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Was auf dem Spiel steht: Der Euro ist in die Jahre gekommen

Seit Europas Schuldenkrise wird wieder über den Nutzen der Gemeinschaftswährung diskutiert. Wie hat Deutschland von ihr profitiert?

Wenn die Staats- und Regierungschefs der EU am Donnerstag in Brüssel zum Gipfel zusammenkommen, dann steht erneut die Euro-Krise im Mittelpunkt. Vordergründig wird es unter anderem darum gehen, einen dauerhaften Krisenmechanismus für die Euro-Zone ab 2013 ins Werk zu setzen. Aber die Gipfelteilnehmer wollen auch die Märkte beruhigen – und die Bürger. Vor allem die Deutschen fragen sich angesichts der Rettungsaktionen für Griechenland und Irland sowie der Diskussion um europäische Gemeinschaftsanleihen, ob sie ohne den Euro nicht besser dastünden.

Wie hat sich das Wachstum im vergangenen Jahrzehnt entwickelt?

Die Erwartung, dass der im Jahr 1999 als Buchgeld eingeführte Euro zu mehr Wirtschaftswachstum führen würde, erfüllte sich in der ersten Hälfte des zurückliegenden Jahrzehnts nicht. Deutschland galt in den ersten Jahren der Dekade als „sick man of Europe“ – als kranker Mann Europas. In diesen Jahren war die öffentliche Debatte hierzulande geprägt von Vokabeln wie „Reformstau“ und der Furcht vor dem Zurückfallen hinter die ausländische Konkurrenz. Während Deutschland zwischen 1999 und 2007 im Schnitt nur jährliche Wachstumsraten von 1,5 Prozent vorweisen konnte, priesen Ökonomen das Beispiel Irlands. Der „keltische Tiger“ machte mit durchschnittlichen Wachstumsraten von 6,5 Prozent von sich reden – Wachstum, das zum Teil auf Sand und riskante Finanzgeschäfte gebaut war, wie den Investoren inzwischen schmerzhaft klargeworden ist.

Inzwischen redet niemand mehr vom keltischen Tiger – umso mehr aber von der europäischen Wachstumslokomotive Deutschland. Nach der Herbstprognose der EU-Kommission, die Währungskommissar Olli Rehn im November vorstellte, wird für Deutschland im laufenden Jahr ein Wachstum von 3,7 Prozent und 2011 von 2,2 Prozent vorausgesagt. Rehn hofft nun darauf, dass Deutschland auch andere EU-Länder mitziehen kann.

Dass Deutschland zur Wachstumslokomotive wurde, hat allerdings nicht direkt etwas mit der Euro-Einführung zu tun. Erst im Jahr 2006 kehrte Deutschland auf den Wachstumspfad zurück – das Ergebnis gesunkener Lohnstückkosten, jahrelanger Lohnzurückhaltung der Arbeitnehmer und grundlegender Umstrukturierungen in den Unternehmen. Schließlich führte auch die von Ex-Kanzler Gerhard Schröder (SPD) im März 2003 verkündete „Agenda 2010“ zu einer Flexibilisierung des deutschen Arbeitsmarktes.

Was bedeutet der Euro für die deutsche Exportwirtschaft?

„Was den Export anbelangt, ist der Euro ein Segen“, sagt Volker Treier. Der Chefvolkswirt beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag führt drei Gründe dafür auf, dass die Gemeinschaftswährung die deutsche Wirtschaft beflügelt hat. Erstens hätten Firmen in anderen Mitgliedsländern der Euro-Zone nicht mehr von der Abwertungspolitik ihrer Regierungen profitieren können, die vor der Einführung des Euro üblich war und ihnen einen Vorteil gegenüber den deutschen Konkurrenten verschaffte. Zweitens seien die Transaktionskosten für die Unternehmen weggefallen – die Wechselkurse mussten nicht mehr permanent abgesichert werden. Und die deutschen Firmen hätten verstärkt die Kostenvorteile an anderen Standorten im Euro-Raum genutzt – beispielsweise bei der VW-Motorenfertigung in der Slowakei.

