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Nach seinem Kurzbesuch im Willy-Brandt-Haus will Stephan Weil nach eigenen Worten sehr zügig eine Regierung mit den Grünen bilden und als Erstes die Studiengebühren abschaffen. Das hatte er im Wahlkampf versprochen.

© dpa

Wahlsieger Weil: Der Unaufgeregte

Ausgerechnet der als spröde und ein bisschen langweilig geltende Stephan Weil hat der SPD mit dem Sieg bei der Niedersachsen-Wahl in letzter Minute die ersehnte Vorlage für das anstehende Superwahljahr geliefert.

Als die Turmuhr in Hannovers Innenstadt Mitternacht schlägt, lotst Rosemarie Kerkow-Weil ihren müden Ehemann nach Hause. Für den SPD-Spitzenkandidaten in Niedersachsen und künftigen Ministerpräsidenten war die wilde Fahrt durch alle Gefühlswelten vorbei. Er durfte schlafen, schließlich hieß es um 7.31 Uhr am nächsten Tag: Abfahrt mit dem ICE Richtung Berlin. Es war ein Last-Minute-Sieg, ein glückliches Ende eines kuriosen Abends, an das kurz nach 18 Uhr nicht wirklich alle Genossen geglaubt hatten.

Am Montagmorgen in Berlin hält Weil, dunkelblauer Anzug mit blau-weiß getupfter Krawatte, einen Strauß roter Gerbera in der Hand. Gerade hat er mit Parteichef Sigmar Gabriel im Willy-BrandtHaus die offiziellen Reden zur Wahl gehalten, und nun muss er gleich wieder los, nach Hannover, um die ersten Gespräche mit seinem künftigen Grünen-Koalitionspartner zu führen. Er steht vor dem Fahrstuhl, die Farbe ist in sein Gesicht zurückgekehrt, aber der 54-jährige Jurist gibt zu: „Heute morgen musste ich mich erst kneifen, um zu sehen, dass das alles Wirklichkeit ist.“

Es ist gut gegangen, obwohl am Sonntag lange Zeit eine schmerzhafte Niederlage realistischer erschien. Als die ersten Hochrechnungen Schwarz-Gelb knapp vorne sahen, entschloss sich Weil, im Gegensatz zu David McAllister, trotzdem früh in die Öffentlichkeit zu gehen. Da sieht er schlecht aus, mitgenommen. Später, als er im Landtag in einem dichten Pulk von Kamerateams und Fotografen auf den Weg zu seinem ersten Interview geschubst wird, schafft es die Visagistin der ARD nicht, Weils Gesicht im Gehen ordentlich zu bearbeiten. Und so geht der SPD-Mann mit ziemlich rotem Gesicht und Flecken am Hals auf Sendung. Die innere Anspannung bahnt sich eben auch bei einem äußerlich gelassen wirkenden Politiker ihren Weg.

Lange hatte der gebürtige Hamburger, aufgewachsen im bürgerlichen Haushalt zweier Akademiker-Eltern, gezögert, überhaupt anzutreten. Er war zufrieden mit seinem Job als Oberbürgermeister von Hannover. Erst als die FDP begann abzustürzen und die Wulff-Affäre an der CDU klebte, beschloss er den Schritt zu wagen und aus der Deckung zu kommen. Unterstützt und gedrängt von allen wichtigen Bundes-Genossen.

Zeitweise lag Rot-Grün zehn Prozentpunkte vor Schwarz-Gelb – bis zum 20. Januar, 18.01 Uhr. Da liegen CDU und FDP mit rund 15 000 Stimmen vorn. Weil wiederholt jetzt gebetsmühlenartig und ruhig, dass er sich nichts vorzuwerfen habe und mit sich im Reinen sei. Er lässt weiterhin nichts auf den unglücklich agierenden Peer Steinbrück kommen, selbst, als der seine Verantwortung dafür bekennt, dass das Wahlergebnis womöglich nicht so ausgefallen sei, wie erhofft.

Als Weil gegen 21 Uhr auf der Wahlparty ankommt, steht es noch unentschieden, die Tendenz zum Sieg ist noch nicht abzusehen. Weil spricht nach seinem Dankeschön an die Partei von einem „spannenden Abend“, der „uns noch bevorsteht“. Aber jetzt buhen einige, sie wollen doch einen siegesgewissen Mann, und irgendwie ist das auch der Moment, an dem Weil den Schalter nochmal umlegt und fortan den Autopiloten auf Kampf und Siegesgewissheit stellt.

Ausgerechnet der spröde Weil haucht der Partei Leben ein

Am Montag benutzt er die Begriffe „Selbstbewusstsein und Kampfgeist“, um den Erfolg zu erklären. Als Sigmar Gabriel beginnt, Weil zu danken, lächelt dieser befreit und sieht trotzdem wie immer in solchen Momenten leicht verlegen aus. Er tippelt öfter von einem Fuß auf den anderen und hält den Kopf leicht schief. Es hat eine gewisse Ironie, dass Gabriel daran erinnern muss, dass die SPD nun nach zehn Jahren die Macht in Niedersachsen zurückgewonnen hat – vor allem, weil „Stephan Weil Haltung bewahrt“ habe. Es war der heutige Parteichef und einstige Beauftragte für Pop-Kultur, der, nachdem Gerhard Schröder Kanzler geworden war, die SPD nicht an der Regierung halten konnte. Seitdem war die Partei in Niedersachsen zerstritten, auch daran war Gabriel nicht ganz schuldlos mit seiner – damaligen – Art, Politik zu oft im Alleingang zu machen.

Vergessen, verzeihen und vorausschauen ist deshalb jetzt das Motto der SPD. Ausgerechnet der als spröde und ein bisschen langweilig geltende Weil, der an Sachthemen Orientierte, hat der Partei die ersehnte Vorlage für den Bundestagswahlkampf gegeben. Weil kostet das nicht aus, jedenfalls nicht allzu demonstrativ. Er sagt nur, „ich wünsche meiner lieben Bundes-SPD“, dass sie den Schwung des Sieges in den Bundestagswahlkampf mitnehmen möge. Wer unbedingt will, kann aus den Worten auch ein wenig Spott heraushören. Aber Stephan Weil meint meist genau das, was er sagt.

Am Rande, neben den Ministerpräsidenten Hannelore Kraft, Olaf Scholz und dem Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit, steht auch Thomas Oppermann, Parlamentarischer Geschäftsführer der Bundestagsfraktion, und sieht sichtlich bewegt aus. Oppermann ist seit 30 Jahren eng mit Weil befreundet. Sie haben zusammen Jura studiert und wandern seitdem mit den Familien in aller Welt. Oppermann hat mal verraten, dass sie Weil zu Studentenzeiten „Helmut Schmidt“ gerufen haben. Damals, Anfang der Achtziger, war das nicht wirklich als Kompliment gemeint. Jetzt kann Weil zeigen, was er an Schmidt bewundert hat: Klarheit, Pragmatismus und die Abneigung gegen Visionen.

Und wie fühlt es sich nun an, bald Ministerpräsident zu sein? „Gut“, sagt Weil, „auch wenn ich zugebe, dass ich nicht jede Woche so ein enges Match brauche.“

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