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Politik: Was ist falsch an einem Irak-Krieg, Herr Clement?Warum der SPD-Bundesvize das Vorgehen seines Kanzlers verteidigt

Herr Clement, macht der Wahlkampf Spaß? Ich finde ihn jetzt spannend und er hat sehr an Dynamik gewonnen.

Herr Clement, macht der Wahlkampf Spaß?

Ich finde ihn jetzt spannend und er hat sehr an Dynamik gewonnen. Ich kann nicht sagen, dass ich darüber unglücklich wäre.

Vor ein paar Wochen noch hat keine Umfrage der Regierung Schröder eine wirkliche Chance gegeben. Was hat sich geändert?

Ich vermute, dass die TV-Duelle einen starken Mobilisierungseffekt hatten. Seither ist vieles klarer, was die Themen angeht und die Personen, und Gerhard Schröder hat unübersehbar die Führung übernommen.

Außenpolitik als Wahlkampfschlager?

Die Frage von Krieg und Frieden ist existenziell. Wir alle spüren, wie schon die internationale Diskussion jedes Unternehmen und jeden Arbeitsplatz betreffen kann. Dieses Thema hat für uns alle eine Riesenbedeutung.

Auch wenn er den Nerv der Wähler trifft: Ist es außenpolitisch und innerhalb der EU klug, so laut „Nein“ zu einem Irak-Krieg zu sagen, wie Gerhard Schröder es tut? Was, wenn der Krieg kommt?

Man muss das in dieser Deutlichkeit sagen. Und man muss auch daran erinnern, dass Krieg wirklich nur ein allerletztes Mittel ist, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgereizt sind. Da wecken Sätze wie der, man wolle die Hintermänner des 11. September „tot oder lebendig“, in Europa Zweifel, ob wirklich alle anderen Chancen ausgelotet worden sind, einen Diktator wie Saddam Hussein in die Schranken zu verweisen. Außerdem: Selbst wenn die Operation gelänge – die militärischen Risiken kann ich nicht beurteilen – was käme danach? Die Lage im arabischen Raum wird unbeherrschbar. Darüber diskutiert man doch auch in Amerika und deshalb sind wir in einer Phase, in der auf den Meinungsbildungsprozess Einfluss genommen werden kann und muss. Deshalb ist es richtig und wichtig, dass und wie der Kanzler und der Außenminister die deutsche Position vertreten, öffentlich wie in ihren Gesprächen mit dem französischen Präsidenten oder dem amerikansichen Außenminister oder mit dem UN-Generalsekretär.

Deutschland ist selbst innerhalb der EU allein mit seiner harten Absage an Washington.

Das sehe ich nicht so. Die meisten Regierungen der EU warnen vor einem amerikanischen Alleingang im Irak. Die Rede von Präsident Bush vor den Vereinten Nationen könnte signalisieren, dass er dies nicht ignoriert.

Was kann die SPD, was kann die Regierung in der letzten Woche vor der Wahl noch falsch machen?

Wir haben jetzt den Schlussspurt, und wie bei einem Lauf dürfen Sie sich da nicht einmal mehr umdrehen. Wir liegen um Brustweite vorn, wir kriegen das aber bloß hin, wenn wir jetzt nicht zurückzucken: Die Menschen müssen wissen, dass wir damit beginnen, etwa die Vorschläge der Hartz-Kommission umzusetzen, und zwar in allen Facetten. Und wir müssen klar machen, dass nach der Wahl andere große Reformvorhaben mit eben solcher Energie weiter betrieben werden. Da geht es um den Arbeitsmarkt, aber auch um das Gesundheitswesen oder die föderale Verfassung.

Und die meisten Reformen werden weh tun. Was daran ist Stoff für den Wahlkampf?

