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Politik: Was Schröder und Völler nervt

DIE KRITIK AN DER KRITIK

Von Bernd Ulrich

Nein, Patriotismus war es diesmal nicht, der die Politiker so jubeln ließ über das 2:1 der Deutschen gegen Schottland. Vielmehr war es die tief empfundene Freude darüber, dass Rudi Völler mit dem kleinen Arbeitssieg eine große Schlacht gegen den Marcel ReichRanicki des deutschen Fußballs gewonnen hat, gegen Günter Netzer und damit gegen alle Netzers dieser Welt.

So aus ganzem Herzen einig sind sich in dieser Woche der Kanzler und Guido Westerwelle, Rudi Völler, die Bundesliga und mindestens das halbe Volk gegen die Kritiker, gegen alle Kritiker, dass man sich fragen muss: warum bloß? Endlich mal, werden viele wohl denken, die selber auch nicht gern kritisiert werden. Jeder, der einmal in der Öffentlichkeit stand, dürfte die Erfahrung von Hilflosigkeit und Ausgesetztsein gemacht haben. Nur, woher kommt plötzlich diese kollektive Inbrunst? Sicher nicht aus dem, was Günter Netzer zum Islandspiel gesagt hat. Das war nüchterne Bewertung, er hat an jenem Abend seinen Job gemacht, nicht mehr. Woher dann?

Zunächst einmal: aus guten Gründen. Der Kritiker kritisiert für gewöhnlich nur, wird jedoch selbst kaum zur Rechenschaft gezogen für seine Bewertung. Kritik ist eine Einbahnstraße, da freuen sich alle, wenn Rudi Völler geisterfährt. Da ist aber noch etwas: Kritik ist in Deutschland unerbittlicher als anderswo, zielt mehr auf die Person, ist negativer, zieht mehr runter. Ein ganzes Genre beschäftigt sich, oft im Gewande der Nachrichtlichkeit, damit, nicht das zu analysieren, was jemand sagt, sondern nur nach dem Warum zu fragen. Aus den mutmaßlichen Motiven wird das niedrigste ausgesucht. Im Moment, da so vieles schief läuft in Deutschland, exkulpiert der Kritiker zudem sich selbst (sowie seine Leser und Zuhörer) nach dem Motto: Die Krise ist immer die Krise der anderen. Das regt den Kanzler so auf. Insgeheim verweist er daher gern auf die Medien, die mindestens so sprunghaft kommentierten, wie sie ihm vorwerfen zu regieren.

Ganz Unrecht hat er damit nicht. So wenig selbstkritisch gebärdet sich oft die Kritik, dass sie betriebsblind geworden ist. Ihr fällt nicht mehr auf, dass in der deutschen Dauerdepression Zuversicht die subversivste Haltung wäre, während Pessimismus oft nur den traurigen Zustand zementiert. Solche destruktive Kritik bringt die Verhältnisse nicht zum Tanzen, sondern zum Erliegen.

Und sie führt zu Wutausbrüchen, offenen wie beim Teamchef, heimlichen wie beim Kabinettschef. Sie tun sich Leid, weil sie den Kopf hinhalten müssen für Fehler, die auch andere gemacht haben. Das ist verständlich. Dennoch liegt in ihrer Kritik an den Kritikern etwas grundfalsches und auch nicht ganz ungefährliches: Sie wollen die Maßstäbe senken, mit denen die Deutschen sie und sich bewerten. Völler hat es auf den Punkt gebracht, als er letzte Woche vor laufenden Kameras den Circulus teutonicus erfand: Erst spielt Deutschland in der Qualifikationsgruppe so schlecht, dass Island Tabellenführer werden kann. Und dann rechtfertigt Völler das 0:0 gegen den Fußballzwerg damit, dass man ja – immerhin – gegen den Tabellenführer gespielt habe.

So macht es auch Schröder oft, wenn er die widrigen weltpolitischen Umstände beklagt oder das schwere Erbe der Ära Kohl oder die Kosten der Einheit, wenn er den Machterhalt zum wichtigsten Maßstab der Politik machen möchte. Und genau das, da haben die Kritiker völlig Recht, geht nicht. Deutschland kann sein Selbstbewusstsein und seine Selbstzufriedenheit nicht dadurch zurückgewinnen, dass es die Erwartungen an die eigenen Leistungen dramatisch senkt, weder im Fußball, noch in der Wissenschaft, noch in der Wirtschaft. Als Mittelmaß funktioniert dieses Land nicht.

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