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Die sozialen Netzwerke leben von der Werbung - aber deren Logik darf nicht die Debatten in demokratischen Gesellschaften bestimmen.

© Lionel BONAVENTURE / AFP

Was der Digital Services Act der EU leisten muss: Hetze darf sich nicht lohnen

Die Politik sollte das werbungsbasierte Geschäftsmodell schärfer regulieren. Denn die Zukunft unserer Demokratie wird im Netz entschieden. Ein Gastbeitrag.

Renate Künast ist Bundestagsabgeordnete von Bündnis90/Die Grünen. Sie war Verbraucherministerin und Fraktionsvorsitzende ihrer Partei im Bundestag.

Ob rechtsterroristische Anschläge, Angriffe auf demokratische Institutionen oder Hasskampagnen gegen Aktivist*innen, Journalist*innen und Politiker*innen – überall spielt Radikalisierung und Vernetzung im Netz eine wichtige Rolle.

Dieses Netz liegt in wesentlichen Teilen in den Händen weniger Großkonzerne, und damit eine enorme gesellschaftliche Verantwortung.

Facebook zum Beispiel hat knapp drei Milliarden Nutzer*innen. Die neuesten Enthüllungen durch die Whistleblowerin Frances Haugen zeigen: Facebook weiß um diese Verantwortung, ordnet sie aber systematisch Profitinteressen unter.

Die Luft für Facebook wird dünn. Drei Jahre nach den Enthüllungen von Chris Whylie offenbaren nun die Facebook-Files, dass Facebook eigene Forschungserkenntnisse zu schädlichen Auswirkungen von Instagram auf junge Mädchen hat, sie aber ignoriert und unter Verschluss hält.

Dazu kommt, dass der Moderationsalgorithmus bewusst polarisierende Inhalte priorisiert und Facebook Nutzer*innen in zwei Klassen einteilt. Solche mit extrem hoher Reichweite, wie Politiker*innen oder Prominente, dürfen fast alles sagen, während andere bei Verstößen gegen die Community Rules - den „Hausregeln“ - sanktioniert werden.

Donald Trump konnte jahrelang ungehindert Hass verbreiten

So konnte Donald Trump über Jahre ungehindert Hass und Desinformation verbreiten. Dabei richten Posts von reichweitenstarken Accounts den größten Schaden an! Wieder und wieder wurden auch hier öffentliche und parlamentarische Forderungen zur besseren Bekämpfung von Hass und Desinformation abgewiesen oder die Verstärkung der Schutzmaßnahmen nach der US-Wahl schnell zurückgenommen, obwohl eine massive Kampagne des Anzweifelns des Wahlergebnisses betrieben wurde. Es endete mit dem Sturm auf das Kapitol am 6. Januar. Wir wissen um rechtsextreme Online-Netzwerke auch in Deutschland.

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Worauf also warten wir? Facebook wird seine Methoden nicht freiwillig beenden, weil Emotionen Klicks, Aufregung und weitere Klicks auslösen. Das ist gut für die Schaltung von Werbung – der Kern des Geschäftsmodells. Dies muss reguliert werden.

Das seit 2017 existierende Netzwerkdurchsetzungsgesetz hilft da nur wenig, denn es erzwingt Handeln nur für strafbare Inhalte nach Meldung der Nutzer*innen. Die Weitergabe ans BKA gilt wegen handwerklich schlechter Arbeit der Bundesregierung erst ab Februar 2022. Zudem läuft auch noch eine Klage gegen einzelne Regelungen. Und die Community Rules werden nur in Einzelfällen gerichtlich überprüft.

Wir wissen also längst, dass das Kernproblem im werbebasierten Geschäftsmodell und der weltweiten Quasi-Monopolstellung von Facebook liegt. Statt der heutigen Unternehmenskultur muss das politische Ziel heißen: People over Profit! Damit meine ich sowohl das Wohl der individuellen Nutzer*innen, als auch der Gesellschaft und damit unserer Demokratie.

