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Politik: Warme Suppe und viel Sympathie

ISTANBUL .Heiße Suppe stand schon bereit, als in der Nacht zum Dienstag das erste Kontingent von Kosovo-Flüchtlingen per Luftbrücke in der Türkei eintraf.

ISTANBUL .Heiße Suppe stand schon bereit, als in der Nacht zum Dienstag das erste Kontingent von Kosovo-Flüchtlingen per Luftbrücke in der Türkei eintraf.Knapp 1400 hungrige und erschöpfte Menschen kamen im Laufe der Nacht in der nordwesttürkischen Provinz Kirklareli an, wo unter Hochdruck an Flüchtlingslagern und Zeltstädten gearbeitet wird.Mehr als 5000 Vertriebene waren in den vergangenen zwei Wochen schon auf dem Landweg eingetroffen.Insgesamt hat sich die Türkei bereit erklärt, 20 000 Kosovaren Zuflucht zu gewähren.Zudem schicken sowohl die türkische Regierung als auch der Rote Halbmond lastwagenweise Lebensmitteln, Decken und Zelte nach Mazedonien und Albanien.Aus historischen Gründen sieht sich die Türkei als Schutzmacht der Moslems auf dem Balkan.Die großzügige Flüchtlingspolitik genießt deshalb innenpolitisch die breiteste Unterstützung.

Die Lager, die im Nordwesten der Türkei für die Kosovaren hergerichtet werden, müssen nicht aus dem Boden gestampft werden.1989 für den Ansturm der aus Bulgarien vertriebenen türkischen Minderheit errichtet, wurden sie später zur Unterbringung von bosnischen Flüchtlingen genutzt, von denen einige hundert dort heute noch leben.Weit davon entfernt, die neue Flüchtlingswelle als Last zu verfluchen, begrüßen die meisten Türken die Ankömmlinge mit offenen Armen.Aufrufe zu Spendenaktionen dominieren die ersten Seiten der Zeitungen, das Fernsehen blendet regelmäßig Spendenkontonummern ein, und Parteien und Unternehmen wetteifern darum, die höchste Geldsumme zu spenden.Und weil gerade Wahlkampf herrscht, versäumt Ministerpräsident Bülent Ecevit es nicht, jede einzelne Hilfsmaßnahme höchstpersönlich und vor laufenden Kameras bekanntzugeben - ein untrügliches Zeichen für die innenpolitische Popularität der Flüchtlingshilfe.

Eine besondere Verantwortung für die Balkan-Flüchtlinge leitet die Türkei auch aus der Tatsache ab, daß weite Teile des Balkans lange Zeit zum Osmanischen Reich gehörten, und daß die historischen und kulturellen Bande bis heute halten.So fanden etwa die meisten derjenigen Kosovo-Flüchtlinge, die die Türkei in den letzten Tagen auf dem Landweg erreichten, bei entfernten Verwandten Unterschlupf, die schon nach dem Ersten Weltkrieg vom Balkan in die Türkei eingewandert waren."Für uns Türken ist der Balkan ein Synonym für den Verfall", erinnerte der islamistische Leitartikler Fehmi Koru am Dienstag: Was mit dem Berliner Kongreß von 1878 begonnen habe, setze sich in der jüngsten "Tragödie auf dem Balkan" fort.Und schließlich ist auch den Türken bewußt, daß der serbische Haß auf die moslemische Minderheit im türkischen Sieg über die Serben am Amselfeld von 1389 wurzelt, mit dem die jahrhundertelange Herrschaft der Osmanen auf dem Balkan begann.

Einmütig rufen die Parteien keine zwei Wochen vor den Parlamentswahlen zur Unterstützung der Flüchtlinge auf.Dutzende Firmen und Vereine sammeln Kleider und weitere Sachspenden.Und die bei einem Durchschnittseinkommen von 5500 Mark im Jahr selbst nicht gerade wohlhabenden Türken zahlen täglich große Summen auf die Spendenkonten ein.

SUSANNE GÜSTEN

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