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Politik: Warten und Können

Von Stephan-Andreas Casdorff

Ein Jahr ohne Matthias Platzeck als Vorsitzender der SPD bedeutet: ein Jahr mit Kurt Beck. Und es bedeutet hundert Jahre SPD, gefühlte jedenfalls. Beck als Vorsitzender der deutschen Traditionspartei, das ist etwa so wie ein Gang durch die Mainzer Innenstadt. Die hat sich wieder verschönert, keine Frage, und es gibt auch den Dom mit seinen wunderbaren Fenstern, aber so richtig aufregend ist das nicht. Dass Beck in dieser Stadt regiert, passt. Passt er auch zur Bundespolitik?

Er passt insoweit zur SPD, als Beck – nach Platzeck – die Rückkehr zum vertrauten Westdeutschen war. Zu dem Teil Deutschlands, der sich eingerichtet hat, wie sich auch die Sozialdemokratie lange in der Westrepublik eingerichtet hatte. Ihr Mauerfall kam ironischerweise politisch erst mit Gerhard Schröder. Der nahm der SPD als Vorsitzender und der Bundesrepublik als Bundeskanzler die Gewissheit, dass alles so weitergehen könne wie gewohnt. Er riss die Fenster auf und ließ den Wind des Wandels hinein. Und vergaß nicht, im Wahlkampf 2005, die Fenster auch wieder zu schließen, auf dass sich neue Wärme in der sozialdemokratischen Stube ausbreiten konnte. In diese Stube passt Beck. Besser als Platzeck.

Nicht, dass Beck gemütlich wäre. In diesem einen Jahr hat er gezeigt, dass er das ganze Repertoire des Spitzenpolitikers beherrscht. Da soll niemand an seiner Kompetenz zweifeln, es bekäme ihm schlecht. Diese unterschwellige Drohung läuft immer mit. Außerdem ist Beck als versierter Gremienpolitiker in der Lage, sich im Parteivorstand durchzusetzen, und sei es auf Umwegen. Das hat man in der alten Republik und in der alten SPD gelernt. Platzeck konnte das so nicht.

Kurt Beck hat nur ein Jahr gebraucht, um die Partei im Griff zu haben. Mit ihm herrscht weitgehend Ruhe. Der SPD tut das gut, einerseits. Sie kann ihre Wunden ausheilen lassen, die die vielen Wechsel an der Spitze hinterlassen haben. Andererseits fehlt der Partei die Anziehungskraft, wie die vielen Parteiaustritte zeigen und die niedrigen Umfragewerte, die noch dazu soeben wieder gefallen sind. Darin sitzt Potenzial für neue Unruhe.

Im Westen der Republik, wo der starke Teil der SPD zu Hause ist, erinnern sich die Genossen gern daran, dass die Partei dann ihre stärksten Ergebnisse in Wahlen erzielte, wenn sie programmatisch wurde und sich darüber stritt. Das eine, das Programmatische, fehlt, weil ihr neues Programm immer noch nicht fertig und auch wenig zur glänzenden Kontroverse geeignet ist. Das andere, der Streit, kommt dagegen von ganz allein. Im zweiten Jahr Beck wird es um die Frage gehen: Wie links ist die SPD?

Dabei geht es nicht um die eine große neue Idee, die die Partei ersehnt und sicher auch dringend braucht, sondern viel profaner um Sachpolitik. Die Unternehmensteuerreform ist in vorliegender Form eine Provokation für diejenigen, die es bei den Sozialdemokraten mit der Linkspartei aufnehmen und ihr die Wähler und die Sympathien in den Gewerkschaften nehmen wollen. In der Sozialpolitik ist es eine Reform der Pflegeversicherung, in der Außenpolitik sind es die Einsätze der Bundeswehr in aller Welt, die die Linke beunruhigen. Und nicht nur die. Das alles zusammen genommen verursacht Reibungshitze. Auch mit einem Vorsitzenden, der ein Erz-Sozialliberaler ist.

Noch dazu punktet Bundeskanzlerin Angela Merkel während der deutschen EU- und der G-8-Präsidentschaft in einer Weise für sich und die CDU, dass jeder Versuch der SPD, jetzt die große Koalition zu verlassen, ein Fehler wäre. Umgekehrt wäre es eher möglich. Die SPD hat kein großes Thema, das sie der Union entgegenhalten könnte, sie hat keinen Glanz, ist als Partei nicht beliebter. Beck ist es auch nicht.

Was bleibt, ist nach einem Jahr: Warten. Das kann Kurt Beck, das zeigt sein Lebensweg, wo das Amt zum Mann kam. Er hat das Amt, die Ungeduldigen in der Partei zu beschwichtigen und bestimmt schon mal die Richtlinien der Politik in der SPD. Das ist die halbe Miete.

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