„Der Anteil unserer Exporte in den Euro-Raum ist gestiegen“, bilanziert Treier die Erfahrungen der deutschen Wirtschaft mit der Gemeinschaftswährung. Wie stark Deutschlands Stellung als größte Exportmacht unter den Euro- Staaten ist, belegen Zahlen der Deutsche Bank Research. 2009 betrug der Wert der deutschen Exporte in die Euro-Zone 345 Milliarden Euro. Damit exportierte Deutschland mehr in den Euro-Raum, als dessen übrige Länder jeweils weltweit ausführten – mit Ausnahme der Niederlande, die 2009 Waren im Wert von insgesamt 355 Milliarden Euro exportierte.

Dabei hängen die deutschen Ausfuhren nicht nur am Euro-Raum. Den Exporteuren kommt zugute, dass der Euro nicht so stark ist, wie es die D-Mark heute vermutlich wäre – der Effekt verbilligt nicht zuletzt Exporte in Fremdwährungsländer. 2009 ging der größte Teil der deutschen Exporte – 57 Prozent – in Länder außerhalb der Euro-Zone. Andere Euro-Staaten wie Belgien, die Niederlande, Luxemburg, Portugal oder Spanien konzentrieren ihren Export viel stärker auf die Partnerländer der Gemeinschaftswährung.

Ist die Inflation durch den Euro gestiegen?

Nein. Zwar hat der Statistikprofessor Hans Wolfgang Brachinger nachgewiesen, dass die „gefühlte Inflation“ – also Preissteigerungen bei Gütern des täglichen Bedarfs – nach der Einführung des Euro-Bargeldes Anfang 2002 im Geldbeutel durchaus spürbar war. Unterm Strich gilt aber, dass in der Euro-Zone bislang keine höhere Inflation geherrscht hat als zu D-Mark-Zeiten. Zwischen 1999 und 2007 lagen die Inflationsraten auf dem Gebiet der Währungsunion im Schnitt bei 2,0 Prozent, in Deutschland sogar nur bei 1,6 Prozent. Zwar mag die D-Mark-Periode bei vielen heute nostalgische Gefühle wecken – mit Blick auf die damalige durchschnittliche Inflationsrate sind sie aber fehl am Platz. Die betrug nämlich in D-Mark-Zeiten im Schnitt 2,8 Prozent und lag damit über dem heutigen Wert. Allerdings ist die Europäische Zentralbank keineswegs absolute Spitze, wenn es um die Überwachung der Preisstabilität geht: Zwischen 1999 und 2007 waren die Inflationsraten in Großbritannien (1,6 Prozent) und der Schweiz (0,9 Prozent) niedriger als im Euro-Raum.

Wie hat sich das Zinsniveau entwickelt?

Vor der Einführung des Euro hatte Deutschland gegenüber anderen Staaten in Europa den Vorteil eines besonders niedrigen Zinsniveaus. Damit konnten sich Unternehmer billiger Geld leihen als ihre europäischen Konkurrenten. Euro-Gegner kritisieren, dass Deutschland diesen Vorteil mit der Einführung der Gemeinschaftswährung abgeben musste: Auf einmal waren sämtliche Mitglieder der Euro-Zone Niedrigzinsländer. Während für Griechenland, Spanien oder Irland die plötzliche Zinssenkung wie ein Konjunkturprogramm wirkte, fand sich Deutschland plötzlich in einem härteren Wettbewerb um Investoren wieder. Mit dem Verlust des Zinsvorteils lässt sich auch die deutsche Wachstumsschwäche zu Beginn des zurückliegenden Jahrzehnts erklären.

Beruhigend für Investoren ist immerhin, dass in Deutschland die Realzinsen, die sich aus der Geldpolitik der Europäischen Zentralbank ergeben, seit der Einführung des Euro in der Tendenz gesunken sind. Die langfristigen Realzinsen bewegten sich zwischen 1999 und 2007 mit ein bis zwei Prozentpunkten unter denen der letzten zehn Jahre, in denen es in Deutschland noch die D-Mark gab.

Nicolaus Heinen, Ökonom bei Deutsche Bank Research, weist aber darauf hin, dass auf den Kapitalmärkten die Zinsen auf zehnjährige deutsche Staatsanleihen in den vergangenen Wochen „in der Erwartung einer Transferunion“ gestiegen sind. Eine Transferunion hätte zur Folge, dass Staaten mit höherer Bonität wie Deutschland Krisenländern an der Peripherie der Euro-Zone helfen – beispielsweise durch die Einführung gemeinsamer Euro-Bonds. „Die Transferunion liegt in der Luft, aber keiner weiß genau, wie sie aussehen wird“, sagt Heinen.

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