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Politik: Was ist uns die Freiheit wert, Frau Birthler? Die Stasi-Beauftragte kritisiert deutsche Reaktionen auf Saddams Sturz

und vergleicht den 17. Juni 1953 mit der Französischen Revolution

Frau Birthler, beeindrucken Sie die Berichte über Iraker, die nun in Gefängnissen oder Zentralen der Sicherheitsapparate die Hinterlassenschaften der Diktatur erkunden, unter der sie so lange gelitten haben?

Ja. Mich berührt das tief. Wer auch nur einen Funken von Menschenliebe in sich hat, kann nicht ungerührt zur Kenntnis nehmen, dass im Irak nun das Foltern ein Ende hat, dass Menschen frei kommen, dass sie keine Angst mehr um sich und ihre Angehörigen haben müssen.

Verbinden Sie persönliche Erlebnisse mit diesem Land, mit diesem Krieg?

Aus persönlichen Gesprächen mit ExilIrakern weiß ich, dass sie, wie viele andere Menschen auch, hin und her gerissen waren in ihrer Haltung zum Krieg. Als dann die Bomben fielen, brach meine irakische Bekannte in Tränen aus, weil sie fast zerrissen wurde zwischen der Hoffnung, dass Saddam stürzen würde, und der Angst um ihre Angehörigen.

Fühlten Sie sich auch hin und her gerissen?

Ja. Einerseits hatte ich Probleme mit den Demonstrationen gegen diesen Krieg, andererseits hielt ich einen Militäreinsatz unter den gegebenen Bedingungen für falsch. Und so sehr ich mich heute über den Ausgang des Krieges freue, bin ich hinsichtlich künftiger Konflikte besorgt.

Haben die Deutschen gewürdigt, dass die Iraker in Folge dieses Krieges die Freiheit von einer Diktatur feiern können?

Ich habe den Eindruck, dass die Deutschen überhaupt Probleme mit der Freiheit haben – auch in ganz anderen Zusammenhängen als mit Blick auf den Irak.

Was vermissten Sie konkret in der Reaktion Ihrer Mitbürger auf den Irak-Krieg?

Sagen wir es so: Ich hätte ein entspannteres Verhältnis zu den vielen Demonstrationen gehabt, wenn auch Protestzüge vor die irakische Botschaft gezogen wären.

Sie und Ihre Mitarbeiter sind Spezialisten für die Aufarbeitung und Bewältigung einer Gewaltherrschaft. Kann die deutsche Erfahrung im Irak nützlich sein?

Ich bin zunächst zurückhaltend, denn die Verhältnisse sind sehr verschieden, und man muss sich hüten, allzu schnell Analogien herzustellen. Aber ich bin davon überzeugt, dass es für eine Gesellschaft von sehr großer Bedeutung ist, die Vergangenheit rekonstruieren zu können. Um dazu später die Möglichkeit zu haben, müssen die Iraker sofort anfangen, die Beweise zu sichern. Es ist enorm wichtig, dass die Dokumente der Sicherheitsdienste geborgen und vor Verlust oder Missbrauch geschützt werden. Man braucht sie, um später Vorgänge nachzeichnen zu können, Opfer zu rehabilitieren oder Täter zur Verantwortung zu ziehen. Die Iraker haben im Moment sicher andere Sorgen als Archive aufzubauen oder vielleicht Institutionen, die sich der Aufarbeitung widmen. Aber mein Rat wäre, jetzt wenigstens die Akten zu sichern, bevor sie unwiederbringlich verloren sind .

Wären Sie denn auch praktisch bereit, mit Ihren Möglichkeiten den Irakern zu helfen?

Ich könnte mir das vorstellen, wenn wir darum gebeten werden. Wir haben mit der Auswertung durchaus vergleichbarer Unterlagen viel Erfahrung und haben mit unserer Arbeit auch andere Transformationsländer in Mittel- und Osteuropa inspiriert und unterstützt. Wenn im Irak über Fragen der Aufarbeitung nachgedacht wird, sollten wir einen Erfahrungsaustausch anbieten.

Könnte die Aussicht auf eine spätere Aufarbeitung helfen, aktuelle Spannungen in der Umbruchszeit abzubauen?

Natürlich sind Menschen in der aufgeheizten Stimmung des Umbruchs auch in der Versuchung, sich zu rächen. Es hilft, Gewalt zu verhindern, wenn mit Hilfe von Gerichtsverfahren Menschen zur Rechenschaft gezogen und Sanktionen ausgesprochen werden können. Auch dazu braucht man im übrigen die Dokumente, die aus der Zeit der Diktatur überliefert sind.

Können die Iraker den Abschied von der Diktatur alleine bewältigen oder brauchen sie dabei Unterstützung von außen?

