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Politik: Wandel, nicht Wende

Von Stephan-Andreas Casdorff

Die große Koalition – kaum im Amt, werden schon die ersten Bilanzen gezogen, wirtschaftlich, aber auch politisch-gesellschaftlich im Hinblick auf das, was sich bewegt. Und da ist zu sehen: Sie bewegt sich doch, sie, die Koalition, sie, die Bundesrepublik, sie, Merkel.

Nur wohin führt das in diesem Jahr?

Die Koalition bewegt sich insofern voran, als in ihr die Kräfte stärker werden, die mehr wollen, als nur den Mangel zu verwalten. Schrille Töne aus den vergangenen Tagen sind noch kein Gegenbeweis, weil es zugleich beruhigende gab. Sollen sie doch unterschiedliche Meinungen haben, sagt da die Kanzlerin, solange sie am gemeinsam Vereinbarten festhalten, stört das nicht. Sie nicht, und den Bürger muss es genauso wenig stören. Ja, so kann man es sehen. Denn wer genau hinschaut, kann auch erkennen, wohin die Zusammenarbeit führt: Der Finanzminister will erstmals seit Jahren gestalten, der Wirtschaftsminister weitet den Blick. In welcher Weise, das mag vielleicht nicht jeder gerne hören, aber es darf gedacht werden.

Wer hätte zum Beispiel vorherzusagen gewagt, dass ein CSU-Mann reden würde wie ein vermeintlich Linker, also einer, der Lohnsteigerungen das Wort redet, weil nur damit die Konjunktur belebt werden könne? Aber so ist es, und das signalisiert (mitsamt der erstaunlichen Anregung des doch eher ökonomisch neoliberal geprägten Bundespräsidenten) einen Kurswechsel. Vielleicht sogar mehr: einen Mentalitätswechsel?

In diesem Jahr beginnt der Wechsel – bei den Regierenden. Und ihr gegenwärtig doch eher ruhiges Regieren strahlt auf die Bundesrepublik aus. Gerade deswegen sind nicht nur die vergangenen Tage, sondern Wochen so interessant gewesen. Es wächst möglicherweise eine wirklich große Koalition zusammen. Um beim vorher genannten Beispiel zu bleiben: Gäbe es mehr für die Lohntüten und käme es zur Beteiligung der Arbeitnehmer am Produktivvermögen, also würde eine Forderung verwirklicht, die seit Jahrzehnten erhoben wird, die noch aus dem vorigen Jahrhundert stammt, die alle Päpste seit Leo XIII. angesprochen haben – dann kann es sein, dass sowohl die politische Linke und die Gewerkschaften als auch die Arbeitgeber sich gemeinschaftlich bemühen. Oder anders ausgedrückt, dass sie sich um den Aufbau der Gemeinschaft bemühen, indem sie der allgemeinen Stimmung aufhelfen.

In diesem Jahr kann das dazu führen: Breitet sich erst einmal in der Gesellschaft die Erkenntnis aus, die da oben tun was, das allen hilft, steigt auch die Konjunktur, die der Politiker und die in der Wirtschaft.

Zu guter Letzt Merkel. Sie hat sich – innerhalb der jüngsten Zeit zumindest – ziemlich stark und auch in Teilen überraschend gewandelt. Weniger geht es darum, dass sie als Kanzlerin befreiter wirkt; das Publikum ist auch geneigter, will offenkundig das, was vorher als Zögern erschien, heute als kluges Abwarten verstehen. Viel mehr geht es darum, dass sie sich, ob aus der Not oder aus der Erkenntnis heraus, politisch dem annähert, was christdemokratische Politik seit jeher war: Diese Politik ist sozial gesinnt und konservativ vor allem in dem Sinne, dass verändert wird, um zu bewahren, was sich bewährt hat. Und dass derjenige, der verändern will, die Beweislast trägt. Das Soziale, im Wahlkampf selbst von der Union, nicht zuletzt von den Christsozialen, schmerzlich vermisst, tritt stärker hervor. Für ihre Partei, die CDU, ist das gut, für das Gemeinwesen noch besser.

Aus alledem kann in diesem Jahr dann womöglich der Überbau entwickelt werden, den zuletzt Präsident Köhler angemahnt hat. Bisher war Merkels Politik deutlich unterphilosophiert. Die Politik ihrer Regierung ist es auch, bei dieser Mann- und Frauschaft ist Pragmatismus Staatsräson. Nun wird sie die gewünschte intellektuelle Aufladung nicht von heute auf morgen nachholen können. Aber alles hat seine Zeit. Jetzt ist Zeit für Hoffnung. Und die nächste richtige Bilanz kommt bestimmt: Im März sind Landtagswahlen.

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