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Wahlkampf-Reporter: Luxusstadt mit Luxusproblemen

Bad Homburg ist eine der reichsten Städte des Landes. Aber die Parteien sind zerstritten – und die Upperclass wendet sich von der Politik ab.

Der-Zeit-Wahlkampf-Reporter Michael Schlieben ist auf Deutschlandreise (Route siehe unten). Nord, West, Süd, Ost – einmal rund durch die Republik geht es. Er bloggt, twittert

und schreibt Reportagen. Lesen Sie heute seinen Bericht aus Bad Homburg:

Über solche Schlagzeilen würde sich Gelsenkirchen freuen. Die Bad Homburger Woche titelt: "Porsche-Ralley durch die Innenstadt". Und: "Lions-Club organisiert ein Benefiz-Konzert". Auch das Kulturangebot ist üppiger als in der alten Kumpel-Stadt, obwohl das hessische Kurstädtchen mit seinen 52.000 Einwohnern fünfmal kleiner ist: Die Bürger hier können wählen zwischen Theater, Musical, Oper, Varieté, Ballett – und dem jährlichen Orgelfestival.

Nirgendwo ist der Anteil von Gutverdienern unter den Einwohnern höher als hier im Hochtaunuskreis. In Bad Homburg leben die Banker, Unternehmer und Manager, die im 20 Kilometer entfernten Frankfurt arbeiten, aber mit ihren Familien im Grünen wohnen wollen. Die private Kaufkraft ist weit überdurchschnittlich. Auch die Kommune ist wohlhabend, dank der Einnahmen durch die Einkommensteuer und der traditionsreichen Spielbank.

Goldschmuck, Sonnencapes, Lederhandtaschen – die Wohlstandssymbole springen ins Auge. Über die Kaiser-Friedrich-Promenade rollen Cabrios und Geländewagen. Vor dem Kurhaus plätschert ein riesiger Springbrunnen. Die Fußgängerzone in der Innenstadt ist gesäumt von Nobel-Boutiquen, Juwelieren und Anwaltskanzleien.

Am Marktplatz hat ein Café große Strandstühle aufgestellt. Junge Menschen stoßen dort mit ihren Cocktails an. Sie tragen edle Sonnenbrillen; am Abend legen sie sich Decken über ihre gebräunten Schultern. Es sieht fast aus wie in Sylt. Nur, überall stehen Fachwerkhäuser – und die Leute babbeln hessisch.

Bad Homburg ist elitär und steht dazu. "Champagnerluft und Tradition", heißt der offizielle Slogan der Stadt. Politisch waren die Verhältnisse in den letzten fünf Jahrzehnten klar geregelt: Länger als die meisten denken können, stellte die CDU das Stadtoberhaupt. Vor zwei Monaten brachen die Bad Homburger jedoch mit ihrer Tradition. Sie wählten mit 60 Prozent den Grünen Michael Korwisi. Ausgerechnet die "Bonzen-Stadt", wie sie das Umland nennt, wählt den ersten grünen Oberbürgermeister der hessischen Geschichte. Wie konnte das passieren?

Der künftige Oberbürgermeister sitzt am nächsten Morgen in einem Café, nahe dem Stadtschloss. Korwisi ist weniger schick gekleidet als viele, die durch die Innenstadt flanieren. Früher war er Landesgeschäftsführer der Grünen und Joschka Fischers Referent, später Stadtrat in Bad Homburg. Er hat ein rundes Gesicht und spricht breites Hessisch. Man nimmt ihm ab, dass er in den Vereinen der Stadt fest verwurzelt ist.

Besonders bei den Bürgerinnen der Stadt sei er gut angekommen, heißt es. "Die reiche Homburgerin wählt inzwischen Grün", lästert ein Abgeordneter des Kreises. Korwisi sagt, dass moderne, bürgerliche Frauen tatsächlich "andere Themen" interessiere als früher, nämlich Kinderbetreuung, Stadtentwicklung, Ökologie. Gleichwohl sei die OB-Wahl eine Personenwahl. Bei der Bundestagswahl sei nicht annähernd mit einem so hohen Ergebnis zu rechnen.

Ausschlaggebend für den Machtwechsel waren nämlich nicht die grünen Themen, sondern der seit Jahren anhaltende Streit innerhalb der örtlichen CDU. Korwisi sagt, da haben sich "mehrere Parteien in einer Partei" gebildet. Die wohlhabenden, liberalen Zugezogenen liefern sich mit den konservativen Dörflern der eingemeindeten Stadtteile erbitterte Kämpfe. Bei den anderen sieht es allerdings nicht anders aus: Von der SPD hat sich die BLB abgespaltet, neben der FDP entstand ein Freier-Wähler-Zweig. Auch Korwisi hat bei den Grünen nicht nur Freunde. Meist ging es um Persönliches, selten um Inhalte. Bad Homburg gilt Hessen-weit als politisches "Giftnest" oder als "Schlangegrube". Warum? Korwisi zuckt die Schultern. "Vielleicht geht’s uns hier zu gut?"

