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Politik: Was wahr ist, war gestern

Von Gerd Nowakowski

Eine tote Katze – und viele Fragen. Nein, bloß keine Panik. Die Vogelgrippe ist nicht beim Menschen angekommen; zumindest aber bei einem Säugetier. Die Ansteckung einer Katze aber hatte ein Wissenschaftler vom Institut für Lebensmittel, Arzneimittel und Tierseuchen noch vor wenigen Tagen gegenüber dem Tagesspiegel nur unter „Laborbedingungen“ für möglich gehalten. Nun müssen alle umlernen. In Rügen wird darüber nachgedacht, streunende Katzen und Hunde zu töten. Hunderttausende Menschen machen sich jetzt Gedanken, ob ihr Haustier noch im Garten herumstreifen darf. Und sie werden langsam Zweifel bekommen, ob sie den Fachleuten uneingeschränkt trauen können. Da entsteht eine Glaubwürdigkeitslücke. Zu viele Gewissheiten wurden verkündet, die wenig später keine mehr waren.

Die Entwicklung ist in den vergangenen Wochen über Deutschland so schnell hinweggezogen wie die Zugvögel. Darüber ist manches schon vergessen worden. Erst nahmen die Menschen erleichtert zur Kenntnis, dass bis zur Rückkehr der Zugvögel angeblich keine Gefahr von dem Geflügelpestvirus droht. Nach den ersten toten Schwänen auf Rügen hieß es plötzlich, dass das Virus offenbar schon seit geraumer Zeit bei ständig in Deutschland lebenden Vögeln vorhanden war. Dafür wird nach der ersten betroffenen Katze behauptet, eine Ansteckung von Säugetier zu Mensch sei nur durch große Virusmengen möglich – Katzen scheiden aber kaum Virusmengen aus, versichert die Sprecherin des bundesweit zuständigen Friedrich-Loeffler-Instituts für Tiergesundheit. Warum sollten nun kleinste Virusmengen ungefährlich sein? Das Robert-Koch-Institut erklärte gestern noch, Hunde könnten sich nicht anstecken. In Asien sind freilich schon Hunde mit Antikörpern gegen das H5N1-Virus gefunden worden, was auf eine frühere Infektion hinweist.

Man ahnt, nach mehr als tausend toten Vögeln auf Rügen, nach Sperrbezirken in fünf Bundesländern: Auch die Wissenschaftler wissen vieles nicht oder noch nicht. Ihre fieberhaften Bemühungen sind ein „work in progress“. Jeden Tag gibt es auch für sie Überraschungen. Dann sollten alle Beteiligten das allerdings auch zugeben. Die Menschen mit sachgerechtem Ernst zu beruhigen, ist Aufgabe von Wissenschaft und Politik; Beschwichtigungen erreichen das Gegenteil. Wer sich allein gelassen fühlt, macht sich eigene Gedanken. Auch darüber, wie man sich und seine Familie schützen kann. Siebzig Prozent der Deutschen glauben inzwischen, dass das Virus hier zu Lande auf den Menschen überspringen wird; noch mehr, dass Nutzgeflügel angesteckt wird.

Die Menschen werden unruhig, weil sie ahnen, dass die bisherigen Maßnahmen nicht reichen. Deutschland voller Sperrbezirke – und dann? Wir müssen uns darauf einstellen, dass uns die spezifische H5N1-Vogelgrippe auf Jahre oder Jahrzehnte begleitet. Ein global auftretendes Virus und nach Landkreisen organisierte Maßnahmen – wie soll das funktionieren? Wir werden zu reden haben über die Bündelung von Kompetenzen beim Bund und einer europäischen Zusammenarbeit. Auch darüber, warum die Ankunft des H5N1-Virus monatelang erwartet wurde, manche Landkreise aber trotzdem keine Katastrophenpläne vorbereitet hatten. Ob es in Zukunft noch Eier von frei laufenden Hühnern geben kann? Nachdenken müssen wir über ganzjährig im Stall gehaltenes Nutzgeflügel. Für diese Debatten brauchen wir jeden, auch die Wissenschaftler. Sofern man ihnen dann noch zuhören möchte.

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