nicht umsonst als einer der ganz wenigen, der Politik als inhaltlich-moralische Veranstaltung zu begründen versucht und nicht bloß mit Parteiprogrammprosa. Seine Ansprache ist denn auch logisch durchkomponiert, und als Wahlkampfredner ist der Philosoph auf dem Ministersessel sogar eine kleine Überraschung: Knappe Sätze, kräftige Stimme, keine Rampensau, doch die linke Hand fliegt entschlossen geballt durch die Luft.

Es gibt bei alledem nur ein kleines Problem. Sein Generalsekretär Oliver Wittke hat es eingangs ungewollt aufgezeigt. „Wir reden über Inhalte!“, hat Wittke über den Platz gerufen. „Wir machen nicht in Currywurst!“

Das Publikum weiß, was er meint. Hannelore Krafts SPD hat im Internet einen Wahlplakatwettbewerb veranstaltet. Gekürt hat die Schwarmintelligenz ein Plakat mit dem schlichten Slogan „Currywurst ist SPD“. Argumentativ ist das natürlich Unfug. Assoziativ ist es genial. Currywurst – der junge Grönemeyer hat sie vor Jahrzehnten als Ruhrpott-Ikone verewigt: „Kommse vonne Schicht, wat schön’ret gibtet nich als wie Currywurst ...“ Currywurst – das ist mehr als das, was in der Bude hinten auf dem Marktplatz im Fett schmurgelt. Currywurst ist ein Gefühl: satte Heimat.

Es ist das gleiche wohlige Gefühl, das Hannelore Kraft um sich herum zu verbreiten versteht. In der CDU haben sie immer gewusst, dass die Frau gefährlich ist. Eine handfest-pfiffige Type, die reden kann wie die Leute und die es geschafft hat, als Ministerpräsidentin fast vergessen zu machen, auf welchem Wackelfundament ihre Macht ruhte. Gegen die geborene Kindergartentante Hannelore tut sich der gebildete Onkel Norbert schwer. Als sich die beiden ihr Fernsehduell liefern, hat Röttgen oft recht. Etwa, wenn Kraft Neuverschuldung als vorbeugende Investition verkauft, die später Reparaturkosten einspare. „Verschuldung als präventive Politik, das ist doch wie Griechenland!“, ruft der Herausforderer. Aber Kraft behauptet einfach, dass das nicht stimme, weil: „Bei uns steht der Mensch im Mittelpunkt.“ Röttgen weiß sichtlich nicht, ob er lachen oder toben soll über so viel Chuzpe. „Ja klar!“ ruft er schließlich dazwischen.

Ironie kommt indes nur selten an beim Fernsehpublikum. Darum kriegt ja „Die große Gala der Volksmusik“ beharrlich bessere Einschaltquoten als Harald Schmidt. Und überhaupt – Inhalte! Es ist eine unschöne Erkenntnis, sie ist demokratietheoretisch nicht korrekt, würde in der Gemeinschaftskundearbeit dick als Fehler angestrichen, ist aber durch Erfahrung umfassend belegt: Im Wahlkampf erkennt man Verlierer daran, dass sie über Inhalte reden wollen.

Würde Röttgen auch Oppositiom im NRW-Landtag machen?

Röttgen steht auf dem Hammer Marktplatz-Podium inzwischen links vom Rednerpult. Er hat höflichen, doch nicht enthusiastischen Applaus bekommen für sein Versprechen, dass er für NRW „alles geben und arbeiten“ möchte. Jetzt redet Angela Merkel, sie hat von Nordrhein-Westfalen gerade den Bogen in ihre große weite Welt geschlagen, in der 80 Millionen Deutsche sich gegen 1300 Millionen Chinesen zu behaupten hätten.

Röttgen wippt auf den Füßen vor und zurück, schiebt die Hände abwechselnd vor den Bauch, hinter den Rücken, in die Tasche. Seine Augen suchen einen imaginären Fleck irgendwo halbhoch am Himmel. Wer ihn kennt, kennt diese Kopfhaltung, die Miene mit dem spöttisch-skeptisch-fragenden Schmollmund. Röttgen ist ein lebendiger Geist, dem es schwerfällt, einfach nur bedeutungsschwanger rumzustehen und kein Gesicht zu machen. Wer ihn nicht so gut kennt, könnte freilich leicht zu einem anderen Schluss kommen: Dass der Mann da oben auf der Bühne nicht voll bei der Sache sei.

Das Bild passt nun wieder allzu gut zu der selbst geschaffenen Folie vom Bewerber, der es nicht ernst meint. Dabei wäre alles so einfach gewesen. Er hätte bloß erklären müssen, dass er bereit sei, vom Ministersessel auf die Oppositionsbank zu wechseln. „Bereit sein“ klingt wie Selbstverpflichtung, ist aber keine. Die Kanzlerin hätte dann hinterher gesagt, dass sie ihren Energiewende-Minister nicht hergibt. Alle, wirklich alle haben ihm eindringlich zu dem kleinen Trick geraten, von Merkel angefangen.