Man kann es den Wählern erklären. Wir müssen beispielsweise weg von dem Gedanken, dass der Staat für alle Bedürfnisse immer aus dem Stand zur Verfügung stehen kann. Nehmen Sie die Steuerreform: Die war wichtig und richtig. Aber wenn wir Bürger und Unternehmen entlasten, dann wird es enger, dann heißt das auch, dass staatliche Leistungen nicht mehr überall in bisheriger Dimension erbracht werden können. Entweder mehr Geld in der Tasche oder mehr Leistungen vom Staat. Wir haben auch in unserem Land jahrzehntelang immer Neues eingefügt, Altes aber kaum angetastet. Das kann nicht so bleiben. Das macht sich natürlich auch bei unseren Entscheidungen zum Haushalt - gelegentlich durchaus schmerzhaft - bemerkbar. Und auch die - notwendige - Föderalismusreform wird noch spannend.

Das ist ein Feld, das seit Jahren mit wenig Erfolg beackert wird. Wie soll sich das ändern?

Die finanzstarken Länder sind sich in dieser Frage grundsätzlich einig…

Aber ankommen tut es auf die ärmeren. Haben Sie denen etwas angeboten für einen Kompromiss?

Wir haben Angebote gemacht, und wir haben auch positive Signale. Das kann sehr wohl gelingen.

Wie sieht das Angebot aus?

Natürlich geht es ums Geld und die Sorge der finanzschwachen Länder, etwa beim Abbau von Mischfinanzierungen zu verlieren.

Und wie soll das Bund-Länder-Verhältnis am Ende aussehen?

Die föderalen Strukturen, so wie sie jetzt sind, sind zweifellos eine Bremse für Veränderungen in Deutschland geworden. Neben einer Finanzreform müssen wir die Gesetzgebungszuständigkeiten ändern, das heißt in erster Linie, dass die Zahl der zustimmungspflichtigen Gesetze dringend reduziert werden muss. Der beständige Druck auf Bundestag und Bundesrat, sich zusammenzuraufen, macht uns weithin bewegungsunfähig. Und wir müssen das öffentliche Dienstrecht ändern. Im öffentlichen Dienst darf der Bund nur noch eine Grundsatzkompetenz haben. Auf dem Bildungssektor ist das geltende öffentliche Dienstrecht längst zum größten Reformproblem geworden. Da müssen wir ran.

Sie haben im Zusammenhang mit der Steuerreform davon gesprochen, dass der Staat nicht mehr stets zur Verfügung stehen darf. Gilt das auch für große Firmen, die in Schwierigkeiten sind, für Holzmann oder Babcock?

Das sind völlig unvergleichbare Fälle. Und Holzmann hat auch kein Staatsgeld gekostet. Die Intervention des Kanzlers hat aber eine Atempause geschaffen, in der sich die kleinen und mittelständischen Zulieferer von Holzmann retten konnten. Und was Babcock angeht, da bin ich froh, dass wir in dieser äußerst schwierigen Situation des Unternehmens zu einem Insolvenzverfahren in Eigenverwaltung gekommen sind und auch dass wir die Chance haben, die weitaus meisten Arbeitsplätze zu retten. Wir begleiten das mit Bürgschaften, der Bund vermutlich auch.

Also wenn Unternehmen marode sind, darf der Staat weiter eingreifen?

In solchen Fällen müssen wir – wenn es eine Chance zur Rettung von Arbeitsplätzen gibt – eingreifen. Der Staat darf aber nicht selbst unternehmerische Entscheidungen fällen. Das ist zum Beispiel in München bei Kirch geschehen. Da wurde ein Unternehmen vor allem mit Milliardenkrediten der bayerischen Landesbank hochgeblasen. Die Folge sind die große und viele kleine Insolvenzen.

Die Reformen, die Sie sich für die nächste Legislaturperiode im Bund wünschen, kann die diese Koalition schaffen? Ihrer eigenen rot-grünen Koalition in Düsseldorf haben Sie kürzlich attestiert, sie habe keine Strahlkraft mehr. War das auch auf die in Berlin gemünzt?

Nein, das galt für uns hier. Wir sind in der Mitte der Legislaturperiode und wir brauchen die zweite Luft. Aber das schaffen wir.

