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Politik: Was hat der Kanzler zu sagen?

SCHRÖDERS MISERE

Von Bernd Ulrich

Am 22. September haben die Deutschen den Kontrakt mit Gerhard Schröder erneuert. In den sechs Wochen danach hat er diesen Kontrakt gebrochen – so jedenfalls empfinden es die meisten. Sicher liegt in der Wut der Bürger auf den Kanzler auch etwas Ungerechtes und Selbstgerechtes. Aber wiederum nicht so viel, dass der die Schuld für die tiefe Vertrauenskrise nicht zuerst bei sich suchen müsste. So oder so, es zählt das Ergebnis. Und das lautet: Die Deutschen sind mit diesem Kanzler durch. Fast.

Wenn er noch eine Chance haben will, bevor die Wähler ihn und die SPD am 2. Februar heimsuchen, dann muss er morgen damit beginnen: Generaldebatte, und alles schaut auf den müden Mann aus dem Kanzleramt. Seine Rede wird von Bedeutung sein – wenn sie gut und wenn sie schlecht ist. So oder so. Dieser Prüfung kann er nicht ausweichen.

Nur was kann er überhaupt noch sagen? Drei wichtige Genossen stimmten zu Beginn dieser Woche schon den Ton an. Franz Müntefering, Olaf Scholz und Peter Struck haben einen roten Faden gefunden, der das desperate Regierungshandeln verständlich machen könnte. Ein sehr roter Faden: Scholz sagt, die Renten seien in diesem Jahrzehnt nicht reformbedürftig. Struck will bei der Bundeswehr die Personalstärke erhalten und dafür weniger neues Gerät anschaffen, nach dem Motto, alle sind beschäftigt und nichts geht mehr. Müntefering schließlich will die Steuern erhöhen und wird dabei programmatisch – weniger Geld für den Bürger, mehr für den Staat. Die Drei sozialistischen Reiter schlagen also vor, auf Globalisierung und deutsche Krise mit mehr Staat zu reagieren, sie wollen einen SPDVerdi-Rentner-Staat. Versuchen sie, den Kanzler damit vor seiner Rede einzumauern?

Wenn man es einmal ganz unpolemisch nimmt, lautet ihre These: Noch schlanker werden kann der Staat nicht, und wollen wir mehr für Bildung, die innere Sicherheit und den Osten ausgeben, muss die Staatsquote steigen. Das allerdings würde aus dem Mund des Kanzlers eine echte Debatte auslösen. Eine solche Rede morgen im Bundestag, und die Unübersichtlichkeit wäre vorbei. Ob das jedoch dem Kanzler nützen würde, ist fraglich. Selbst wenn eine Mehrheit in einem solchen SPD-Staat leben wollte, so will sie es doch nicht wissen wollen, weil es ihrem Selbstbild widerspricht.

Von anderen wird dem Kanzler seit Wochen eine Blut-Schweiß-und-Tränen-Rede nahe gelegt. Darin steckt viel Krisenkitsch und übertriebenes Pathos, denn er spricht ja zu einem Volk, dessen Bruttoinlandsprodukt noch nie so hoch war wie heute; er spricht in einem Land, das für die übergroße Mehrheit nach wie vor ein sehr wohlhabendes ist. Lässt man aber das Blut und die Tränen weg, so bleibt immer noch der Schweiß. Und es bleibt die Wahrheit, die er sagen könnte: Die Deutschen werden sich für einen längeren Zeitraum mehr anstrengen müssen und dafür nicht mehr materiellen Wohlstand bekommen, sondern höchstens mehr Freiheit, mehr Mut, mehr Eigeninitiative und die Gewissheit, dass es insgesamt nicht länger in die falsche Richtung läuft. Durch eine solche Wahrheitsrede, die auf die mittlere Frist zielt, könnte der Kanzler die Bürger vielleicht über die aktuelle Misere hinwegtrösten.

Dazu müsste Schröder jedoch die drei Arbeitshypothesen über Bord werfen, die er sich passend zu seinen Neigungen angeeignet hat: 1. Reformieren kann man in dieser Verbände- und Konsensgesellschaft allenfalls punktuell, dann, wenn etwas richtig schief gegangen ist. Das ist seine Unfalltheorie. 2. Man kann den Bürgern vor Wahlen die Wahrheit nur in ganz zarten Andeutungen nahe bringen – das Flunker-Theorem. 3. Mittelfristigkeit, Sinn, Visionen, eine Grundmelodie – alles Gedöns, und wenn es das gerade mal nicht ist, dann bin jedenfalls ich der Falsche, Reden dieser Art vorzutragen. Das ist die Gedöns-Theorie.

Und das sind die Schatten, über die der Kanzler springen müsste, damit man ihm wieder glaubt. Am schwersten dürfte es ihm fallen, über seinen eigenen zu springen, das Heil diesmal nicht in irgendeiner Tat zu suchen, sondern in einer Orientierung. Schröder müsste sich wandeln. Wenn er das kann, ist es gut. Wenn nicht, dann wird er früher oder später abgewählt, vom Volk oder von der SPD. Das ist ja das Geile an der Demokratie.

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