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Oft lebensrettend. In Deutschland lassen sich immer noch zu wenige Menschen gegen Masern impfen.

© Owen Humphreys/dpa

Warnung vor immer mehr Erkrankungen: SPD-Experte verlangt Masern-Impfpflicht

Was hilft gegen Masern? Die SPD fordert eine verpflichtende Impfung, Gesundheitsminister Spahn will noch abwarten - und die Grünen sind dagegen.

Als er noch nicht Gesundheitsminister war, stand Jens Spahn bei dem Thema an vorderster Front. Gemeinsam mit dem SPD-Experten Karl Lauterbach forderte er angesichts einer gerade stattgefundenen Rekord-Infektionswelle eine Impfpflicht gegen Masern. Er sehe die historische Chance, „jetzt endlich über eine Pflicht zur Impfung die Masern in Deutschland auszurotten“, sagte der CDU-Politiker im März 2015.

Der damalige Minister und Parteifreund von Spahn, Hermann Gröhe bremste jedoch. Am Ende gab es ein paar kleinere Verpflichtungen via Präventionsgesetz. Eltern müssen seither, bevor sie Kinder in Hort oder Kindergarten schicken, eine Impfberatung nachweisen. Nichtgeimpfte können kurzzeitig vom Kita-Besuch ausgeschlossen werden, falls vom Gesundheitsamt für nötig erachtet. Besonders renitenten Impfmuffel-Eltern drohen Geldbußen von bis zu 2500 Euro.

Gesundheitsministerium will noch abwarten

Nun, vier Jahre später, steht die Frage nach einer Masern-Impfpflicht wieder im politischen Raum. Er sei darüber mit dem Gesundheitsminister im Gespräch, bestätigte Lauterbach dem Tagesspiegel. Und während der SPD-Politiker bei seiner Forderung von damals bleibt, will das von Spahn geführte Ministerium noch abwarten. Man müsse erst mal sehen, ob die Maßnahmen von 2015 Früchte trügen, sagte eine Sprecherin dieser Zeitung.

Anlass der neuerlichen Debatte sind massive Warnungen internationaler Organisationen vor einer alarmierenden weltweiten Zunahme von Masernfällen. Weltweit hätten im vergangenen Jahr 98 Länder ein stärkeres Auftreten dieser gefährlichen Virusinfektion registriert als im Vorjahr, heißt es in einem aktuellen Bericht des UN-Kinderhilfswerks Unicef. Dadurch würden in der Vergangenheit erzielte Fortschritte gegen diese oft todbringende Krankheit zunichte gemacht. Den höchsten Anstieg hätten die Ukraine, die Philippinen und Brasilien zu verzeichnen.

110.000 Maserntote weltweit im vergangenen Jahr

Zuvor hatte die Weltgesundheitsorganisation WHO die Verweigerung von Impfungen zu einem der zehn größten globalen Gesundheitsrisiken erklärt – und als Beleg dafür ebenfalls den wieder aufgeflammten Ausbruch der Masern genannt. Schon 2017 seien weltweit 30 Prozent mehr Menschen daran erkrankt als im Vorjahr. Und im Jahr 2018 wurden 229.000 Fälle der Infektionskrankheit gemeldet. 110.000 Menschen seien daran gestorben, die meisten von ihnen Kinder unter fünf Jahren.

Der neuerliche Ruf nach einer Impfpflicht hängt aber auch mit dem Frust zusammen, dass sich in Deutschland so wenig bewegt. Um die hochgefährliche Viruserkrankung endlich besiegen zu können, müssten mindestens 95 Prozent der Bevölkerung gegen Masern geimpft sein. Tatsächlich sind es hierzulande inzwischen zwar knapp 93 Prozent aller Schulanfänger, aber immer noch weniger als 60 Prozent der 18- bis 44-Jährigen. Das Problem sind aus Expertensicht vor allem junge Erwachsene, die nach dem Beginn der Impfungen im Jahr 1973 nicht mehr erkrankt seien, gleichzeitig aber keinen Impfschutz hätten. Außerdem würden viele Kinder zu spät geimpft.