Ihre Empfehlung ist „ Reformen weiter treiben mit großer Energie“. Weiter so - das klingt ja fast wie ein Plädoyer für Rot-Grün in Berlin?

Ja, und?

Schröder behält eine seit vier Jahren eingespielte Mannschaft und und muss sich nicht den Unwägbarkeiten einer neuen Konstellation aussetzen.

Richtig. Daran gibt es, wenn die Wähler entsprechend entscheiden, keinen Zweifel.

Im Moment sieht es ja danach aus. Haben Sie eine Erklärung dafür, dass die Sympathiewerte dieser Regierung, die 1998 ziemlich holpernd startete, dann Tritt bekam, vor einem halben Jahr so drastisch abrutschte?

Da wurde gehörig Stimmung zu Lasten der Regierung Schröder gemacht. Die Wirtschaftsverbände haben alles getan, sie herunterzureden. Ich persönlich ertrage es kaum noch, wenn deshalb die zweitstärkste Wirtschaftsmacht als Krisenherd karikiert wird, wenn uns Finnland als leuchtendes Beispiel vorgehalten wird, wo die Steuerbelastung in der Spitze bei etwa vierundfünfzig Prozent liegt.

Sie wollen uns aber nicht einreden, die Wirtschaft könne das Wählerpotential von SPD und Grünen umdrehen! Keine eigenen Fehler?

Doch, sicher auch das.

Welche?

Ich habe ja schon gesagt: Jetzt ist der Blick nach vorn gerichtet und nicht zurück.

Eines ist dem Bundestagswahlkampf auf jeden Fall gelungen: Vom nordrhein-westfälischen Spendensumpf spricht niemand mehr.

Das liegt auch daran, dass wir gehandelt haben und handeln.

Was denn? Sie und der SPD-Landesvorsitzende Schartau haben öffentlich versprochen, es würden Köpfe rollen. Es ist bisher niemand geschasst worden.

Das ist, wie Sie wissen, ein Irrtum.

Ein einziger Funktionär …

Es laufen ja noch einige Verfahren. Und gerade in Köln sehen wir jetzt, wie die Jüngeren das Ruder in die Hand genommen haben.

Wann wird das in der Bundespartei der Fall sein?

Da mache ich mir keine Sorgen. Wir haben Führungsreserven, die Leute sind schon da und in Ämtern, auch in Parteiämtern.

n?

Wir haben Sigmar Gabriel, den niedersächsischen Ministerpräsidenten, Matthias Platzeck in Brandenburg, wir haben Harald Schartau, Wolfgang Tiefensee, den Oberbürgermeister von Leipzig, die baden-württembergische Parteichefin Ute Vogt …

Nachfolger für Schröder dabei?

Darüber reden wir in ein paar Jahren.

Sigmar Gabriel hat in einem Tagesspiegel-Interview einmal gesagt, er beneide Wolfgang Clement um seine Figur und um seinen Weitblick. Können Sie ein Kompliment zurückgeben?

Sigmar Gabriel ist ein politisches Urtalent und außerdem sehr sympathisch.

Werden die Alten früh genug aufhören, damit die Jungen rankönnen?

Davon können Sie ausgehen.

Ihre Prognose für den 22. ist natürlich …

…dass wir gewinnen werden.

Wagen Sie auch eine weiter gehende Prognose? Herbert Wehner prophezeite, ganz richtig, der SPD 1982 eine lange Oppositionszeit. Sehen Sie unter Schröder oder nach ihm, eine rote Neuauflage der langen Ära Kohl?

Die Wähler sind nicht mehr so lange zu binden, Sie sehen es ja an den großen Ausschlägen der Umfragen. Auch Kohl hätte sich ohne die Einheit so lange nicht gehalten. Die Einheit war ja auch ein ausgesprochener Glücksfall für ihn.

Mit Clement sprachen Andrea Dernbach und Jürgen Zurheide.

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