Röttgen war nicht bereit, bereit zu sein. Über die Motive rätselt jeder, zumal seine eigenen Erklärungen dazu keinen überzeugen. Hat er geglaubt, dass für ihn die platten Regeln des Polit-Geschäfts nicht gelten? So wie damals, als er Hauptgeschäftsführer des Industrieverbands werden und Abgeordneter bleiben wollte? Er musste sich dann doch entscheiden und blieb im Parlament.

Oder hat er den Zusagen nicht getraut, dass sie ihn nach Berlin zurückholen? Der nette Mensch Röttgen hat in seinen 46 Lebensjahren immerhin eine beachtliche Zahl von Parteifeinden angesammelt. Konservative sind darunter, die ihm die Atomwende nie verzeihen und ihn als führenden Kopf der Reformer auch sonst geradeheraus hassen. Einstige Kumpel, die er auf dem Weg nach oben mit kurzen harten Haken beiseitegeboxt hat. Leute wie den Fraktionschef Volker Kauder, der ihn für einen durchtriebenen Gelegenheitsmachiavellisten hält. Aber selbst Gutmeinende begleiten die Formulierung „mein Freund Norbert Röttgen“ neuerdings immer häufiger mit einem Seufzen: Er ist halt schon sehr von sich selbst überzeugt.

"Muttis Klügster" sucht Deckung hinter Kanzlerin Merkel

Andere seufzen nicht, im Gegenteil. Wenn zum Beispiel Ursula von der Leyen zufällig bei dieser Jauch-Sendung vor dem Fernseher gesessen hat, dann kann man sich leicht ausmalen, wie sie erst geprüft hat, ob die Vorhänge auch wirklich zu sind, um dann einen kleinen Hexentanz aufzuführen.

In der CDU kommen nicht mehr viele als Erben der Angela Merkel infrage. Im inoffiziellen Ranking der Nachwuchstalente lag der Umweltminister bisher klar vor der Arbeitsministerin, auch weil er Chef des größten Landesverbandes ist. Aber ob beides so bleibt, wenn es so kommt, wie es aussieht? „Jedes Ergebnis über 30 Prozent wäre ein Erfolg“, sagt ein erfahrener NRW-Christdemokrat. Dabei waren die 34,6 Prozent schon ein historisches Tief, mit denen Jürgen Rüttgers 2010 aus dem Amt gejagt wurde.

Röttgen hat von Anfang an gewusst, dass er kaum eine Chance haben würde, Ministerpräsident zu werden. Ihm fehlt ein Koalitionspartner – eine der bösen Ironien dieses Wahlkampfs will es, dass der Mann, der wie kaum ein anderer auf Schwarz-Grün hingearbeitet hat, davon weiter entfernt ist als je. Wenn er Pech hat, muss er am Wahlabend sogar zusehen, wie die FDP als Ampelmännchen zu Rot-Grün überläuft. Dazu dann Landesmutter Kraft als Gegnerin, nach nur zwei Jahren keine Wechselstimmung – eine aussichtslose Ausgangslage. Dass einer sich da lieber den Rückweg offenhält, ist menschlich verständlich.

Nur: Eine absehbare Niederlage wegstecken ist eine Sache; ein krachendes Scheitern verantworten müssen eine ganz andere. Da hilft kein Rückweg, da muss ein Ausweg her, irgendwas, ein letzter Versuch. Norbert Röttgen erklärt seine Wahl zur Schicksalswahl der Euro- Kanzlerin. Deren Kurs sei nach den Wahlen in Frankreich und Griechenland in Gefahr, von NRW müsse Rettung ausgehen: „Angela Merkel kann nicht glaubwürdig und stark nach außen auftreten, wenn im größten Bundesland Verschuldung offensiv betrieben wird.“ Das sehe Merkel genauso, auch das CDU-Präsidium.

Das stimmt nicht. In Berlin kochen sie. Was für ein durchsichtiges Spiel! „Muttis Klügster“ missbraucht seine Kanzlerin als Deckung: Rettet mich, weil ihr sonst der Frau schadet, die ihr doch alle schätzt. Peinlich ist das, „feige“ sagt ein CDU-Mann sogar. Und sinnlos. Weil, wenn sie nach Feierabend an der Currywurstbude stehen, dazu ’n Pülleken Bier – dann sollen die glauben, dass ihr Kreuzchen das Schicksal Europas entscheidet? Glauben die nicht. Wegen dem bisschen Wahl machste so’n Bohei, Nobbert? Bloß weilze plötzlich Schiss hast?!

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