543 Fälle in Deutschland - nicht mehr als 80 wären das Ziel

Folge man der WHO-Hochrechnung, dass nur ein Masernfall auf eine Million Einwohner kommen dürfe, wären das deutschlandweit im Jahr 80 Fälle, sagt die Sprecherin des Robert-Koch-Instituts (RKI), Sabine Glasmacher. 2018 sei man aber auf 543 Fälle gekommen. 929 waren es im Jahr davor. Und als Rekordhalter seit Einführung der Meldepflicht gelten die Jahre 2015 mit 2465 und 2013 mit 1768 Masernfällen.

Die Maßnahmen des Präventionsgesetzes seien zwar „ein Schritt in die richtige Richtung“ gewesen, resümiert Lauterbach. Sie brächten aber zu wenig. Es sei besorgniserregend, dass man das Problem von immer wieder auftretenden Masernausbrüchen nicht in den Griff bekomme. „Eine Impfpflicht wäre wichtig“, so der Experte. Um sie durchzusetzen, könne er sich auch Sanktionen vorstellen.

Lauterbach appelliert an Ärztekammern und die Grünen

Gleichzeitig appellierte Lauterbach an die Ärztekammern, gegenüber Impfkritikern in den eigenen Reihen massiver aufzutreten. Wer sich mit ärztlicher Autorität unwissenschaftlich zu Impffragen äußere, müsse standesrechtlich sanktioniert werden, forderte er. Und auch die Grünen dürften sich „nicht wegducken“. Da sich in der Klientel dieser Partei besonders viele Impfgegner befänden, erwarte er von ihren Politikern deutlichere Ansagen. „Das Engagement der Grünen für Impfungen ist viel zu schwach“, so Lauterbach.

Grünen-Expertin Kordula Schulz-Asche, wies dies zurück. Dass sich ihre Partei gegen eine Impfpflicht wehre, habe damit zu tun, dass man dem Selbstbestimmungsrecht der Bürger höheren Wert beimesse, sagte sie dem Tagesspiegel. Die Impfempfehlungen des RKI seien aber „auch für Menschen nachvollziehbar, die der Pharmaindustrie misstrauen“. Und die gesellschaftliche Solidarität gebiete es ebenfalls, sich impfen zu lassen.

RKI-Präsident: Aufsuchende Impfangebote wären hilfreicher

Dass das zu viele unterließen, sei vor allem auf zweierlei zurückzuführen, meint die Grünen-Politikerin. Es fehle an guter, zielgruppengerechter Beratung. Und das Impfen der ganzen Familie beim Arzt sei vielen zu aufwändig. Helfen könnten hier aufsuchende Offerten des öffentlichen Gesundheitsdienstes in Kitas, Schulen und Betrieben. Oder eine Möglichkeit, sich auch in Apotheken impfen zu lassen.

Auch der Präsident des Robert-Koch-Instituts hält wenig von einer Impfpflicht gegen Masern. Zum einen erreiche man dadurch nicht die Hauptproblemgruppe ungeimpfter Erwachsener, argumentierte Lothar Wieler schon vor eineinhalb Jahren in der "Ärzte-Zeitung". Zum andern stoße man damit Skeptiker vor den Kopf. Masernausbrüche seien nur mit mehr Engagement zu verhindern. Dazu gehörten auch mehr Mittel für die Gesundheitsämter.

Mehrheit der Bürger für eine Impfpflicht

Unter den Bürgern gibt es eine klare Mehrheit für eine generelle Impfpflicht. Nach einer repräsentativen Befragung der Schwenninger Krankenkasse vom Dezember 2018 befürworten 77 Prozent eine solche Vorgabe für bestimmte Personengruppen – allen voran für Kleinkinder im Krippen- oder Kindergartenalter (87 Prozent), Schulkinder (81 Prozent) und Säuglinge (73 Prozent). In den neuen Bundesländern liegt die Quote bei 86 Prozent, im Westen bei 75 Prozent.

Lediglich für Erwachsene überwiegt die Skepsis, hier sind nur 39 Prozent für eine Impfpflicht. Auf Krankheiten bezogen finden die Bürger vor allem Impfungen gegen Tetanus (88 Prozent), gegen Kinderlähmung (75 Prozent) und gegen Masern (69 Prozent sinnvoll). Es folgen Röteln (67 Prozent), Mumps, und Diphterie (jeweils 66 Prozent), FSME (53 Prozent), HPV (50 Prozent) und Grippe (38 Prozent).

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