zum Hauptinhalt

Politik: Weiße Nelke in Eriwan

Fischer rückt den Völkermord an den Armeniern in den Blickpunkt

Von Matthias Meisner

„Versöhnung und Erinnerung sind Grundlagen für eine gemeinsame Zukunft.“ Als Außenminister Joschka Fischer in Eriwan diese Worte zu Armeniens Präsident Robert Kotscharjan sagte, dachte er auch an den Völkermord 1915 an den Armeniern, der bis zu eineinhalb Millionen Menschen das Leben kostete. Nur ein paar Stunden machte Fischer auf seiner Kaukasus-Reise in Eriwan Station. Doch mit dem Besuch der Gedenkstätte Tsitsernakaberd (Schwalbenfestung), die auf einem bewaldeten Hügel der armenischen Hauptstadt an das Massaker erinnert, setzte er ein Signal – ein lange Zeit auch von der deutschen Außenpolitik vernachlässigtes Thema rückt in den Blickpunkt.

Menschenrechtler vermuten, dass sich Deutschland bisher auch aus Rücksichtnahme auf die Türkei bei der Verurteilung des Genozids zurückgehalten hat. Fischers Menschenrechtsbeauftragte Claudia Roth sagt, die Debatte um den Völkermord habe „enorme Bedeutung“ für die Demokratisierung der Türkei. Sie hält aber nichts davon, die Haltung Ankaras zu dem Genozid zum Kriterium für Beitrittsverhandlungen mit der EU zu machen. Die Türkei hat zwar zugegeben, dass damals im untergehenden osmanischen Reich mindestens 300 000 Armenier ermordet wurden, den Vorwurf des Völkermordes aber strikt zurückgewiesen. Der Nationalrat der Schweiz hatte den Völkermord Ende 2003 anerkannt. „Peinlich“ sei es, dass Deutschland unter Hinweis auf die Einmaligkeit des Holocaust andere Völkermorde negiere, meint Tilman Zülch, Generalsekretär der Gesellschaft für bedrohte Völker. Fischers Geste – er legte eine weiße Nelke an der Gedenkstätte nieder – sei dennoch „erfreulich“. Zülch begrüßt auch, dass Grünen-Chefin Angelika Beer bei der Gedenkveranstaltung des Zentralrats der Armenier in Deutschland zum Völkermord an diesem Samstag in der Frankfurter Paulskirche sprechen wird.

Überlagert wird der Streit von aktuellen Konflikten – vor allem um Berg-Karabach, eine von Armeniern bewohnte Enklave Aserbaidschans. Wie schon zuvor in Baku rief Fischer auch in Eriwan zu Kompromissbereitschaft auf. Wohl wissend, wie kompliziert die Allianzen sind: Aserbaidschan ist verbündet mit der Türkei, und beide Länder halten die Grenzen zu Armenien geschlossen.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false