"Niederträchtig" sei die politische Kultur in Bad Homburg, sagt auch der FDP-Stadtverordnete. Peter Vollrath-Kühne ist ein honoriger, älterer Herr. Er empfängt in seinem Rathaus-Dienstzimmer. Von hier hat man einen Panoramablick auf die Taunus-Vorläufer. "Dabei ist das doch so ein herrlicher Flecken Erde hier", seufzt er und grübelt lange. Aber auch er hat keine andere Erklärung als "das Ausbleiben materieller Not", das dazu führe, dass die Parteien sich untereinander zerfleischen.

Allerdings verwehrt sich der Stadtrat dagegen, dass in der Stadt nicht ordentlich regiert werde. Sonst wäre Bad Homburg wohl kaum so gut aufgestellt. Man habe eine gemischte Industriepalette, krisenunabhängige Branchen, florierenden Tourismus. Hinzu kommt: Seiner FDP schade das schlechte Parteien-Image nicht  Sie ist inzwischen nach der CDU zweitstärkste politische Kraft in der Stadt. Im Kreis erzielt sie seit Jahren Rekordergebnisse. Vor allem die SPD müsse aufpassen, dass sie nicht auf "Platz 4" abrutscht, sagt er böse lächelnd.

Warum hat die FDP so wenig Manager und Bosse in ihren Reihen? "Weil die Upperclass sich nicht politisch engagiert", sagt der FDP-Mann. Zwar verweigere sie sich nicht der Gemeinschaft, wie man am großen Einsatz für Vereine, Kultur und Stiftungen in Bad Homburg sehen könne. Aber sie verweigere sich der Politik.

Stimmt das? Ein Anruf beim örtlichen Golfclub, dem ältesten in Deutschland: Der Präsident Jürgen Lemme lacht laut auf. Seine 950 Mitglieder müssten ihren Job machen. Sie könnten sich nicht mal eben beurlauben lassen oder kürzer treten. "Nur Beamte können das", sagt der Golfer. Ohnehin sei man auf die örtliche Politik nicht gut zu sprechen. Bei dem Ausbau des Platzes habe sie sich "nicht sehr hilfreich" gezeigt. Klar, dass das "zu Politikverdrossenheit" führt.

Im Erdgeschoss des Rathauses ist ein Café. Hierher geeilt kommt Steffen Etzel, der Direktkandidat für die Bundestagswahl der Linkspartei. Etzel ist Bankfachwirt. Im Kreis gebe es "hunderte arbeitslose Banker". Die wolle er vertreten. Und alle anderen Bedürftigen. Davon gebe es hier nämlich mehr als man glaubt: "Jeder zwanzigste Bad Homburger bezieht Sozialleistungen", sagt er. Noch ärger sehe es außerhalb des Stadtgebietes aus. Viele in schlecht bezahlten Jobs könnten sich die Bad Homburger Miete nicht leisten und wohnen deshalb im Umland. "Die Reichen leben in der City, die Lakaien außerhalb."

Ob der Linkspolitiker auch Pia Kneise als Lakai bezeichnen würde? Sie ist die Leiterin der Kindertagesstätte Hausmannpark in Bad Homburg. Sie gehört also zu einer Klientel, die die Linkspartei zuletzt in ihrem Tarifstreik unterstützt hat. Kneise macht einen Rundgang durch ihre Kita. Goldene Rasseln sieht man zwar nicht, aber die Ausstattung ist "top", wie sie selbst sagt. Hüpfburgen, Turnhalle, zweistöckiger Schlafsaal, eigene Köchin. In Bad Homburg ist der Besuch des Kindergartens kostenlos.

Kneise und ihrer Kolleginnen verdienen mehr als Kindergärtnerinnen in anderen Städten. Trotzdem hat das Team, nach langen, internen Diskussionen, mitgestreikt. Weil man gern bessere Arbeitszeiten gehabt hätte. Nur die Kita-Chefin hat als eine der wenigen weiter gearbeitet. Sie schüttelt den Kopf: "Irgendwas gibt’s immer zu verbessern."

Demnächst: Die fremden Wähler – Stuttgart gilt als Musterstädtle für gelungene Integration. Wen wählen die Migranten, welche Themen treiben sie um?

Quelle: ZEIT ONLINE

Michael Schlieben[Bad Homburg]

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