Ich will auf die Aufarbeitung der ersten deutschen Diktatur verweisen: Die Nürnberger Prozesse, in denen die Hauptverantwortlichen zur Rechenschaft gezogen wurden, haben sowohl die Verbrechen der Nationalsozialisten ins öffentliche Bewusstsein gebracht als auch einen Begriff davon vermittelt, wie Unrecht mit rechtsstaatlichen Methoden verfolgt werden kann. Dies wäre ohne die Amerikaner nie möglich gewesen. Bei allen Unterschieden zwischen dem Deutschland von 1945 und dem heutigen Irak ist manches doch vergleichbar. Ich meine, dass es für die Iraker ganz ohne Hilfe von außen kaum möglich ist, die Täter auf rechtsstaatliche Weise zur Rechenschaft zu ziehen. Aber sie sind in der Mitverantwortung. Die Amerikaner sollten jeden Ansatz unterstützen, bei dem irakische Bürgerinnen und Bürger die Hinterlassenschaften der Diktatur aufarbeiten wollen. Sie sollten auch helfen, Unterlagen zu bergen und zu sichern.

Das Ende der Nazi-Diktatur liegt bald 60 Jahren zurück. Haben die Deutschen in dieser Zeit nicht gelernt, die Freiheit zu schätzen?

Denktraditionen und kulturelle Prägungen halten sich über Generationen. Für die Amerikaner hat der Freiheitsbegriff eine stärkere Bedeutung als für die Deutschen. Freilich wird Freiheit auch von den Deutschen geschätzt. Wenn sie aber gefragt werden, ob sie für mehr Sicherheit und soziale Gerechtigkeit gegebenenfalls auch Einbußen an Freiheit hinnehmen würden, dann ist nach Umfragen eine Mehrheit dazu gern bereit.

Obwohl es das Jahr 1989 gab, scheint die Freiheit in den neuen Bundesländern noch weniger geachtet als im Westen.

Die westdeutsche Gesellschaft hat in den Jahren nach 1968 eine beträchtliche Entwicklung hin zu mehr Emanzipation und Selbstbestimmung genommen, während es in der DDR nichts Vergleichbares gab. Unter den Bedingungen der Diktatur ist die Freiheit erstickt worden. Außerdem sind zwischen 1945 und 1989 vier Millionen Menschen von Ost nach West gegangen. Einer der wesentlichen Gründe für ihre Flucht war der Wunsch nach Freiheit, die vielen wichtiger war als Hab und Gut, die heimatliche Umgebung oder die bisherige soziale Sicherheit. Dadurch hat der Osten Deutschlands vor allem jene Menschen verloren, für die die Freiheit besonders wichtig ist.

Besonders nach dem 17. Juni 1953, der sich nun bald zum 50. Mal jährt, wollten noch mehr in den Westen. War der Tag für die, die blieben, eine Warnung?

Natürlich hat die Erinnerung an den Aufstand auf viele lähmend gewirkt. Manche Zeitzeugen meinen heute, daß die Erfahrungen des 17. Juni sie auf Dauer vorsichtig gemacht hätte. Sie seien gebrannte Kinder gewesen, weil sie erlebt hätten, dass sich Auflehnen nicht lohnte. Aber für manche war das vielleicht auch nur eine bequeme nachträgliche Begründung für ihr Schweigen.

Hätten die Menschen in der DDR nicht auch stolz sein können auf diesen Tag?

Das waren sie leider nicht. Noch nicht einmal die Opposition der achtziger Jahre achtete dieses Datum. Ich schäme mich nachträglich dafür.

Woher kam dieses Missverständnis?

Ich kann es mir nur so erklären, dass die Legendenbildung der SED auch in meiner Generation wirkte. In der Schule wurde uns gesagt, es sei ein faschistischer, reaktionärer Putsch gewesen. Und im Westen wurde dieser Feiertag während der Zeit des Kalten Krieges auch instrumentalisiert. Die Bürgerbewegung der späten DDR stand außerdem in engem Kontakt mit der linken Opposition im Westen – und für die war der 17. Juni ein reaktionäres Datum.

Haben sie noch Erinnerungen an dieses reaktionäre Datum?

Ja. Ich war damals zwar erst fünf Jahre alt, aber ich erinnere mich sehr gut, wie angespannt aufgeregt meine Eltern damals waren. Wir wohnten in Berlin-Friedrichshain in der Warschauer Straße, und ich habe noch ganz deutlich vor Augen, wie mein Vater in der Wohnung auf- und ablief. Es war schon Sperrstunde, Ausnahmezustand, und meine Mutter war unterwegs, weil sie eine Freundin besuchen wollte. Sie kam dann endlich – und berichtete weinend, was sie gesehen und gehört hatte. Das hat sich mir tief eingeprägt: die Verzweiflung zu Hause. Und die Panzer.