Das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz ist zu schwach

Politisch müssen wir uns dafür einsetzen, dass es bald – besser und breiter als das deutsche NetzDG - einen starken Digital Services Act für die gesamte Europäische Union gibt. Das muss ein scharfes Schwert werden. Es braucht umfassende Nutzer*innenrechte, aussagekräftige Transparenzpflichten und starke Aufsichtsstrukturen. In einem Entwurf für den Digital Services Act hieß es, dass die Plattformen den Nutzer*innen verständlich zugänglich machen, welche Faktoren die Empfehlungen leiten und es auch die Möglichkeit gibt, als Nutzer*in diese Parameter anzupassen. Auch Microtargeting als Werbepraxis gilt es stark zu regulieren. Denn darüber werden auch Desinformationen und Hass gezielt an dafür empfängliche Personengruppen ausgespielt. Und wir brauchen bindende Kooperationsvorgaben für die Plattformen, damit mehr unabhängige Forschung entsteht.

Margrethe Vestager, EU-Wettbewerbskommissarin und geschäftsführende Vizepräsidentin der Kommission für Europe Fit for the Digital Age.
Margrethe Vestager, EU-Wettbewerbskommissarin und geschäftsführende Vizepräsidentin der Kommission für Europe Fit for the Digital Age.

© Piotr Nowak/dpa

Facebook hat häufig Desinformation, beispielsweise durch Querdenken-Accounts, ignoriert und erst wenn der gesellschaftliche Druck zu hoch wurde, in einem Rundumschlag Gruppen gelöscht und Accounts gesperrt. Konzerne können natürlich auch Hausregeln aufstellen und Inhalte löschen. Was auf jedem analogen Marktplatz zulässig ist, ist es auch auf den digitalen Plätzen. Aber: transparente Verfahren und Kriterien sind ebenso erforderlich. Genau das fürchtet Facebook, denn öffentlich bekannte Kriterien ermöglichen öffentliche Debatten und Rechtfertigungszwang bei Nichthandeln.

Bürger sollten in Social-Media-Räten vertreten sein

Wir stehen vor der Frage: Wie kann eine demokratische Debattenkultur aussehen, die die Meinungsfreiheit schützt, aber auch die Persönlichkeitsrechte und insbesondere den Schutz Jüngerer effektiv gewährleistet? Die Antwort auf diese Frage dürfen wir nicht den finanziellen Interessen von Facebook und Co überlassen. Die Beteiligung der Zivilgesellschaft, beispielsweise durch Social-Media-Räte aus Experten, Vertreter von betroffenen Gruppen und ausgelosten Bürger*innen, wäre demokratischer als das von Facebook selbst ernannte Oversight Board.

Hass und Hetze dürfen sich nicht wirtschaftlich lohnen. Insbesondere Jugendliche dürfen nicht allein gelassen werden mit der Wucht und harschen Kritik, die die Plattformen entfalten (können). Von allein wird sich nichts Wesentliches ändern. Das sehen wir an den aktuellen Andeutungen, man wolle per Nudging („take a break“ oder Neuausrichtung der Algorithmen für Jugendliche auf weniger Politik) die Teenager schützen. Ich finde: das reicht nicht.

Großer Dank gilt den Whistleblower*innen, deren Leben durch den Schritt an die Öffentlichkeit nicht einfacher geworden ist. Und ein rechtlicher Hinweis: die noch im Amt befindliche Bundesregierung hat auch die Umsetzung der Whistleblower-Richtlinie in deutsches Recht verschlampt. Ein Vertragsverletzungsverfahren steht vor uns. Wir müssen Whistleblower*innen aber schützen, um an Informationen zu gelangen. Auch das ist angesichts globaler Monopole ein notwendiges Werkzeug, um endlich die Menschen vor die Profite zu stellen. Irgendwann ist es zu spät.

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