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Politik: Weihrauch Von Ursula Weidenfeld

Was ist das für eine Kirche, deren Papst an diesem Freitag von der ganzen Welt beerdigt wird? Was war das für ein Kirchenführer, um den in dieser Woche und an diesem Tag so getrauert wird?

Was ist das für eine Kirche, deren Papst an diesem Freitag von der ganzen Welt beerdigt wird? Was war das für ein Kirchenführer, um den in dieser Woche und an diesem Tag so getrauert wird? Normale Menschen mit klarem Verstand würden in normalen Zeiten vermutlich sagen, dass es keine besonders gute Kirche ist. Es ist eine absolutistische und zentralistische Kirche. Es ist eine, die Menschen zerbricht und die Menschen zerbrochen hat. Eine Kirche, die dem Menschen mit himmlischer Vergeltung droht für den Fall, dass er sich nicht so verhält, wie sie das vorschreibt. Ein Anachronismus.

Wahrscheinlich wird sich daran in den kommenden Jahren nicht sehr viel ändern. Auch ein neuer Papst wird diese Kirche nicht auf den Kopf stellen. Ganz sicher wird er nicht all den vielen berechtigten Wünschen von Laien, Frauen, liberalen Theologen oder Homosexuellen nach mehr Teilhabe und Mitbestimmung entsprechen. Die katholische Kirche misst ihre Zeit eben nicht in Tagen oder Jahren, sie misst sie an der Ewigkeit. Allein deshalb erscheint ihr alles, was eine Generation, eine Zeit, eine Gruppe oder eine Region an sie heranträgt, irgendwie kleingeistig im Licht der göttlichen Wahrheit. Veränderungen brauchen Zeit, in der katholischen Kirche brauchen sie besonders viel Zeit. Das wird so bleiben.

Diese Unbeugsamkeit, die im verstorbenen Papst ihren persönlichen Ausdruck gefunden hat, scheint es zu sein, die vielen heute wieder als verehrungswürdig erscheint. Jugendliche, junge Erwachsene, Katholiken und Nichtkatholiken: Sie alle scheinen im Angesicht des Toten von Rom vor der Ambivalenz der eigenen Welt zu erschrecken – und den Wertkonservativismus der Kirche wenigstens im Augenblick als so schlimm und so drückend nicht mehr zu empfinden. Die anmaßende Kirche, die zwischen richtig und falsch urteilt und verurteilt, erscheint nun im milderen Licht. Jetzt wird sie als verzeihende Kirche gesehen, die ihren moralischen Anspruch verteidigt und doch den Menschen in seiner Unvollkommenheit annimmt: Er versteht und kann manchmal nicht anders. Schon ist man bereit, im Verharren ihres Anführers im Amt, dem in seinen letzten Jahren das Unvollkommene und Gebrechliche so sehr ins Gesicht geschrieben waren, ein Programm zu erkennen.

Die Trauernden haben es mit einem Papst zu tun gehabt und sind nun von einer Kirche beeindruckt, die es offensichtlich immer noch schafft, den Raum zwischen Himmel und Erde, zwischen Glaube und Verstand, mit Sinn zu füllen. Ja, vieles davon ist Folklore – von Fischerringen, Totenglocken und silbernen Hämmern, mit denen angeblich auf die Stirn von toten Päpsten geklopft wird, wurde berichtet. Wir erschauern vor den düsteren Konklavegeschichten früherer Jahre, lassen uns von seidenen Siegeln an schweren Türen beeindrucken, von Reliquien und prächtigen Kardinalsroben. Doch schon das ununterbrochene Rosenkranzgebet auf dem Petersplatz, die gregorianischen Choräle im Petersdom, Weihwasser und Weihrauch weisen darüber hinaus. Sie weisen den Weg in die christliche Meditation, die Spiritualität. Die Versuche, die Geheimnisse des Glaubens sichtbar zu machen, sie wirken noch immer. In normalen Zeiten stößt das viele ab. Aber diese Zeiten sind nicht heilig.

Der große, lange Moment des Glaubens und der Religiosität, den einige in den letzten Tagen des Papstes, in seinem Sterben und der Leere auf dem Stuhl Petri erkennen – er ist vielleicht mehr ein großer langer Moment des Vermissens. Eine Welt, die sogar das Denken und den Geist auf rein biochemische Prozesse im Gehirn zurückführen kann, kennt keine Wunder mehr. Doch in diesen Tagen zeigt sich, dass die Seele dieser Welt immer noch mittelalterlich-bedürftig ist. Sie will Weihwasser, Weihrauch, Wunder. Es ist das Unmoderne im Menschen, das an den Himmel und das ewige Leben glauben will. Dafür stand dieser Papst, dafür steht unter den christlichen Kirchen die katholische besonders. Dafür wurde sie in den jüngsten sieben Tagen gerühmt – und davor siebzig Jahre lang belächelt. Vielleicht ist das der Beginn eines neuen konservativen Zeitalters. Wahrscheinlich ist das nicht.

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