Haben Sie mit Ihren Eltern darüber geredet?

Meine Mutter hat mir als Kind erklärt, dass es damals um die Freiheit ging und sie alle gehofft hätten, dass nun alles besser wird. Doch diese Hoffnungen seien von den Panzern kaputtgemacht worden. Für meine Mutter waren die Russen schuld. Aber in der Schule wurde uns eben etwas anderes erzählt. All diese Bilder passten nicht zusammen, und vielleicht war das der Grund, das wir das Thema nicht mehr angefasst haben. Irgendwann kam das Buch von Stefan Heym dazu…

der Roman „5 Tage im Juni“…

…genau, der hat wenigstens nicht alles auf faschistische Drahzieher und westliche Agenten und Provokateure geschoben. Aber Heym zeigte auch nicht die historische Wahrheit. Für ihn war der 17. Juni im wesentlichen eine Rebellion aufgrund taktischer Fehler der Partei und Gewerkschaft. Das war auch nur eine Legende. Korrigiert oder auch nur diskutiert wurde das alles natürlich nie.

Bis heute nicht?

Ich habe den Eindruck, dass sich jetzt viel verändert. Anlässlich des Jahrestages interessiert sich die Öffentlichkeit für dieses Datum, nicht nur Wissenschaftler. Jetzt besteht die Chance dafür, dass die Gesellschaft diesen Tag als einen Schatz annimmt und bewahrt. Geschichte ist eine Ressource für Selbstbewusstsein und Stolz, das bildet sich langsam heraus. Vor einem Jahr, zum 49. Jahrestag, habe ich zusammen mit einigen Personen aus Politik und Kunst dazu aufgerufen, Straßen und Plätze nach Protagonisten des 17. Juni umzubenennen. Hier und da hat es Initiativen in dieser Richtung gegeben, insgesamt aber wenig.

Weil niemand die Helden des 17. Juni kennt?

Diese Revolution hatte keine bekannten Gesichter, das stimmt. Und Geschichte lässt sich am besten über Gesichter und Einzelschicksale erzählen. Aber ich merke, dass sich etwas entwickelt, dass sich die Menschen dieses Datum aneignen wollen. Das ist erfreulich – nicht zuletzt mit Blick auf das angeschlagene Selbstbewusstsein der Ostdeutschen. Immerhin haben sie zwei Revolutionen initiiert, eine wurde niedergeschlagen und eine war erfolgreich. Es macht schon einen Unterschied, ob der Osten nur Beitrittsgebiet ist oder ob sich die Ostdeutschen ihrer eigenen Freiheitsbewegungen bewusst sind.

Müsste dieser Tag dazu nicht erst einmal als Ereignis des ganzen Volkes angenommen werden?

Der 17. Juni war ein Volksaufstand, der bei den Arbeitern begonnen hat. Über eine Million Leute haben demonstriert, und zwar nicht nur wegen der Arbeitsnormen. Es ging um freie Wahlen, um Demokratie und um die Einheit. Es war ein demokratischer Volksaufstand, man könnte auch sagen, eine niedergeschlagene Revolution.

Bei der Französischen Revolution ging es am Anfang auch um die Brotpreise…

Und es waren – mit Verlaub – viel weniger Leute beteiligt. Im Juni 1953 gab es laut den neuesten Forschungserbnissen unserer Wissenschaftsabteilung Proteste in 701 Orten der DDR. Sagen wir mal so: In dieser Hinsicht konnte sich der 17. Juni neben der Französischen Revolution sehen lassen.

Das klingt, als seien sie doch zuversichtlich, dass die Deutschen irgendwann der Freiheit mehr Gewicht beimessen werden.

Ja, ich hoffe darauf. Mich persönlich hat geprägt, dass meine Mutter uns zur Freiheitsliebe erzogen hat. Während Friedenserziehung in aller Munde ist, scheint mir Freiheitserziehung zu kurz zu kommen. Wenn wir als Kinder unserer Mutter erzählt haben, was wir in der Schule über die Arbeitslosigkeit im Westen gelernt haben, über die Obdachlosen dort und die Drogensüchtigen, hat unsere Mutter kopfschüttelnd geantwortet: „Ach Kinder, ihr wisst eben nicht, was Freiheit ist, da kann man nicht alles verbieten." Und am Sonntagmittag wurde das Radio laut gedreht, da hörten wir die Freiheitsglocke vom Rathaus Schöneberg und den Satz: „Ich glaube an die Unantastbarkeit und die Würde eines jeden Menschen.“ Für meine Mutter war das wie ein kleiner Gottesdienst.

Das Gespräch führten Andrea Dernbach,

Robert Ide und Hans Monath.

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