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Politik: Weiß nichts, macht nichts

Der Bundestagsabgeordnete Keskin zweifelt am Völkermord an den Armeniern – Gysi lässt ihn gewähren

Von Matthias Meisner

Berlin - Der Zentralrat der Armenier erinnert sich gern an verdiente Sozialisten. Sowohl Rosa Luxemburg als auch Karl Liebknecht hätten sich während des Völkermordes 1915/16 auf die Seite der Verfolgten gestellt, schrieb Schawarsch Owassapian, der Vorsitzende des Zentralrats, im März an Gregor Gysi, den Chef der Linksfraktion im Bundestag. Auch Uwe Hiksch, später eine Zeit lang PDS-Bundesgeschäftsführer, wird vom Zentralrat gelobt, weil er 2001 im Namen der PDS-Bundestagsfraktion den Genozid an den Armeniern zum Thema im Bundestag machte. 2005 stimmten auch die damaligen PDS- Bundestagsabgeordneten Petra Pau und Gesine Lötzsch einer Resolution des Bundestages zu, in der die „organisierte Vertreibung und Vernichtung von Armeniern“ verurteilt wurde.

Inzwischen aber fühlen sich die Armenier von der Linkspartei verlassen. Das hat mit einem Mann zu tun, der seit Herbst 2005 Bundestagsabgeordneter der Linken ist: Hakki Keskin, bis 2005 Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde in Deutschland und nach Darstellung des Zentralrats der Armenier ein von der Fraktion geduldeter Leugner des Genozids, dem 1,5 Millionen Armenier zum Opfer fielen. PDS-Chef Lothar Bisky hatte die Kandidatur Keskins im vergangenen Jahr persönlich eingefädelt, es ging ihm um neue „Milieus“. Angriffe gegen Keskin wies Bisky damals als „ehrabschneidend und verletzend“ zurück. Der Zentralrat der Armenier wirft Keskin vor, 2005 habe seine Türkische Gemeinde gemeinsam mit anderen Verbänden eine Kampagne organisiert, um eine Anerkennung des Völkermords an den Armeniern im Osmanischen Reich zu verhindern. Auch später drückte sich Keskin um ein Bekenntnis zum Völkermord: Es gebe „sehr konträre Positionen zu den Geschehnissen“, erklärte er im März der „Jungen Welt“. „Ich weiß nicht, was damals geschehen ist. (…) Wenn man nicht weiß, was geschehen ist, kann man sich nicht einfach die Position der armenischen Seite zu eigen machen und sagen, es war ein Genozid.“ Und: Warum also „sollte irgendwer gezwungen werden, sich hier eine bestimmte Position zu eigen zu machen?“

Doch bisher kann Keskin ziemlich unbesorgt sein – denn offenkundig gibt es in der Linksfraktion keine Versuche, ihn zur Rede zu stellen. Zwar beschied Gysi den Zentralrat der Armenier: „Es kann keinen Zweifel daran geben, dass unsere Fraktion und unsere Partei sich immer ganz entschieden gegen den Völkermord an den Armeniern in der Türkei gewendet hat und dass das auch so bleiben wird.“ Später riet er dem Zentralrat, „eine Aussprache mit Prof. Hakki Keskin herbeizuführen“. Der aber ist von diesen Antworten „mehr als enttäuscht“: „Niemand kann allen Ernstes erwarten, dass wir darum ,bitten‘, eine Aussprache mit einem bekannten Völkermordleugner ,herbeizuführen‘“, schrieb Owassapian im Juni. Seitdem herrscht Funkstille zwischen Gysi und dem Zentralrat. Aus der Fraktionsführung heißt es, die „individuelle Meinung eines Menschen“ lasse sich eben „nicht per Mehrheitsbeschluss festlegen“. PDS- Politiker halten dagegen: „Pluralismus funktioniert hier nicht“, sagt Helmut Holter, Vizechef der Schweriner Landtagsfraktion – und warnt seine Genossen in der Bundestagsfraktion vor „Beliebigkeit“ bei diesem Thema.

Keskin selbst will zu dem Streit nichts mehr sagen. Der Völkermord sei „nicht sein Thema“, heißt es aus seinem Büro. Zuständig ist der Abgeordnete indes für die EU-Erweiterung – und damit auch die Frage des Beitritts der Türkei.

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