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Um das Kalisalz und den lukrativen Handel mit Düngemittel

© REUTERS

Weißrussland/Russland: Streit unter Brüdern

Russland übt Druck auf den weißrussischen Nachbarn aus. Nun will Moskau den Preis für Erdgas deutlich erhöhen.

Grodno - „Prachtbursche! Genau so muss man die russischen Oligarchen behandeln“, sagt ein Passant in Grodno ins Mikrofon einer Radiostation. Die Stadt im Westen Weißrusslands gilt als Hochburg der demokratischen Opposition, doch derzeit genießt Staatspräsident Alexander Lukaschenko selbst hier viel Zustimmung. Grund ist die Verhaftung von Wladislaw Baumgertner. Der Geschäftsführer des russischen Düngemittelherstellers Uralkali wurde Ende August auf dem Minsker Flughafen in Handschellen gelegt, als er nach Verhandlungen mit Lukaschenkos Regierungschef Michail Mjasnikowitsch nach Hause reisen wollte.

Die weißrussische Staatsführung wirft ihm vor, das Land beim lukrativen Kali-Handel um 100 Millionen Dollar geprellt zu haben. Baumgertner hatte im Sommer ein Kartell der beiden Düngemittelfirmen Uralkali (Russland) und Belaruskali (Weißrussland) gekündigt und einen Preiskampf begonnen. Weltweit brach daraufhin der Kali-Preis ein. Die Staatsfirma Belaruskali beliefert rund 20 Prozent der Welt und ist Lukaschenkos wichtigster Devisenbeschaffer.

Schon lange waren die Beziehungen zwischen den beiden in einer Föderation verbundenen Bruderstaaten nicht mehr so angespannt. Am vergangenen Freitag kündigte Moskau an, Weißrussland müsse 2014 rund zehn Prozent mehr für russisches Erdgas bezahlen. Auch ein Lieferstopp sei nicht auszuschließen, drohen die Russen immer wieder zwischen den Zeilen. Die russische Rohölzufuhr wurde bereits um ein Viertel gedrosselt.

Russland hat zudem angekündigt, das Auslieferungsbegehren Minsks für den Uralkali-Mehrheitsaktionär Sulejman Kerimow zu ignorieren. Weißrussland will Kerimow zusammen mit Baumgertner vor Gericht stellen. „Die Enttäuschung ist immens“, kommentierte ein Leser auf der Internetseite der Präsidentenzeitung „Sowjetskaja Belarus“ den Streit, „zumal sie Bürger eines uns so nah verbundenen Staates sind.“ Der Leser fragt, ob Geld denn jede Freundschaft untergraben könne, und gibt die staatlich sanktionierte Antwort gleich selbst: „Was sie uns gestohlen haben, müssen sie zurückgeben; andernfalls ab ins Gefängnis.“

Lukaschenkos Beliebtheit hat dieser Streit befördert. Unabhängige Meinungsforscher geben ihm heute rund 30 Prozent der Stimmen. Mit freien Wahlen – 2015 will sich Lukaschenko ein sechstes Mal im Amt bestätigen lassen – rechnet allerdings in Grodno kaum einer. Lukaschenko habe bei seinem Werdegang erfahren, dass Offenheit und Demokratie Dämonen weckten, die nicht mehr im Zaum zu halten seien, erklärt der wohl bekannteste ehemalige politische Häftling aus Grodno, Andrzej Poczobut. Er sitzt gerade die letzten Tage einer Bewährungsstrafe wegen angeblicher Präsidentenbeleidigung ab, nachdem er monatelang in Untersuchungshaft in Grodno war. Infolge des Kali-Streites erwartet Poczobut Zugeständnisse des Regimes für den EU-Ostpartnerschaftsgipfel Ende November in Vilnius, was auch ihm selbst helfen würde, wie er im persönlichen Gespräch erzählt.

Nach der Verhaftung Baumgertners charakterisieren Gesprächspartner aus Oppositionskreisen Lukaschenkos Weißrussland gar als „Banditenstaat“, in dem weder Recht noch Gesetz Geltung hätten. Die Reaktionen der Sicherheitskräfte würden immer unberechenbarer, selbst für unpolitische Filme auf Youtube werde man heute verfolgt. Auch der örtliche Vertreter der Menschenrechtsgruppe „Wiasna“ ist wenig optimistisch. „Verfassung und Gesetze sind heute nur noch eine Show für das Ausland“, sagt Sazonau. „Jede noch so bescheidene Bürgerinitiative wird sofort im Keim erstickt“, sagt Sazonau und klagt darüber, dass die Menschenrechtslage in Weißrussland sich immer mehr verschlechtere. Dann zählt er die Namen der 15 politischen Häftlinge auf. Auch Ales Bialjatski, der Gründer und Vorsitzende von „Wiasna“, ist einer von ihnen.

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