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Wahrheit mit Verzögerung: Ex-Premier Blair wird zum Irakkrieg verhört

Eine Kommission soll herauszufinden, welche Entscheidungsprozesse zur Kriegsteilnahme Großbritanniens führten und was für Lehren man daraus ziehen kann. Außerdem soll durch Transparenz das gestörte Vertrauen der Briten in ihre politischen Prozesse wiederhergestellt werden.

Die Polizei rechnet mit der größten Demonstration seit den G-20-Protesten. Kriegsgegner aus dem ganzen Land werden die Hände in rote Farbe tunken und „Blut an den Händen“ rufen, wenn Tony Blair an diesem Freitag vor dem grauen Konferenzzentrum gegenüber der Westminster Abbey vorfährt.

Um 9.30 Uhr beginnt der spannendste Akt der Politshow, die Großbritannien seit Wochen in Bann schlägt. Blair wird den ganzen Tag lang befragt. Die Fragen der Kommission sind respektvoll, aber präzise. Jedes Wort wird im Fernsehen übertragen – nicht live, aber mit einer Minute Verzögerung. Kommt das Gespräch auf Staatsgeheimnisse, wie im Dezember, als der ehemalige UN-Botschafter Jeremy Greenstock über die amerikanische Nachkriegsplanung sprach, wird die Übertragung unterbrochen.

Die Kommission soll herauszufinden, welche Entscheidungsprozesse zur Kriegsteilnahme Großbritanniens führten und was für Lehren man daraus ziehen kann. Außerdem soll durch Transparenz das gestörte Vertrauen der Briten in ihre politischen Prozesse wiederhergestellt werden. Worum es aber wirklich geht, macht der Wirbel um die Anhörungen klar: die Suche nach dem Schuldigen.

Klar geworden ist bereits, dass Blair dem amerikanischen Präsidenten George W. Bush bereits ein Jahr vor der Invasion versprochen hat, bei einer Militäraktion mitzumachen – möglichst mit, aber notfalls auch ohne UN-Resolution. Im April 2002 hätten Bush und Blair einen „Blutpakt“ geschlossen, behauptete der damalige britische US-Botschafter Sir Christopher Meyer - obwohl er nicht dabei war. Aber Blairs „Spindoktor“ Alistair Campbell bestätigte: „Wir werden zur Stelle sein“, habe Blair an Bush geschrieben.

Auch wird sich Blair der Frage stellen müssen, in wie weit es überhaupt einen klaren Kriegsgrund gab. Ausführlich beschrieb der damalige Außenminister Jack Straw seine Gewissensqualen über die Kriegsentscheidung. Ein Geheimschreiben wurde nun bekannt, in dem er Blair warnte: Ein Krieg zum Zwecke des Regimewechsels wäre illegal. Aber als die Rede auf das aufgebauschte Waffendossier kam, mit dem Blair den Krieg rechtfertigte, sagte Straw: „Es war mir immer klar, dass die Entwaffnung Saddams nicht der eigentliche Kriegsgrund war.“ Rechtsexperten des Außenministeriums bewerteten den Krieg in Gutachten als illegales „Verbrechen der Aggression“. Nun erfährt man, wie Straw und die Downing Street diese Gutachten ablehnten. „Warum haben sie das schriftlich fixiert“, habe Downing Street Nummer 10 geantwortet.

Blair muss sich rechtfertigen, weil sich der Krieg als Großbritanniens größter außenpolitischer Fehler seit einem halben Jahrhundert erwiesen hat. Auch die Oppositionsparteien stimmten dafür, nur ein Kabinettsmitglied – Robin Cook – trat aus Protest zurück. Aber die bisherige Untersuchung zeigt auch, wie sehr Blair in dieser Sache Antreiber und Alleinentscheider war. Oft schon hat Blair den Krieg mit seiner unvergleichlichen Mischung aus Charme, ausweichendem Witz und stahlharter Argumentation verteidigt. Heute kämpft er damit um seine historische Reputation. Matthias Thibaut

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