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Gregor Gysi, Dietmar Bartsch und Sahra Wagenknecht (von links) im Juni vergangenen Jahres auf dem Linke-Bundesparteitag in Bielefeld.

© Oliver Berg/dpa

Was wird aus Gregor Gysi?: Die Linke streitet um die Rolle ihres "Übervaters"

Gregor Gysi fordert eine Diskussion um seine Rolle in der Linksfraktion. Für die einen ist das ein Angebot. Andere fühlen sich vom Ex-Chef unter Druck gesetzt.

Von Matthias Meisner

Linken-Parlamentsgeschäftsführerin Petra Sitte gibt sich viel Mühe, in höchsten Tönen von Gregor Gysi zu schwärmen. "Kaum zu toppen" sei Gysi bei Talkshow-Auftritten, "der beste Redner im Bundestag", ein "richtiger Übervater der Fraktion" - sagt die Politikerin am Dienstag über den ehemaligen Vorsitzenden der Linksfraktion. Der hatte das Amt im Herbst vergangenen Jahres an Sahra Wagenknecht und Dietmar Bartsch abgegeben.

Dem überschwänglichen Lob war eine Debatte am Montagabend im Fraktionsvorstand über Gysi vorausgegangen, der in einem Brief an seine Genossen Vorschläge zu seiner künftigen Rolle skizziert hatte. Das Schreiben war zuerst über einen Bericht von "Bild online" publik geworden. Unter der Überschrift "Neuer Zoff bei den Linken: Gysi erpresst Wagenknecht und Bartsch" hieß es, Gysi wolle wieder eine wichtige Rolle in der Partei - oder er werfe hin. Ein nicht genanntes Mitglied des Fraktionsvorstandes wurde mit der Aussage zitiert, der 68-Jährige solle sich zurückhalten. "Er ist jetzt ein Polit-Rentner. Die Zeiten, in denen er Bedingungen stellen konnte, sind vorbei."

Tatsächlich provoziert Gysi mit seinem Brief einige Genossen, allen voran seine Nachfolgerin Wagenknecht. Denn als eine Option nennt er, "dass ich - zumindest in großen Zügen - für Europa zuständig werde". Das ist ein Themengebiet, in dem sich auch die neue Fraktionsvorsitzende regelmäßig positioniert, ebenso wie auch deren Ehemann, der frühere Linken-Parteichef Oskar Lafontaine.

Gysi selbst ist seit seinem Rückzug vom Fraktionsvorsitz nur stellvertretendes Mitglied des Auswärtigen Ausschusses. Er schreibt zum Thema Europa: "Ihr kennt meine diesbezüglichen Auffassungen. Die müsst ihr berücksichtigen. Außerdem begäbe ich mich in gewisser Hinsicht in ein bestehendes Gehege."

Zündstoff enthält auch Gysi-Variante zwei. Die würde nach seinen eigenen Worten darin bestehen, "dass ich Generalist bleibe". Was wiederum bedeuten würde, "dass ich wenigstens sechs Reden im Bundestag halten müsste" - gemeint ist der Zeitraum bis zur Bundestagswahl 2017. Als einfacher Abgeordneter hat Gysi seit Herbst nicht mehr im Bundestag geredet. Jetzt aber schlägt er für sich vor, dass es "im Kern" um die erste Stellungnahme zu den Regierungserklärungen gehen müsse. Er erläutert: "Das aber bedeutete, dass Sahra, Dietmar und gegebenenfalls auch andere zusammen im Jahr auf diese sechs Reden verzichten müssten". Den Regularien des Bundestages besagen, dass ein Redner der größten Oppositionsfraktion nach einer Regierungserklärung als erster als Pult darf - seit 2013 also die Linke. Nicht zwangsläufig muss das einer der Fraktionschefs machen.

Und die dritte Möglichkeit? Bestünde laut Gysi darin, dass er im Bundestag gar keine Rolle mehr spielt. "Diese ist relativ bequem und hat für mich auch ihre Vorzüge." Dass der Ex-Fraktionschef das wirklich anstrebt, glauben nur wenige Genossen - zu sehr liegt ihm seine Partei am Herzen, auch bei der Bekämpfung des Rechtsrucks in Europa will er eine maßgebliche Rolle spielen. Er selbst dürfte überzeugt davon sein, noch immer von allen Linken-Politikern die meiste Resonanz zu haben.

Aus der Umgebung Gysis heißt es, der Brief sei "ein Angebot an die Fraktionsführung, gerade auch in Anbetracht der aktuell schwierigen Situation der Partei in den politischen Auseinandersetzungen mit allen Pfunden zu wuchern, die wir haben".

