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Politik: Warum politische Oppositionsarbeit in Kolumbien kaum möglich ist

Junge Frauen und Männer in olivgrünen Uniformen schlendern durch die Straßen von San Vicente del Cagußn. Verschlafen liegt das Städtchen im kolumbianischen Amazonasbecken.

Junge Frauen und Männer in olivgrünen Uniformen schlendern durch die Straßen von San Vicente del Cagußn. Verschlafen liegt das Städtchen im kolumbianischen Amazonasbecken. Seit einem halben Jahr haben hier die Revolutionären Streitkräfte (Farc) das Sagen. Zu Jahresbeginn überließ Präsident Andrés Pastrana der größten Guerilla des Landes ein Gebiet von der Größe der Schweiz, um den Weg für Friedensverhandlungen frei zu machen. Seither gehören San Vicente und vier weitere Gemeinden der Region zu den sichersten Orten Kolumbiens, wo ansonsten politische Morde und kriminelle Gewalt an der Tagesordnung sind. Früher starben allein in der 20 000-Seelen-Gemeinde jede Woche sechs Menschen eines unnatürlichen Todes.

Das offizielle Kolumbien tut sich schwer mit dem Staat im Staate. Schon vor Einrichtung der Entspannungszone lancierte die Presse Horrorszenarien über Ausgangssperren, Zwangsabgaben und Alkoholverbot. Ohne Zweifel ist das Regiment der Guerilla streng. Jüngst wurden elf Menschen von einem Revolutionsgericht zum Tode verurteilt und hingerichtet. Anklagepunkt: Vorbereitung paramilitärischer Überfälle. Der danach erfolgte landesweite Aufschrei, die Rechtsstaatlichkeit sei durch das Urteil gebrochen worden, ist vom humanitären Standpunkt berechtigt, doch wirkt er in Kolumbien eher heuchlerisch. Gerne rühmt sich das Land seiner demokratischen Verfassung, aber Demokratie und Rechtsstaat stehen nur auf dem Papier. Die Todesstrafe ist offiziell abgeschafft, doch seit Menschengedenken wird sie von den Ewigmächtigen tagtäglich praktiziert. Linke Oppositionelle, Verfechter der Menschenrechte, aufmüpfige Bauern und Indianer, sie alle stehen auf der Liste von Killern oder Todesschwadronen.

Allein in den letzten vier Jahren wurden mehr als 2900 Gewerkschafter ermordet. Nur vordergründig besteht in Kolumbien ein demokratisches System. Ziviler politischer Widerstand ist schlichtweg unmöglich. Den Versuch, eine Oppositionspartei aufzubauen, bezahlte die Farc-Guerilla mit einem hohen Blutzoll. Mehr als 4000 Mitglieder ihres politischen Armes Unión Patriótica (UP) wurden kaltblütig erschossen. Kaum einer dieser Morde wurde ernsthaft untersucht.

So unbehelligt wie seit jeher die Todesschwadrone agieren heute auch paramilitärische Banden. Sie arbeiten eng mit der in Verruf geratenen Armee zusammen und nehmen ihr die Dreckarbeit ab. Zwei Drittel der jährlich mehr als eine Viertelmillion vertriebenen Kolumbianer gehen auf das Konto der "Paras". Ihr bekanntester Anführer, Carlos Castaño, stammt aus dem Stall des ehemaligen Drogenzars Pablo Escobar, dem Chef des Kartells von Medellín. Ein offenes Geheimnis ist nicht nur die enge Verbindung der paramilitärischen Banden zur Armee, sondern auch zur vierten Kraft im Staate, der Drogenmafia. Mit seinen unvergleichlich hohen Gewinnspannen übt der Rauschgifthandel einen ungeheuren Sog aus. Alle gesellschaftlichen Bereiche sind durchdrungen, die Volkswirtschaft lebt von Drogengeld. Zur Aufbesserung der Bilanzen wird die Koka- und Mohnproduktion mittlerweile in den Staatshaushalt aufgenommen. Auch die Farc profitiert, indem sie von den Händlern Steuern kassieren. Vom wichtigsten Zwischenhändler hat sich Kolumbien mit einer Anbaufläche von 100 000 Hektar zum größten Produzenten Lateinamerikas gemausert.

30 000 Menschen sterben Jahr für Jahr an den Folgen von Gewalt. Nur jeder Zehnte aber, das wird oft übersehen, verliert sein Leben in bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Armee, Guerilla und Paramilitärs. Die allermeisten Opfer gehen auf das Konto von Bandenkriegen, Streitigkeiten und gewöhnlicher Straßenkriminalität. Die Zerschlagung der großen Drogenkartelle von Medellín und Cali hat die Szene unkontrollierbar gemacht. Armut und Arbeitslosigkeit wachsen. Waffen gibt es im Überfluss, viele sind im Umgang geübt. Ein Menschenleben kostet nur ein paar Mark.

Dennoch steht für viele Kolumbianer das Bürgerkriegsproblem an erster Stelle. Eine halbe Million Menschen gingen kürzlich in Medellín auf die Straße. Sie demonstrierten für Frieden, gegen Gewalt und Entführungen. 1400 Menschen befinden sich im Gewahrsam von Aufständischen oder Paramilitärs, über 1500 wurden im Laufe dieses Jahres verschleppt. Die ELN-Guerilla sorgte in den letzten Wochen durch spektakuläre Entführungen für Aufsehen. Die Kolumbianer werden ungeduldig. Weder haben die von Präsident Pastrana gestarteten Friedensgespräche mit der Farc richtig begonnen, noch sind Verhandlungen mit der ELN in Gang gekommen.

Jens Holst

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