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Der Anschlag auf die Synagoge von Halle/Saale hat blutig klar gemacht, wie groß das Problem Antisemitismus in Deutschland ist.

© Lino Mirgeler/dpa

Was hilft gegen Antisemitismus?: Der Kampf gegen Judenhass sollte Staatsziel werden

Es gibt viel Unsicherheit im Umgang mit antisemitischen Parolen und Symbolen, was zu falschen Reaktionen führt. Es besteht Präzisierungsbedarf. Ein Gastbeitrag.

- Susanne Krause-Hinrichs ist Geschäftsführerin der F. C. Flick-Stiftung aus Potsdam

So hat es die Bundeskanzlerin formuliert: „Es stimmt, Rassismus und Antisemitismus waren nie verschwunden. Doch seit geraumer Zeit treten sie sichtbarer und enthemmter auf.“ Sie sagte das am Dienstag beim Festakt zum 70. Bestehen der Jüdischen Gemeinde in Berlin. Die Frage ist: Wo finden wir noch Möglichkeiten und Handlungsspielraum, dem Antisemitismus etwas Substantielles entgegensetzen zu können?

Bund und fast alle Bundesländer haben inzwischen Verantwortliche für das jüdische Leben und die Bekämpfung des Antisemitismus benannt, die Recherche- und Informationsstelle Antisemitismus arbeitet inzwischen bundesweit vernetzt, Workshops, Bildungsprojekte, zivilgesellschaftliche Initiativen und eine Reihe neuer Publikationen sensibilisieren eine breitere Öffentlichkeit.

Was fehlt, sind rechtliche Grundlagen für eine effiziente Bekämpfung von Antisemitismus. Ohne klare Vorgaben gibt es keine wirksame Bekämpfung von Antisemitismus. Die als Staatsziel im Grundgesetz zu verankern könnte Abhilfe schaffen.

In der Rechtswirklichkeit gibt es derzeit erhebliche Unsicherheiten im Umgang mit antisemitischen Straftaten. In Gesetzen und Vorschriften ist zum Thema Antisemitismus wenig bis gar nichts zu finden. Diese Definitionen müssen erst erarbeitet und in der folgenden Rechtsprechung bestätigt werden. Wenn etwa Polizeibeamte und Ordnungsbehörden nicht rechtssicher einschätzen können, ob die bei Demonstrationen verwendeten Parolen oder Symbole antisemitischen Charakter haben, ist es fast unmöglich, angemessen und rechtssicher zu handeln.

Im Strafgesetzbuch gibt es bisher keine eigene Definition für antisemitische Straftaten. Paragraph 185 StGB Beleidigung und Paragraph 130 StGB Volksverhetzung sind die Tatbestände, die am häufigsten greifen – aber eben auch nicht oft. Ob das Verbrennen israelischer Flaggen, das Anstiften zu Angriffen auf jüdische Restaurants und dezidierte Schmähungen und Hassreden im Netz strafrechtliche Konsequenzen haben, ist daher unsicher. Straftatbestände sind aus guten Gründen eng auszulegen, doch gerade deshalb besteht hier dringlicher Präzisierungsbedarf.

Ein Beispiel: Wenn während der so genannten „Corona-Demonstrationen“ Menschen mit gelbem Stern und der Aufschrift „nicht geimpft“ marschieren, ist das eine Verhöhnung der Opfer der Shoah. Es muss im öffentlichen Interesse sein, so etwas zu verhindern und zu ahnden – und eine Verfolgung über eine Anzeige wegen Beleidigung greift sicher zu kurz.

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Als einen ersten Erfolg in Richtung Rechtssicherheit könnte man die Ergänzung in der Strafzumessungsregelung in Paragraph 46 Absatz 2 des StGB um antisemitische Beweggründe als Beispiel für menschenverachtende Tatmotive bewerten. Gleichwohl bleibt das Dilemma, dass es einer umfassenderen und grundsätzlicheren Entscheidung bedarf. Ob eine Richtlinie für Staatsanwälte Ausführungen zu antisemitischen Handlungen oder Symbolen enthält oder Ordnungsbehörden Versammlungen mit eindeutig antisemitischem Charakter verhindern, darf nicht dem Zufall überlassen bleiben.

Auch im Bildungsbereich besteht Regelungs- und Aufklärungsbedarf. Wer nicht versteht, woher Antisemitismus kommt, wie er aussieht und wie man ihm begegnet, kann auch nichts gegen ihn ausrichten. Lehrer und Schulleiter zeigen sich zum großen Teil überfordert, Antisemitismus zu erkennen und ihm angemessen zu begegnen.

Grundgesetz-Artikel 3 reicht nicht aus

In den Lehrplänen und in den Vorgaben für Lehrerausbildungen finden sich bisher allenfalls rudimentäre Ansätze, um die Lehrkräfte für die schwierige Aufgabe der Antisemitismusprävention zu wappnen. Ein als Staatsziel gefasster Wirkungsauftrag könnte dieses Versäumnis zukünftig verhindern.

Eine wirksame Strategie im Kampf gegen Antisemitismus ist sowohl aus der historischen Verantwortung geboten, als auch wegen der historischen Entwicklung. Das rassistische Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes ist als Instrument unzureichend, weil Antisemitismus kein Unterfall des Rassismus ist. Er ist ein mindestens zwei Jahrtausende altes komplexes immer wieder religiös und kulturell aufgeladenes pathologisches Gesellschaftsphänomen.

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Die Arbeitsdefinition zum Antisemitismus der Internationalen Allianz für Holocaust-Gedenken (IHRA) war bereits 2017 Gegenstand eines Kabinettsbeschlusses und mehrerer Befassungen auch im Bundestag. Sie lautet: „Antisemitismus ist eine bestimmte Wahrnehmung von Juden, die sich als Hass gegenüber Juden ausdrücken kann. Der Antisemitismus richtet sich in Wort oder Tat gegen jüdische oder nicht-jüdische Einzelpersonen und/oder deren Eigentum, sowie gegen jüdische Gemeindeinstitutionen oder religiöse Einrichtungen.“

Es ist gut eine solche Definition zu haben, doch ohne rechtliche Anbindung hängt sie in der Luft und kann keine oder nur geringe Wirkung entfalten. Die Definition erfasst auch nur schwach, dass es sich bei Antisemitismus eben nicht um ein nur „Juden betreffendes Phänomen“ handelt. Der antisemitische Verschwörungsmythos von einer unglaublich mächtigen kleinen Gruppe, den Juden, die die Welt beherrscht, ist eine Bedrohung des freiheitlichen Rechtsstaates und der Demokratie, denn sie erzeugt perfide Ressentiments, die in der Folge zu Gewalt, Terror und Verfolgung folgen können. In Artikel 20 und 20a des Grundgesetzes sind die Staatsziele als Prämissen für einen zukunftsfähigen demokratischen Staat geregelt. Hier könnte auch eine entsprechende Regelung sinnvoll ergänzt werden.

Susanne Krause-Hinrichs

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