Was Gysi nur indirekt zum Ausdruck bringt: Vor allem von den Qualitäten Wagenknechts im neuen Amt ist er bisher noch nicht überzeugt. Mehrfach in den vergangenen Monaten hat er die neue Chefin kritisiert, unter anderem wegen deren Aussagen zur Flüchtlingspolitik, die aus Sicht von Genossen eher auf AfD-Linie lagen als auf der des eigenen Parteiprogramms. Allgemein hat sich die Lage für die Partei nach Wahlniederlagen im März in Sachsen-Anhalt, Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg verschärft.

Ramelow: Nicht Tonlage der AfD imitieren

Auch andere Spitzenpolitiker der Linken hatten Wagenknecht Vorwürfe gemacht. Der Thüringer Ministerpräsident Bodo Ramelow kritisierte, dass Linken-Politiker die Tonlage der AfD imitieren würden. Er griff dabei in der "Thüringer Allgemeinen" auch die Bundestagsfraktionsvorsitzende an. "Rassismus den Nährboden zu entziehen, heißt Fremdenfeindlichkeit ernst zu nehmen und für Zuwanderungskonzepte zu werben", erklärte er an ihre Adresse. "Nicht durch das noch schrillere Beschreiben lösen wir die Probleme, sondern durch gelingende Integration." Insgesamt beklagte Ramelow die Profillosigkeit der Linkspartei.

Obwohl Gysi damit rechnen musste, dass sein an großen Verteiler versandter Brief öffentlich wird, war er über das Wie nicht gerade glücklich. Er schob dann noch einen zweiten Brief an den Fraktionsvorstand nach. In ihm hieß es, erst durch die Zeitungsveröffentlichungen sei ihm "aufgefallen, dass eine Formulierung von mir missverständlich sein könnte".

Er versicherte, unter einer Debatte zu einer Regierungserklärung verstehe er "auch, aber nicht nur, dass die Bundeskanzlerin die Debatte einleitet". Für ihn liege eine Debatte zu einer Regierungserklärung auch vor, wenn der Außenminister, der Finanzminister oder eine andere Ministerin beziehungsweise ein anderer Minister die Debatte einleite. Die Fraktionsspitze versuchte er mit dem Hinweis zu beruhigen: "Da in diesem Jahr bald vier Monate verstrichen sind, geht es nur noch um drei bis vier Reden. Da im nächsten Jahr bereits im September gewählt wird, geht es auch dort nur um drei bis vier Reden." Und auch dies soll nur für den Fall gelten, dass sich die Fraktion entscheide, Gysi in der Rolle des Generalisten zu sehen.

Als Frist für die Angebote an ihn hat der Ex-Fraktionschef seinen Genossen Ende April gesetzt, "weil ich anschließend meine Entscheidungen treffen werde". Wenn er diese einmal innerlich getroffen habe, seien sie in der Regel unumstößlich.

Bartsch und Wagenknecht sollen mit Gysi sprechen

Der Fraktionsvorstand beauftragte Bartsch und Wagenknecht am Montagabend, das Gespräch mit Gysi zu suchen und eine Lösung zu finden. Fraktionsgeschäftsführerin Sitte versicherte, es gebe ein "sehr großes Interesse" daran, "dass Gysi nach wie vor eine große Rolle in der Fraktion spielt". Sie fügte hinzu: "Gregor Gysi ist für mich überhaupt kein Politrentner." Sitte versicherte, Wagenknecht habe auf den Vorstoß von Gysi "entspannt" reagiert.

Auch Parteichefin Katja Kipping spielte die internen Differenzen über die künftige Rolle von Gysi herunter. Die Diskussion darüber, welche Rolle der Bundestagsabgeordnete nach seinem Ausscheiden aus der Fraktionsspitze in der Partei spielen werde, bezeichnete sie als "ganz normalen Vorgang". Sie sei zuversichtlich, dass es eine "gemeinsame Lösung" geben werde.

Gysi selbst hat bisher offengelassen, ob er 2017 erneut für den Bundestag antritt. Denkbar ist sowohl eine erneute Bewerbung als Direktkandidat in Treptow-Köpenick - den Wahlkreis hat er mehrfach in Folge gewonnen - oder auch ein Spitzenplatz auf der Berliner Landesliste der Partei. Die Aussicht darauf dürfte auch seinen Genossen im Herbst im Berliner Abgeordnetenhauswahlkampf helfen.

Gysi selbst hat, so ein Sprecher, "momentan" keinen weiteren Redebedarf zur Diskussion um seine Person.

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