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Politik: Warten auf ein Visum

Ob in Moskau, Schanghai oder London – deutsche Auslandsvertretungen verfehlen europäische Vorgaben.

Berlin - Wer als Nicht-EU-Bürger nach Deutschland will – von Berufs wegen, als Touristin oder um Verwandte zu besuchen – muss weiter lange warten, und sei es, um auch nur einen Termin zu bekommen. In ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag hat die Bundesregierung eingeräumt, dass in deutschen Visastellen in weltweit sieben Metropolen, etwa Moskau, Schanghai und London, die Vorgaben des europäischen Visakodex nicht eingehalten werden. Dieser sieht für die Terminvergabe eine Wartezeit von höchstens zwei Wochen vor.

Auch der Einsatz privater Dienstleister verstößt nach Ansicht der Linken gegen die europäischen Visaregeln. Der Kodex akzeptiert diese Auslagerung konsularischer Dienste nur als „letztes Mittel“; die Bundesregierung setze sie aber ein, um Personal einzusparen. „Statt die Auslandsvertretungen ausreichend personell auszustatten und die Visaerteilung zu vereinfachen, bürdet die Bundesregierung den Reisenden die Mehrkosten der Privatisierung auf“, erklärte dazu die migrationspolitische Sprecherin der Linken, Sevim Dagdelen. Nach Angaben des Auswärtigen Amts ist vorgesehen, wegen der 2012 weltweit gestiegenen Nachfrage die deutschen Konsulate bis zum Sommer um 49 eigene Mitarbeiter aufzustocken.

Auf Visa-Erleichterungen warten vor allem die Wirtschaft und binationale Familien schon lange. Die Vergabepraxis behindert Verwandtenbesuche und den Tourismus, sowie Kontakte zwischen Geschäftsleuten. Auch die Kanzlerin hat dies eingeräumt. Nachdem der Ostausschuss der deutschen Wirtschaft sich in Berlin beklagt hatte, stellte der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses 2011 einen fraktionsübergreifenden Antrag dazu in Aussicht. Doch den gibt es nach wie vor nicht. Die EU-Kommission stellte im November 2012 fest, dass Visa-Erleichterungen bis 2015 bis zu 60 Milliarden Euro Mehreinnahmen und eine halbe Million zusätzlicher Arbeitsplätze in EU-Europa schaffen könnten.

Tim Gerber, Visa-Experte des Verbands binationaler Familien (iaf), kennt das Problem von der anderen Seite: Großeltern, die es trotz früher Anträge nicht rechtzeitig zur Geburt der Enkelin schaffen, Verwandte, die von Familienfeiern ausgeschlossen sind. Und Wartezeiten nicht von Wochen, sondern von Monaten. Das Grundproblem, sagt Gerber, sei der Personalmangel der deutschen Auslandsvertretungen. „Der besteht im Grunde, seit der Eiserne Vorhang gefallen ist.“ Das Auswärtige Amt bemühe sich sehr, aber die Ressourcen fehlten. „Auch deswegen werden die externen Dienstleister eingesetzt, die ihre Kosten auf die Antragsteller abwälzen können.“

Das rechne sich für Reisende, die fern vom nächsten deutschen Konsulat lebten und so Reisekosten einsparten. „Wer in Moskau lebt, dem bringt das aber gar nichts.“ Gerber wünschte sich mehr Visa, die mehrere Jahre gültig sind. Das würde nicht nur viel Bürokratie sparen, sondern auch die Visastellen entlasten. Wessen Bonität und guter Wille zur Rückkehr einmal festgestellt seien, den müsse man nicht immer wieder zwingen, einen neuen Antrag zu stellen. Doch da stehe die deutsche Innenpolitik auf der Bremse. Unsinn, meint Gerber: „Wer illegal hier bleiben will, braucht dazu kein Mehrjahresvisum.“ Schleuser und Kriminelle bekämpfe man nicht nicht mit restriktiver Visa-Vergabe.

Hoffnungszeichen gibt es: Deutsche Auslandsvertretungen haben nach Auskunft des Auswärtigen Amts 2012 etwas mehr als 326 000 mehrjährige Visa erteilt – das waren 37 Prozent mehr als 2011 und knapp ein Fünftel aller weltweit ausgestellten deutschen Visa. Andrea Dernbach

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