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Teilnehmer einer Kundgebung am Samstag in Chemnitz.

© Monika Skolimowska/dpa

Was Chemnitz lehrt: Deutschland muss um seine Kultur kämpfen

Mit Unzufriedenen zu diskutieren ist anstrengend. Doch wir sollten es tun. In Schulen, Kirchen, Kneipen müssen wir für unser Land streiten. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Ingrid Müller

Wer sind wir eigentlich? Und wenn, wie viele? Diese Fragen stehen in diesen Tagen mit den beunruhigenden Bildern aus Chemnitz im Raum. Mit Magendrücken guckt nicht nur die eigene Republik auf die Zahl derjenigen, die offenbar die Grenzen der Verfassung sprengen wollen. Schon ist zu hören, die bösen Deutschen seien wieder da.

Doch was sagt der Blick auf Zahlen? Rein statistisch ist es so: Deutschland geht es gut, die Arbeitslosigkeit ist niedrig, die Steuereinnahmen hoch. Auch wahr ist: 12,6 Prozent wählten die AfD in den Bundestag, seit Jahren sagen Forscher, dass bis zu 20 Prozent extrem rechtem Gedankengut anhängen. Das heißt auch: Die Mehrheit denkt anders. Oder kippt die Lage gerade? Mancher mag die Bilder der vielen, vielen Menschen so deuten, die am Wochenende wieder in Chemnitz mit Ausgrenzungsparolen unterwegs waren. Oder macht sich die oft zitierte Wut vieler nur durch eine Minderheit radikal bemerkbar? Viele haben gehofft, dass die Gegendemonstranten in Chemnitz in der Mehrheit sein mögen. Sie hoffen, dass die Menge der Besucher beim Konzert am Montag ein deutliches Signal gegen Rechts und für das Recht sein wird.

Bilder sind mächtig. Deshalb ist es wichtig, dass diejenigen, die für die Demokratie einstehen, zu sehen sind. Doch Köpfe zählen auf Demonstrationen oder Konzerten allein bringt nicht weiter. Wir müssen uns stärker damit befassen, was die einen dorthin treibt, warum andere nirgends dabei sind. Sind sie nur bequem oder haben sie Angst?

Es ist leider mal wieder an der Zeit, unsere Demokratie und unsere Grundwerte aktiv zu verteidigen. Unsere Vormütter und Vorväter haben z.T. ihr Leben riskiert um dem Naziterror die Stirn zu bieten. Möge es nicht umsonst gewesen sein.

schreibt NutzerIn gophi

Es geht ums Zusammenleben, das Miteinander, nicht das Gegeneinander. In aufgeheizter Atmosphäre ist das nicht einfach, zumal es viel um Gefühle geht. Wer Angst hat, Opfer einer Straftat zu werden, trotz guten Jobs die Miete nicht mehr zahlen oder sich im Alter sein Leben nicht mehr leisten zu können, den wird niemand mit guten Wirtschaftszahlen beruhigen. Wer sich hilflos fühlt und die eigene Sicherheit – die physische, aber auch die wirtschaftliche – in Gefahr sieht, sucht Halt. Was treibt die Frau, die in Chemnitz nicht zum rechten Lager gerechnet werden will, aber „Deutschland, den Deutschen“ ruft? Ist sie eine überzeugte Rechte oder läuft sie nur einer Gruppe hinterher, die ihr scheinbar einfache Lösungen anbietet? Dass Franziska Giffey in Chemnitz des Todesopfers gedacht hat, war wichtig und richtig. Symbole sind nötig, so wie auch das Konzert. Das muss aber in dauerhafte Dialoge münden. Ein Gefühl des „Wir gehören zusammen“ entsteht nicht durch Gesten.

Deutschland muss um seine Kultur kämpfen, ja. Um die der Anteilnahme, der Toleranz, der demokratischen Auseinandersetzung. Dazu gehört, dass der Staat die Gesetze durchsetzt. Aber es kommt auch auf jede und jeden an. Zur Demonstration für gesellschaftlichen Frieden zu gehen, kann ein Zeichen sein. Vor allem aber: Diskussionen mit Unzufriedenen sind anstrengend, doch wir alle sollten sie führen, ohne Schaum vor dem Mund, damit alle Halt finden. Politiker müssen den Menschen zeigen, dass sie wichtig sind. In Schulen, Kirchen, Kneipen müssen wir für unser Land streiten. Das kann kein Teil allein stellvertretend für den Rest tun, nur vereinte Kräfte. Versichern wir uns unserer Demokratie. Köpfe zählen ist das eine, Köpfe gewinnen geht darüber hinaus. Keine Angst davor!

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