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Politik: Warum die Unterlagen kein Beweismittel sein dürfen - auch nicht gegen Kohl (Kommentar)

Der neue Streit um die Stasi-Akten hat zwei Seiten - mindestens. Zum einen ist da die journalistische Aufarbeitung dessen, was die Akten über Helmut Kohls Spendenaktivitäten sagen.

Der neue Streit um die Stasi-Akten hat zwei Seiten - mindestens. Zum einen ist da die journalistische Aufarbeitung dessen, was die Akten über Helmut Kohls Spendenaktivitäten sagen. Das ist geschehen und - vorerst - erledigt. Zum zweiten, und darin besteht eine neue Qualität, taucht nun die Frage auf, ob die Erkenntnisse der Stasi auch juristisch Verwendung finden dürfen.

Zwei Positionen stehen sich hier gegenüber: Die einen halten die Nutzung der Stasi-Protokolle für möglich - und sei es, weil sie glauben, dass sie möglich sein müsste -, die anderen möchten sie am liebsten in den Giftschrank sperren, weil sie auf kriminelle Weise gewonnen worden sind. Die zweite Seite betrifft das, was diese Akten aufwirbeln: Haltungen, Deutungen, Versuchungen. Die werden uns noch schwer im Magen liegen. Denn da trifft die Debatte neuralgische Stellen unseres öffentlichen Bewusstseins.

Denn es bleibt natürlich ein schlimmes Attentat auf alle rechtsstaatlichen Maßstäbe, wenn die Stasi-Unterlagen nun sozusagen zum Reserve-Material für Ermittlungen werden, aus dem man sich je nach Bedarf bedienen kann. Die Causa Kohl ist da nur ein Exempel. So wie wir die Stasi kennen gelernt haben, so manisch fleißig, borniert genau, liegt es auf der Hand, dass mit dieser Affäre die Praxis nicht enden wird, der Gerechtigkeit - oder das, was jemand dafür hält - mit Stasi-Akten nachzuhelfen. Sie hat, leider, auch nicht mit ihr angefangen. Die Büchse der Pandora, ist sie einmal offen, bekommt man - man weiß es - nicht wieder zu. Aber die Offenlegung der Stasi-Unterlagen, also die Durchbrechung der rechtsstaatlichen Regel, dass geheim gewonnene Erkenntnisse nicht als Beweismittel gegen irgendjemanden gelten können, hatte nicht den Zweck, den Ermittlern Material an die Hand zu geben.

Diese Offenlegung geschah zu einem einzigen Zweck: zur Entlarvung der Stasi-Spitzel und ihrer Helfer, zur Genugtuung ihrer Opfer, zur Trockenlegung des Sumpfes, der der Untergrund der SED-Herrschaft war. Sie geschah, zum Beispiel, auch nicht, um die Wahrheit über Helmut Kohls Finanzgebaren zu Tage zu fördern, so wünschenswert das wäre. Auch nicht, um ihn endlich einmal gehörig vorzuführen - so sehr das Vielen das Herz wärmen würde. Und so faszinierend es sein mag, zu erfahren, in welcher anrüchigen Tonlage die CDU-Granden miteinander und übereinander sprachen - auch zur Befriedigung solcher höheren, weil politisch geadelten Schaulust sind diese Akten nicht freigegeben worden. Wer sie so gebraucht, missbraucht sie.

Aber, so hört man besonders im Osten der Republik empört, schafft man damit nicht wieder zweierlei Recht in Deutschland? Jede Putzfrau im Osten habe die Stasi-Unterlagen gegen sich gelten lassen müssen - und gegen die Wessis sollen sie nicht verwendet werden können? Und es ist ja auch wahr, dass ungleich mehr Menschen im Osten von Stasi-Vorwürfen getroffen worden sind als im Westen. Der Grund dafür ist jedoch nicht die Unfairness des Westens, der mit zweierlei Maß misst, sondern es sind die Folgen der unterschiedlichen Vergangenheit. Der Osten war dem Zugriff der Stasi preisgegeben, im Westen operierte sie sozusagen in Feindesland. Natürlich kann es weder für Kohl noch für sonst einen Wessi ein Sonderrecht geben. Aber dieses fundamentale Ungleichgewicht zwischen Ost und West würde auch dann nicht ins Gleichgewicht kommen, wenn man ein politisches Schwergewicht wie Helmut Kohl auf die westliche Waagschale packte.

Vermutlich ist es dieser Punkt der Debatte, der politisch am tiefsten geht. Denn der Stasi-Streit verstärkt die Kluft, die ohnedies zwischen Osten und Westen besteht - in allen Lebensbereichen, vor allem aber im Selbstverständnis der Menschen in den neuen Ländern. Es ist diese subtile Kränkung, die diese Argumentation zum Selbstläufer macht: Weshalb müssen wir Ossis uns fortwährend rechtfertigen? Weshalb sind nicht auch einmal die Wessis dran? Doch man kann ein Unrecht nicht durch ein neues Unrecht heilen. Auch ausgleichende Ungerechtigkeit bleibt Ungerechtigkeit.

Die ganze Debatte ist sehr bedenklich. Auf dem Boden der alt-bundesrepublikanischen Auseinandersetzungen lässt die Aussicht, Kohl einer Untat zu überführen, die Hoffnung sprießen, es müsse wenigstens in diesem Fall möglich sein, dass der Zweck sich die Mittel zurechtbiegt. Den Schaden hat das Rechtsbewusstsein. Auf der Ebene der deutsch-deutschen Befindlichkeiten führt der Streit dazu, dass sich die Ost- und West-Empfindlichkeiten weiter aufschaukeln. Den Schaden haben wir alle. Höchstens kann man hoffen, der Streit werde - im Gegenzug - zu einem Wandel des Umgangs mit den Stasi-Unterlagen im Osten führen.

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